05.05.2015

Projekt

Was soll aus Výškovice werden?

indem sie eins von drei Bannern wählten. Foto: Department für öffentliche Erscheinungen

Im deutsch-tschechischen Grenzgebiet – dem ehemaligen Sudetenland – sind die Wunden, die die Geschichte des 20. Jahrhunderts vom Nationalsozialismus über den Zweiten Weltkrieg bis zum Kalten Krieg geschlagen hat, spürbar geblieben wie in kaum einer anderen Region Mitteleuropas. Ganze Landschaften mit einer jahrhundertelangen Siedlungs- und Kulturgeschichte sind aus den unterschiedlichsten Gründen bis heute verlassen. Die einst sehr vielfältigen und kleinteiligen Verknüpfungen über die Grenzen hinweg entstehen nur sehr langsam wieder. Das ist nicht nur den geschichtlichen Vorbelastungen geschuldet, ländliche und periphere Regionen kämpfen heute überall mit Bevölkerungsschwund und Bedeutungsverlust.

Vor diesem Hintergrund hat die Europäische Kulturhauptstadt 2015 Pilsen Initiativen gestartet, die Ideen, neue Konzepte, Aktivitäten und Projekte zu einer nachhaltigen Entwicklung der Kulturlandschaft beiderseits der Grenze beitragen sollen. Eines dieser Projekte ist „Recovering Landscape – Výškovice“. Für den verlassenen tschechischen Ort Výškovice sollten Konzepte für eine zukünftige Entwicklung formuliert und eine Land-Art Installation im Rahmen der Kulturhauptstadt 2015 entwickelt werden. Vyskovice, ehemals Wischkowitz war ein kleiner Weiler in der Hochlage des Kaiserwalds nahe Marienbad. Heute stehen nur noch ein Haus, eine kleine, vom Verfall bedrohte Kapelle sowie ein Goethestein, der an den Besuch des Dichters erinnert. Von der einstigen Ausdehnung des Ortes zeugen noch Fundamente, Teiche, Feldwege, Obstbäume, Alleen und eine Dorflinde. Die umgebende Landschaft ist heute vollständig an einen internationalen Rinderzuchtbetrieb verpachtet. Wo einst eine kleinteilige Kulturlandschaft war, befinden sich heute riesige Weiden mit halbwild lebenden Rinderherden. Es sind – zumindest aus hiesiger Sicht –  durchaus attraktive, extensive Weide- und Waldlandschaften von mitunter hohem naturschutzfachlichem Wert entstanden. Bei den Menschen der Region allerdings besteht eine große Sehnsucht die verlorenen, geordneten Kulturlandschaften zurückzugewinnen. Diese wichtige Erkenntnis und dass diese Gebiete auch für die tschechische Bevölkerung bis heute vor allem für Verlust, Verwahrlosung und Trauer stehen, war nicht unbedingt zu erwarten.

In einem international ausgeschriebenen Wettbewerb wurden während eines Workshop-Verfahrens vor Ort zwei Entwürfe für die Realisierung ausgewählt. Eva Wagnerova und Vit Rypar aus Brno und Prag schlagen vor einen großen Tisch als Installation am Ort der Wohnstube eines heute verschwundenen Hofs aufzustellen, die Obstbaumbestände zu erneuern und die heute meist für die Öffentlichkeit gesperrten Feldwege zu den Nachbarorten zu öffnen.

Während dieser Entwurf die geschichtlichen Spuren vor Ort thematisiert, leitet unsere Kooperation der Künstlergruppe Department für öffentliche Erscheinungen (Peter Boerboom, Gabriele Obermeier, Carola Vogt, Silke Witzsch) und Irene Burkhardt Landschaftsarchitekten und Stadtplaner (mit Oliver Engelmayer und Edgar Kaare), alle München, die Frage an die Öffentlichkeit in den umgebenden Orten und Städten weiter: „Was soll mit Výškovice in Zukunft geschehen?“ Im Rahmen von partizipativen Kunstaktionen wurden Passanten in Pilsen, Tachov und Plana gefragt, was sie mit einem verlassenen Dorf wie Wischkowitz / Výškovice machen würden. Zur Verfügung standen Banner in drei verschiedenen Farben mit den Slogans „nechat byt / let go / lassen“, „zachovat / retain / behalten“ und „obnovt / recover / beleben“. Etwa 400 Passanten wählten ein Banner aus und ließen mit ihren persönlichen Kommentaren oder differenzierten Begründungen ein sichtbares Stimmungsbild entstehen. Überwiegend positive und konstruktive Kommentare zeigten, wie wichtig viele Teilnehmer fanden, dass dieses heikle, lange tabuisierte Thema auf diese Art offen angesprochen und diskutiert wird.

Die gesammelten Banner werden in Vyskovice als Landschaftsinstallation ausgestellt. Besucher werden eingeladen, den Ort zu erforschen und die eigenen Impressionen mit ihren Kommentaren zu spiegeln. Die ursprünglichen Entwürfe sahen eine Banner-Line vor, die von der Dorflinde hinaus in die Landschaft zu einem Treff- und Informationspunkt auf einen Aussichtshügel mit weiten Blicken über das Grenzland führen sollte. Da die benötigten Wege und Flächen, um die Banner aufzuhängen und einen Besuchertreff einzurichten, nicht zur Verfügung standen, werden die Banner nun zu Büchern zusammengefasst. Die Sammlung der Meinungsträger wird am Samstag, den 16. Mai im Rahmen der Konferenz „Menschen – Emotionen – Landschaften – Lösungen“ im verlassenen Výškovice präsentiert (siehe Flyer).

„Landscape banners – personal opinion made public“ startet so einen Impuls zum Nachdenken über Výškovice – stellvertretend für die vielen anderen heute verlassenen Orte im deutsch-tschechischen Grenzgebiet. Landschaft muss durch die Bewohner und Nutzer immer wieder neu entstehen und belebt werden. Nur dann kann – so die Vision –  aus dem „Grünen Vorhang“ des heutigen Grenzlandes wieder eine reichhaltige, belebte Landschaft werden, um Austausch und Begegnung Raum zu geben.

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