Architektonische Schenkungen sind weit verbreitet und beeinflussen Urbanisierungsprozesse überall auf der Welt. Aber sie bringen nicht nur Vorteile, sondern können auch Schaden anrichten. Die Ausstellung „The Gift“ in München blickt auf Geschenke in Gebäudeform.
Bis zum 8. September 2024 und schon seit dem 28. Februar läuft in der Münchener Pinakothek der Moderne eine Ausstellung namens „The Gift – Großzügigkeit und Gewalt in der Architektur“. Die Organisatoren sind das Architekturmuseum der Technischen Universität München gemeinsam mit der University of Michigan in Ann Arbor, USA. Die Kurator*innen stammen aus den jeweiligen Ländern der Fallstudien. Thematisch befasst sich diese Ausstellung mit dem Thema der architektonischen Schenkung, etwa durch wohlhabende Philanthrop*innen, Entwicklungshilfegelder, religiöse Stiftungen oder diplomatische Einrichtungen.
Das weitere Leben von geschenkten Gebäuden
Ob Bibliotheken, Notunterkünfte, Stadien, Moscheen oder Sozial- und Bildungseinrichtungen, architektonische Schenkungen sind weit verbreitet. Die Ausstellung „The Gift“ wirft einen kritischen Blick auf diese oft religiös und imperialistisch begründete Tradition des Schenkens, die Urbanisierungsprozesse weltweit beeinflusst. Insbesondere in rasch wachsenden afrikanischen, asiatischen und südamerikanischen Metropolen und deren Hinterland sind derartige Gebäudeschenkungen inzwischen allgegenwärtig. Und auch in nordamerikanischen und europäischen Städten investieren philanthropisch motivierte Personen in Kultur-, Sozial- und Bildungseinrichtungen, womit sie den Wohlfahrtsstaat teils ersetzen.
Die Ausstellung in der Pinakothek der Moderne beleuchtet geschenkte Gebäude unterschiedlicher Art, von spektakulär zu gewöhnlich und von extravagant bis nützlich. So möchte sie aufzeigen, dass und wie die ungleichen Beziehungen zwischen Schenker*in und Empfänger*in sowohl Wohltaten als auch Gewalt sein können. Denn derartige Geschenke beeinflussen die Produktion von Gebäuden und ihr Programm, ihr Design, ihre Materialität und die Arbeitsverhältnisse am Bau. Dafür berücksichtigt „The Gift“ Faktoren wie den wirtschaftlichen Gewinn und den politischen Einfluss von Spender*innen. Sie hinterfragt, ob architektonische Schenkungen Gegenleistungen und Verpflichtungen erfordern und wie das weitere Leben für geschenkte Gebäude aussieht – wird es von lokalen Gemeinden angenommen, gepflegt und benutzt.
Unklare Zuständigkeiten und Besitzverhältnisse
Die Ausstellung ist in Zusammenarbeit mit lokalen Forscher*innen und Gemeinschaften entstanden. Sie zeigt Fallstudien aus vier Kontinenten, um wohltätige ebenso wie gewalttätige Dynamiken aufzuzeigen. In insgesamt drei Räumen bietet die Ausstellung mittels Schautafeln, Plänen, Luftaufnahmen, Modellen und persönlichen Interviews eine sozialkritische Diskussion.
Die Geschichten von „The Gift“ sind verschiedenen Arten des Schenkens zugeordnet. Humanitäre werden am Beispiel von Skopje diskutiert. Diese Stadt in Nordmazedonien erlebte im Jahr 1963 ein schweres Erdbeben und wurde mithilfe der Vereinten Nationen wieder aufgebaut. Als Antwort baute die Stadt später die „Universal Hall“ für kulturelle und sportliche Ereignisse, deren Eigentümerschaft mehrfach wechselte. Nun stellt sich die Frage, wer Jahrzehnte später für den Unterhalt und die Pflege der unterschiedlichen Gebäude in Skopje zuständig ist.
