Das Berliner Modellprojekt Campus Rütli CR² im als sozialer Brennpunkt wahrgenommenen Quartier gründet auf der Idee, dass Bildung der Schlüssel für Integration ist. Im dialogischen Austausch mit dem Akteur*innen hat das Büro studio polymorph Landschaftsarchitekten differenzierte Freiräume zwischen rauer Urbanität und einem „Grünen Saum“ geschaffen. Insgesamt ist ein Ort der gelebten Vielfalt entstanden, ein Lebensraum für die Schülerschaft und für ein Miteinander innerhalb einer von Heterogenität geprägten Nachbarschaft. Im Folgenden stellt studio polymorph das Berliner Projekt selbst vor.

Gefragte Schulplätze am Campus Rütli
Im Jahr 2006 ging ein „Brandbrief“ durch die Medienlandschaft. Die Rede war von einer schwierigen Schülerschaft, deren Verhalten geprägt sei „durch totale Ablehnung des Unterrichtsstoffes und menschenverachtendes Auftreten.“ Und weiter: „Wir sind ratlos.“
2007 beschloss der Bezirk Neukölln ein Konzept, das neben einem integrierten Bildungs- und Sozialisationsangebot ein Zusammenwachsen der unterschiedlichen Einrichtungen am Campus Rütli vorsah. Getragen von dem Leitgedanken „Kein Kind, kein Jugendlicher geht verloren!“ zielt das Konzept auf ein ganzheitliches Angebot, „damit Kinder und Jugendliche ohne Brüche gesund aufwachsen […] – entsprechend ihren Begabungen und Bedarfen“.
Auf dieser Grundlage erfolgte 2009 der Zusammenschluss der Rütli-Hauptschule, der Heinrich-Heine-Realschule sowie der Franz-Schubert-Grundschule zur Gemeinschaftsschule auf dem Campus Rütli. Es folgte die Einführung einer gymnasialen Oberstufe und die organisatorische Verknüpfung mit zwei Kindertagesstätten, einem Kinder- und Jugendclub. Heute verzeichnet die einstmals „schlimmste Schule Deutschlands“ (Der Tagesspiegel) eine Übernachfrage an Schulplätzen.
Stadtraum, Kontext und Identität
Als erste bauliche Ergänzung wurde eine Quartierssporthalle (plus 4930 Architekten) auf dem Campus realisiert. Für die Planung weiterer Ergänzungsbauten (unter anderem Schulerweiterung, Stadteilzentrum, Pädagogische Werkstatt et cetera) sowie der Freianlagen wurde 2011 nach einem gewonnenen Wettbewerb das Team von Schulz und Schulz Architekten mit studio polymorph (vormals Stefan Bernard Landschaftsarchitekten) beauftragt.
Der Wettbewerbsentwurf sieht städtebaulich eine strenge Anordnung der Neubauten vor, die sich im Zentrum zu einem großzügigen, öffentlichen Campusplatz öffnet. Für das Gestaltungskonzept der Freianlagen war die Frage der Identität im Sinne von Unterscheidbarkeit und Besonderheit bedeutsam. Ziel war es, den Campus Rütli CR² als einen zum gegebenen Kontext Nord-Neukölln eigenständigen Stadtraum les- und erlebbar zu machen. Im Ergebnis entstand ein offener urbaner Stadtraum mit glatten, frei bespiel- und berollbaren Asphaltoberflächen als Komplementär zum ansonsten rauen, großsteindominierten und verdichteten Umfeld.
Strukturell gliedert sich das Freiraumkonzept in eine urbane Campusmitte und einem akteursbestimmten, kleinteiligen „Grünen Saum“. Die Campusmitte als öffentlicher Bewegungs- und Sozialraum zielt auf Großzügigkeit, Offenheit und Robustheit. Zentraler Teil der Campusmitte ist der Campusplatz auf welchem sich Schulnutzungen mit (öffentlichen) Bedarfen überlagern. Demgegenüber bedient der „Grüne Saum“ die Ansprüche akteursbestimmter Gemeinschaftsflächen, welche vielfältig kleinteilig, differenziert und „eigenbestimmt grün“ sind. Hier finden sich auch die geschützten Bereiche unter anderem für die Kitas, die neu gestalteten Pausen- und Sportflächen für die Schülerschaft sowie der „Große Garten“.
Stringente Urbanität und Inklusives Patchwork
Die zentrale Mitte des Campus Rütli ist das soziale Herz und wird von den Neubauten der Schulerweiterung, dem Elternzentrum sowie der bestehenden Kita räumlich gefasst. Der Platz ist zentraler Verteiler und dient zugleich als Pausenfläche für die Mittel- und Oberstufe der Schule. Baumpflanzungen und große Bühnen gliedern den Platz und schaffen differenzierte Bewegungs-, Rückzugs- und Aufenthaltsorte ebenso wie klar definierte Adressen zu den unterschiedlichen Einrichtungen. Durch den Belag aus Asphalt ist der Campusplatz robust und multifunktional nutzbar. Er dient als Ort der Begegnung für alle Nutzenden und kann Veranstaltungsort für die Anwohnenden des angrenzenden Kiezes werden.
Die den Campusplatz erschließende Allee von Bestandsbäume der entwidmeten Rütlistraße wurde als prägendes Element erhalten. Die bisherige Differenzierung zwischen Straßen- und Gehwegbereich wurde aufgelöst, zu einer niveaugleichen Fläche zusammengefasst und ebenfalls aus einem einheitlichen glatten Asphalt hergestellt. Begleitende Sitzelemente mit farbigen Sitzauflagen erhöhen die Aufenthaltsqualität.
