06.09.2016

Porträt

Der Spielplatz: Ein hochkomplexer sozialer Funktionsraum

Wenn es um Spielplatzgestaltung geht, macht Günter Beltzig so schnell niemand etwas vor. Seit Jahrzehnten entwirft er Spielgeräte für Hersteller und verliert dabei das Kind nie aus den Augen. Wir sprachen mit ihm darüber, welche Funktion ein Spielplatz heute hat und wie man als Planer den Kindern besser gerecht wird. 

Herr Beltzig, was sollte ein Spielplatz heute bieten?
Ich entwerfe seit 40 Jahren Spielplätze. Wir brauchten keine Spielplätze, wenn wir in einer kindgerechten Welt lebten. Kinder spielen jederzeit überall mit allem. Wir Erwachsenen brauchen die Spielplätze, weil wir Kinder nicht überall mit allem spielen lassen wollen. Der Spielplatz ist ein hochkomplexer sozialer Funktionsraum. Als Treffpunkt unterschiedlicher Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Leider wird der Spielplatz noch immer nur als Bewegungsaktivplatz gesehen, als Gegenpol zur Schule, es sind quasi Abreagierungs-Plätze. Kinder möchten gern was tun, was verändern, wie die Erwachsenen auch, wenn Sie in ein möbliertes Appartement kommen räumen Sie da auch erst mal um.

Was bedeutet das für den Spielplatz?
Planer und Stadt haben oft Angst vor Vandalismus. Ein Landschaftsarchitekt sagte mir: „Ich habe so einen schönen Spielplatz geplant und dann sind die Kinder gekommen und haben alles kaputt gemacht.“ Das war dann aber kein Spielplatz sondern dekorierte Landschaft. Auf einem Spiegelände muss die Benutzung nicht als Zerstörung gesehen werden. Zwischen Büschen laufen, Trampelpfade machen, im Erdreich buddeln – das ist Spielen und nicht Vandalismus.

Wie wird man den Kindern besser gerecht?
Mit Wasser, Sand, Matsch kann ich etwas verändern, ohne etwas zu vernichten. Ich kann bauen, kann verändern, erlebe Kälte, Wärme, Feuchtigkeit, Trockenheit, ich kann gestalten. Auch reine Wasserspielplätze machen Sinn, (ohne Matschen, wenn Eltern Angst vor Dreck haben). Denn mit Wasser kann man Wellen machen, Wasserräder, Schleusen, Schöpfer bedienen und wie im Erfahrungsfeld der Sinne nach Hugo Kükelhaus die Elemente erfühlen. Aber auch Hütten, Türme, Brücken können für Rollenspiele und Fantasiewelten wichtig sein. Monogeräte, wo nur gerutscht oder geschaukelt wird, werden schnell langweilig und Langeweile führt zu Mißbrauch der Geräte.

Doch Wasserspielplätze sind nicht für das ganze Jahr geeignet…
Das Problem ist, das Wasser wird im Winter abgedreht, was kann das Kind dann machen mit den Geräten? Das Risiko ist groß, dass die Kinder versuchen, auch ohne Wasser daran zu spielen und das müssen Anlage und Geräte auch aushalten, ohne kaputt zu gehen.

Wie sieht es auf den Wasserspielplätzen mit der Hygiene aus?
Wenn Wasser auf Spielplätzen angeboten wird, dann ist heute Trinkwasser auf dem Spielplatz Pflicht. Mittlerweile sogar so, dass es aus der direkten Leitung sehr kurz bezogen wird, damit das Wasser nicht steht und sich keine Keime bilden. Teiche oder Bäche sind zum Spielen für Brücken, Flöße oder Wasserräder möglich. Aber dies Wasser sollte nicht zum Matschen oder hochgepumpt zum Spielen benutzt werden.

Ist die Interaktion zwischen den Kindern auf dem Spielplatz stärker?
Wir haben immer mehr Einzelkinder und die sind oft zu scheu, mit anderen Kindern direkt in Kontakt zu treten. Deshalb sollten Spielgeräte und Spielsituationen gesucht werden, wo Kinder nur miteinander mehr Spielerfolg haben: statt der Einzelschaukel lieber die Nestschaukel. Mit ihr schaukeln viele Kinder gleichzeitig, für ein Einzelkind ist sie zu schwer zum Schwungholen. Sie animiert, dass Kinder zusammen spielen.

Sind die Spielplätze heute steriler?
Die meisten Spielplätze sind flache Flächen, wo man von einem Ende zum anderen Ende alles überwachen kann. Aber eine Spiellandschaft mit Hügeln, Tälern, Büschen und labyrinth-artigen Hecken ist eine bessere Spielerlebniswelt. Wir müssen unsere Kinder nicht jederzeit sehen und überwachen können. Wenn wir sie hören, können wir reagieren, wenn wir gebraucht werden. 50 bis 80 Meter weit hören wir gut, ob die Kinder Spielkrach machen oder wirklich in Gefahr sind. Und Kinder akzeptieren Grenzen und laufen nicht weg, wenn sie sich wohlfühlen. Allerdings kann das Weglaufen auch Spielaufforderung an die Eltern sein. Also die Kinder manipulieren die Eltern, doch das ist eine Verhaltensfrage und sollte nicht als Argument für sterile Spielplätze mißbraucht werden

Neue Spielplätze haben oft Fallschutzboden aus Gummi, was halten Sie davon?
Der ist in England sehr hoch gejubelt worden, eine Zeit war fast jeder neue Spielplatz dort mit Gummiboden ausgestattet. Durch schlechte Erfahrungen ist man jetzt in England wieder davon abgekommen. Denn der Gummiboden suggeriert nur eine Sicherheit. Durch die Stopperwirkung des Gummis kommt es leicht zu Gelenk- und Knöchelverletzungen durch Umknicken. Auch Schürfverletzungen passieren öfter als auf natürlichem Untergrund. Außerdem verführt die scheinbare Sicherheit zu leichtsinnigem Verhalten. Denn das Kind verhält sich selbstsichernd, wenn es die Gefahr erkennt. Als sicherer Untergrund ist Perlkies oder Sand immer noch die beste Wahl.

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