Das Beispiel von Kumasi, der zweitgrößten Stadt in Ghana, zeigt, wie geschenkter Boden zum Konfliktpunkt werden kann. Die Stadt war 200 Jahre lang die Hauptstadt des Asante-Reichs und hat sich heute zu einem Bildungszentrum entwickelt. Die Universität für Wissenschaft und Technik befindet sich auf einem Grundstück, das einst der Asante-Volksgruppe gehörte und das die ehemaligen britischen Kolonialherren der Universität schenkten. Dies erzeugt bis heute Spannungen und Interessenskonflikte zwischen der vornehmlich bäuerlichen Bevölkerung in der nahen Umgebung und der Universität.
The Gift: Die tiefgreifende soziale Wirkung wohlgemeinter Gesten
In Ulan-Bator, der Hauptstadt der Mongolei, sind viele diplomatische Geschenke zu finden. Noch vor 100 Jahren bestand die Stadt nur aus Jurten, wurde aber in der Folgezeit mit Unterstützung sozialistischer Länder aufgerüstet und weist nun ein neues Stadtbild auf. Hier stellt sich die Frage, wem diese Gebäude gehören und wer als Geber*in und als Empfänger*in dieser architektonischen Geschenke fungiert. Am Beispiel ihrer eigenen Familie zeigt die zuständige Kuratorin, wie das sowjetische Erbe heute empfunden wird.
Ein Paradebeispiel für philanthropische Geschenke ist East Palo Alto im Silicon Valley, Kalifornien, USA. Dieser Ort war früher erschwinglich, aber mit der Ankunft von Apple, Microsoft & Co. hat sich das drastisch geändert. Diese neuen Unternehmen haben in die Infrastruktur und Lebensqualität der Stadt investiert, wodurch sich der Staat immer mehr zurückgezogen hat. Philanthropische Stifter*innen haben nun viel Macht bei der Ausführung ihrer Interessen und entziehen sich der demokratischen Kontrolle, was sich als „neoliberaler Feudalismus“ beschreiben lässt.
Zuletzt zeigt die Ausstellung „The Gift“ auch, wie die Philanthropie hierzulande ihre Spuren hinterlässt und Städte wie München prägt. So erhalten Besucher*innen spannende Einblicke in die komplexen Aushandlungsprozesse, die mit architektonischen Schenkungen verbunden sind. Die sorgfältig aufbereiteten Fallstudien aus aller Welt sollen dazu anregen, über die tiefgreifenden sozialen Auswirkungen derartiger Gesten nachzudenken.
Die Dynamik des Schenkens hinterfragen
Gebaute Geschenke erweisen sich sowohl für Menschen als auch für Städte häufig nicht als Segen, sondern als Fluch. Dies ist die wohl wichtigste Botschaft der Ausstellung „The Gift“. Sie stellt die Hypothese auf, dass architektonischen Geschenken auch eine Art Bedrohung innewohnt, da sich oft für viele Jahrzehnte Folgen ergeben. Anhand von historischen Beispielen wie der viktorianischen Mustersiedlung Saltaire in West Yorkshire oder der Pariser La Cité de Refuge zeigen die Kurator*innen, die aus den Ländern der Fallstudien stammen, dass philanthropische Geschenke sehr oft Hintergedanken haben. Sei es die Auswahl von Schüler*innen, von Büchern, von Architekturstilen oder von Gewinner*innen bei der Landverteilung, Geschenke bergen die Gefahr eines Machtgefälles sowie die Kopplung von wirtschaftlichem Gewinn oder politischem Einfluss an eine scheinbar selbstlose Gabe.
Viele gebaute Geschenke sind natürlich auch wirklich nützlich und bei den empfangenden Gemeinschaften akzeptiert. Aber die Ausstellung „The Gift“ macht deutlich, dass es sich lohnt, die Dynamik des Schenkens zu hinterfragen, um zwischen Selbstlosigkeit und verborgenen Interessen zu unterscheiden.