30.07.2014

Gesellschaft

Großes Publikum für Baukultur

Foto: Julien Lanoo

Nur neun Prozent der Befragten finden attraktiv gestaltete Straßen, Plätze und Gebäude wichtig (siehe Richtigstellung am Ende des Textes), entlarvt eine im Auftrag der Bundesstiftung Baukultur erfolgte Forsa-Umfrage. Ist Baukultur ein Luxusproblem?! Keineswegs. Qualität des Wohnens erhöhen, Öffentlichen Raum plus Infrastrukturmaßnahmen zu Angelpunkten des ökologischen Umbaus machen und Planungsprozesse besser steuern, darin liege die Zukunft der Stadt, behauptet die Stiftung und richtete drei Baukulturwerkstätten darauf aus. Drei Samstage im Januar, März und Mai trafen sich je 300 bis 400 Teilnehmer in der diskursbeflügelnden Aura der Westberliner Akademie der Künste, Werner Düttmanns Architektur übrigens ein Baukultur-Beispiel par excellence.

Vorzeigeprojekt bei den Baukulturwerkstätten: der Gleisdreieck Park in Berlin. Entwurf: Atelier Loidl, Foto: Julien Lanoo
Vorzeigeprojekt bei den Baukulturwerkstätten: der Gleisdreieck Park in Berlin. Entwurf: Atelier Loidl, Foto: Julien Lanoo
Vorzeigeprojekt bei den Baukulturwerkstätten: der Gleisdreieck Park in Berlin. Entwurf: Atelier Loidl, Foto: Julien Lanoo
Vorzeigeprojekt bei den baukulturwerkstätten: Flussbad in der Berliner Spree. Grafik: realities:united
Vorzeigeprojekt bei den baukulturwerkstätten: Flussbad in der Berliner Spree. Grafik: realities:united
Vorzeigeprojekt bei den baukulturwerkstätten: Flussbad in der Berliner Spree. Grafik: realities:united

Best-Practice-Beispiele lieferten bemerkenswerte Fallstudien: ­Etwa wie Hamburg-Wilhelmsburg mit Hilfe der jüngsten IBA ein CO2-neutraler Stadtteil wird oder der Berliner Gleisdreieckpark, einst umstrittenes Konver­sionsprojekt dank seiner Landschaftsarchitektursprache zum beliebtesten Stadtteilpark aufsteigt. Auch welche Belastung in Millionenhöhe selbst ein inter­nationales Ingenieurskonsortium wie schlaich bergermann und partner auf sich nehmen muss, bevor starke Bauherren wie die Deutsche Bahn auf eine landschaftsästhetisch bessere, noch dazu verfahrenstechnisch innovativ neue Brückenarchitektur einsteigen. Schönes Happy End in diesem Fall, die Gänsebachtal­brücke bei Weimar gewann den Deutschen Brückenbaupreis 2013.

Experten durften über diese und andere „Anchorprojekte“ keine Minute länger als vorgesehenen referieren. Doch: So exzellent die Beispiele auch sind, sie bestimmen kaum das Gesicht unserer Städte. Darum ja der ganze Aufwand, die sorgsame Veranstaltungschoreografie, die Koope­ration mit Verbänden. Reiner ­Nagel und Kristien Ring, mit ­ihrem Team zuständig für die Programmentwicklung, wollen eine intensivere Ebene der Lobbyarbeit erreichen, dieses Jahr unter dem Fokus Stadt, nächstes Jahr mit Blick auf den ländlichen Raum. Eine Qualitätsoffensive, die vordringen soll in die Köpfe der Bundestagsabgeordneten. Der entstehende Baukultur­bericht wird, auch das ein Novum, eine Vorlage für Parlament und Bundesregierung. Und zwei bis drei Millionen Fördermitglieder will Nagel gewinnen, erst dann werde die Bedeutung des Themas für die Bundeskanzlerin relevant, schätzt Nagel (siehe Richtigstellung am Ende des Textes). Ein ehrgeiziges Ziel angesichts von derzeit gut 750 Förderern.

Auch der Zugriff auf Infrastruk­turen ist ambitioniert. Städtische Infrastrukturen bilden ein beträchtliches, maßgeblich von der öffentlichen Hand gesteuertes ­Investitionsvolumen. Sie auch als Gestaltungselement zu nutzen, als eine wichtige Chance der zukunftsfähigen Stadt, forderte die zweite Werkstatt „Öffentlicher Raum und Infrastruktur“. Zum Beispiel Baden in der Berliner Spree als greifbare Vision: der Umweltingenieur Ralf Steeg entwickelte mit schwimmenden Wassertanks eine einfache Lösung, um überschüssiges Schmutzwasser aus der Kanalisation zwischenzuspeichern, statt es in den Fluss zu leiten. Auf der Plattform ein Cafégarten, fertig ist ein Paradebeispiel „integrierter“ Stadtgestaltung mit weltweiter Übertragbarkeit. Seit 2012 liegt eine Testanlage vor dem Osthafen – ohne Café, und nur mit zähneknirschender Duldung des Eigentümers Behala, der Berliner ­Hafen- und Lagerhausgesellschaft mbH. Sie sorgt sich um die Attraktivität des Filetgrundstücks, wo hochwertige Eigentumswohnungen entstehen könnten. Da passt zu viel Öffentlichkeit nicht zum Lifestyle.

Die Werkstatt III „Planungskultur und Prozessqualität“ nahm die bekannten Bauskandale als Ausgangspunkt. Ob Elbphilharmonie oder der Berliner Flughafen BER – die Gier nach Kathedralen der Architektur führe dazu, alle Prozessbausteine falsch anzugehen, kritisierte Reiner Nagel. Zwar konnte keiner der anwesenden Experten dem Architekturkritiker Falk Jaeger eine Antwort geben, wie man Aufsichtsräte mit mehr Fachverstand bestimmen könne. Dafür zeigte die starke kommunale Stadt- und Bauplanung in Wolfsburg oder der minutiös durchkomponierte Planungs­ablauf für das Mercedes Benz Museum in Stuttgart, dass eine stärkere Gewichtung der sogenannten Phase Null, der Phase vor Entwurf, Bauen oder Partizipation, viele Probleme erübrigt. Bleibt mit Philipp Sattler, Landschaftsarchitekt und zweiter Vorsitzender der DGGL-Landesgruppe Berlin-Brandenburg, zu hoffen, dass der Bundesbaubericht „nicht bloß dokumentiert, sondern eine brainy basis für das Bundesbauministerium wird.“

 

Dieser Text erschien in Garten + Landschaft 7/2014, Seite 6. Richtigstellung: Neun Prozent der Deutschen sind laut einer Forsa-Umfrage attraktiv gestaltete Straßen, Plätze und Gebäude „sehr wichtig“, für 49 Prozent sind sie „wichtig“. Zwei bis drei Millionen Fördermitglieder für die Bundesstiftung zu gewinnen, ist keine erklärte Zielvorgabe, sondern lediglich eine Einschätzung, welche Mitgliederzahl eine politisch relevante „Masse“ darstellen würde.

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