Die drei Zugänge zum Campus sind als Vorplätze gestalterisch hervorgehoben und verweben sich mit dem Quartier. Die Plätze werden mit einem farblich abgesetzten Betonstein befestigt, um eine gute Benutzbarkeit für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen zu gewährleisten. Sitz- und Aufenthaltsgelegenheiten laden zum Verweilen und zum sozialen Agieren ein.
Differenzierte Schulfreiräume am Campus Rütli
Eine Überlagerung von Pausenflächen mit öffentlichen Nutzungen ist nur für die älteren Schuljahrgänge möglich. Die Pausenflächen für die kleineren Kinder müssen dahingegen geschützt werden. Diese Bereiche sind konzeptionell im – vom öffentlichen Bereich abgetrennten – „Grünen Saum“ organisiert. Die Gestaltung der Schulfreiräume der Gesamtschule suchte danach, Nutzungskonflikte zwischen den unterschiedlichen Altersstufen zu vermeiden und die Schutzbedürfnisse der Kleinsten zu berücksichtigen. Gleichzeitig jedoch war es das Bestreben, ein informelles Voneinander-Lernen zu ermöglichen.
Der Pausengarten für die Klassenstufen 1 bis 6 ist im rückwärtigen, geschützten Bereich des Schulerweiterungsbaus verortet. Unterschiedliche Spielbeläge (Sand, Holzhäcksel) mit Spielgeräten zum Klettern (Kletterwand, Kletternetz, Reckstangen, Spielhügel mit integrierten Seil-, Röhren- und Stangenspielelementen) prägen diesen Bereich.
Südlich daran und barrierefrei über einen geneigten Weg verbunden schließt der Bereich für die Klassenstufen 7 bis 10 an. Eine komplexe Treppen- und Sitzstufenanlage spiegelt die Formensprache des neuen Mensapavillons und dient gleichzeitig als schattiges grünes Klassenzimmer und informeller Aufenthaltsort. Sitz- und Kletterelemente („Wandernde Linien“) sind in unterschiedlicher Dichte und Anordnung verortet und setzen farbliche Akzente. Strauchpflanzungen bieten Rückzugs- und Versteckräume und dienen zudem der räumlichen Trennung zu den Nachbar*innen.
Campusplatz nach Schulschluss für Öffentlichkeit zugänglich
Die für alle Jahrgänge benutzbaren Außensportflächen, wie 100-Meter-Bahn, Weitsprunganlage oder Kleinspielfelder sind im Vorbereich der nördlich anschließenden Quartierssporthalle verortet. Ergänzend wurden hier eine Gymnastikwiese, Tischtennisplatten und ein modelliertes Gelände mit Sträuchern, Bäumen sowie Findlingen zum Spielen und Verweilen vorgesehen.
Eine Besonderheit stellen die lang gestreckte Sitz-und Spiellandschaft neben der 100-Meter-Bahn in Verbindung mit der 30 Meter langen Kletterskulptur (Netzspielfläche) mit markanten roten Pfosten dar. Diese Attraktoren werden wiederum ergänzt durch den ruhigen, schattigen Baumhain mit Tisch-Bank-Kombinationen zum Treffen und draußen Lernen.
Zum Campusplatz hin wurde ein Bolz- und Basketballplatz aus EPDM-Belag verortet. Es ist der Offenheit der Campus- und Schulleitung zu verdanken, dass dieser Platz tagsüber der Schule vorbehalten ist, jedoch nach Schulschluss auch für Schulfremde und Sportvereine zugänglich gemacht werden kann – Schule trifft auf Öffentlichkeit.
2023 wurde als bislang letzter Bauabschnitt der „Große Garten“ am Campus Rütli realisiert. Diese weiche, gründominierte Oase ist Ort für geschützte gemeinschaftliche Schulaktivitäten (Schülergärten, grünes Klassenzimmer et cetera). Jedoch sind ausdrücklich nachbarschaftliche und campusrelevante Nutzungen möglich und erwünscht.
Resümee und Ausblick
In den kommenden Jahren erfolgen weitere hochbauliche Maßnahmen am Campus Rütli. So wird derzeit die bestehende Schule saniert und ein Neubau für den Jugendclub Manage ist in Planung. Nach deren Fertigstellung werden auch die letzten noch fehlenden Freianlagen am südlichen Campus realisiert werden.
Büroprofil
studio polymorph (SPL) ist ein Landschaftsarchitekturbüro mit dem Anspruch, maßgeschneiderte und spezifische Freiräume zu entwerfen. Über 50 erfolgreiche Realisierungen, rund 500 Wettbewerbsbeiträge und 20 laufende Projekte in Deutschland und Italien bezeugen unsere Erfahrung. Basis dafür ist ein wunderbares und eingespieltes Team, das sämtlichen
Aufgaben mit Leidenschaft und Kompetenz begegnet.
Besondere Leidenschaft von studio polymorph ist die Gestaltung von Bildungseinrichtungen wie Kitas, Schulen oder Universitätscampus. Weitere für die Arbeit von SPL relevante Referenzen sind der Heinrich-König-Platz in Gelsenkirchen, die Außenanlagen des Klosters Eberbach sowie die Außenanlagen am Brauhausberg in Potsdam.
Weitere Informationen zu den Projekten und der Herangehensweise des Büros finden Sie auf der Webseite sowie auf Instagram und LinkedIn.
Die Märzausgabe der G+L widmet sich dem Thema Schulen: Wie ein Schulhof im Jahr 2025 aussehen sollte, was sich Schüler*innen und Leher*innen wünschen und wie es an Deutschlands Schulen um digitale Bildung bestellt ist, erfahren Sie in den Projektvorstellungen, Interviews und Kommentaren der Märzausgabe. Das Heft ist hier im Shop erhältlich.
Ergänzend zum Heft gibt es auf der Webseite der G+L hier weitere Schulhofprojekte zu entdecken.