28.06.2021

Projekt

Club L94 erregt mit Brüder-Grimm-Platz Gemüter

Brüder-Grimm-Platz

Brüder-Grimm-Platz

Club L94 gewann im November 2020 den Wettbewerb zum Brüder-Grimm-Platz in Kassel. Nun sorgt der Neugestaltungs-Entwurf für Aufregung. Die einen bezeichnen ihn als kitschig. Andere hingegen wollen keinen Wald in der Stadt. Wohin die Diskussion führt, ist derzeit noch offen.

Schlagworte wie Märchenwald oder Kitsch irritieren zunächst. Solche Bilder kommen keinem in den Sinn, der den Brüder-Grimm-Platz heute kennt. Denn der Platz liegt inmitten der Kassler Innenstadt und ist im Grunde genommen ein Verkehrsknotenpunkt. Hier kommen alle erdenklichen Verkehrsmittel zusammen. Kurz gesagt: Hier kreuzen sich die Wege von Autos, Straßenbahnen, Radfahrer- und Fussgänger*innen. An Platzqualität und Aufenthalt ist dort nicht zu denken. Das soll sich ändern. Deshalb fand im vergangenen Jahr ein zweiphasiger Wettbewerb zur Neugestaltung statt. Den haben die Landschaftsarchitekt*innen vom Kölner Büro Club L94 zusammen mit dem Ingenieurbüro Röver aus Gütersloh gewonnen.

Brüder-Grimm-Platz in Kassel, Lageplan. ©club L94 Landschaftsarchitekten GmbH

Brüder-Grimm-Platz – Teil der Wilhelmshöhe

 

Die Märchenbrüder Grimm wohnten früher dort, wo heute der Verkehr rauscht. Infolgedessen wurde der ehemalige Wilhelmshöher Platz eines Tages umbenannt. Obwohl er heute Brüder-Grimm-Platz heisst, liegt er noch immer am Auftakt der Wilhelmshöher Allee. Diese führt schnurgerade aus der Stadt Kassel heraus. Weit in der Ferne endet sie im Bergpark mit der markanten Herkules-Statue. Die gilt als Wahrzeichen für Kassel. Folglich ist der Blick auf den griechischen Halbgott von großer Bedeutung. Schließlich steht er, als Teil des Bergpark Wilhelmshöhe, auf der Liste der UNESCO-Weltkulturerbe. Nachdem die Wilhelmshöher Allee als grünes Band aufgewertet ist, steht nun auch die Neugestaltung des Brüder-Grimm-Platzes an.

Verkehrsplatz mit Aufenthaltsqualität

Der Brüder-Grimm-Platz soll als Bindeglied zwischen der Wilhelmshöher Allee und der zentralen Einkaufsstraße von Kassel aufgewertet werden. Darüber hinaus ist der Platz wichtiger Trittstein in der Kassler Museumslandschaft. Baudenkmäler wie das Hessische Landesmuseum, die Murhardsche Bibliothek und das Torhaus Wohnhaus der Märchenbrüder säumen seine Ränder. Deshalb fragte der Wettbewerb nach Gestaltungsideen zur Verknüpfung der Platzfläche mit den angrenzenden Straßenräumen. Es soll ein grüner städtischer Platz mit hoher Aufenthaltsqualität entstehen. Zugleich muss er vielen verkehrlichen Anforderungen gerecht werden.

Perspektive. ©club L94 Landschaftsarchitekten GmbH
Detailschnitt. ©club L94 Landschaftsarchitekten GmbH
Detail, Vorplatz. ©club L94 Landschaftsarchitekten GmbH

Brüder-Grimm-Platz: Neuer Entwurf von Club L94

 

Die Landschaftsarchitekt*innen vom Büro Club L94 überzeugten die Wettbewerbsjury mit ihren Ideen. Sie setzten sich in der zweiten Phase durch und gewannen neben bbzl aus Berlin einen ersten Preis. Club L94 interpretiert die Historie des Ortes neu und übersetzt die ursprünglichen Platzgestaltungen in einen zeitgenössischen Kontext, beschreiben die Verfasser*innen ihren Entwurf. Sie greifen das alte Baumrund von 1781 und eine Pentagonform von 1913 auf und überführen sie in einen lichten Waldkreis. Der Wald war auch zentrales Motiv in den Märchen der Brüder Grimm. In seiner urbanen Version von Club L94 wächst unter hochstämmigen Kiefern und Lärchen eine niedrige Unterpflanzung aus Waldstauden und Farnen. Umgeben ist der Kreis von einer umlaufenden Stufe, die die Grenze zwischen Platzraum und Wald bildet. Die angrenzenden, gepflasterten Bereiche vor den historischen Gebäuden bleiben frei.

Stein des Anstoßes

Wenngleich der Wald zentrales Element des Entwurfes ist, wird er durch eine Spur für Autos und Straßenbahnen durchschnitten. Das sieht die Jury des Wettbewerbs kritisch. Andere Kritiker*innen stören sich nicht an der Querung des Rondells durch Verkehr. Sie stürzen sich auf andere Elemente des Entwurfs. Sie kritisieren zum Beispiel Wasserdunstdüsen am Randes des Waldes, die den Brüder-Grimm-Platz mit kühlendem Nebeldunst besprühen. Gleichermaßen wird die Beleuchtung der grünen Platzmitte kritisiert. Dort sieht Club L94 kleine Lichtstäbe auf dem Boden vor. Zwischen den Baumstämmen erinnern dann Lichtelemente an Glühwürmchen und Geister. Ausserdem illuminieren Strahler die Kronen der Bäume. Dieses Lichtspiel soll den Platz in einen „wundersamen Märchenwald“ verwandeln, beschreiben die Entwurfsverfasser*innen ihr Konzept. Insbesondere diese Ideen reizen indes kritische Kasseler*innen.

Visualisierung der Konzeption. ©club L94 Landschaftsarchitekten GmbH
Lichtkonzept. ©club L94 Landschaftsarchitekten GmbH
Explosionszeichnung. ©club L94 Landschaftsarchitekten GmbH

Märchenwald, Sprühnebel und Sternenstrahler

 

Kurz nachdem der Kasseler Stadtbaurat das Ergebnis des Wettbewerbs zur Neugestaltung des Brüder-Grimm-Platzes bekannt gab, wurde Kritik laut. „Wie könne es sein, dass durch den vorgesehenen Märchenwald die Sichtachsen entlang der Wilhelmshöher Allee und aus Richtung Rathaus zum Hessischen Landesmuseum verstellt werden“, zitiert die Hessisch-Niedersächsische allgemeine Leser*innenstimmen. Auch aus einem Kasseler Bürgerverein wird laut, dass der Märchenwald albern sei. Eine solche Anbiederung hätte die Kulturstadt Kassel nicht nötig, wird der Verein im Hessischen Rundfunk zitiert. Auch das Beleuchtungskonzept und die Nebeldüsen regen zur Kritik. Ein ehemaliger Professor der Kunsthochschule bezeichnet die Ideen als „tiefer Griff in die Klischeekiste.“ Andere Stimmen fürchten, dass Kiefernzapfen Straßen und Schienen verdrecken. Dass die Wälder rund um Kassel den Brüdern Grimm als Inspiration dienten, würde reichen. Dort solle die Natur bleiben, sagen wiederum andere Stimmen.

Wie geht es weiter?

Der Stadtbaurat ist überrascht. Er ist an Kritik gewöhnt, wenn Bäume gefällt werden. Aber für das Pflanzen neuer Bäume ist er bisher nicht angegangen worden. Gerhard Matzig greift den Kasseler Streit in der Süddeutschen Zeitung auf. Er plädiert für eine Beteiligung der Bürger*innen. Die sei ohnehin überfällig. Dann sieht er durchaus Chancen, dass der Entwurf von Club L94 Zustimmung finden kann. Wo, wenn nicht in der Beuys-Stadt der „Stadtverwaldung“ seien Bäume sinnfälliger, fragt Matzig. Ähnlich optimistisch schätzt Club L94 die Lage ein. Die Landschaftsarchitekt*innen sind sicher, dass der Entwurf lediglich mehr Vermittlung braucht, um die Bürger*innen zu überzeugen. Ob das in Kassel gelingt, bleibt abzuwarten.

Mehr zu den Projekten von Club L94 lesen Sie hier.

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