Im bayerischen Freising gestaltet das Büro Latz + Partner die Freianlagen auf dem Domberg neu. Mit Domplatz und Domhof wurde im Frühling 2024 der erste Bauabschnitt eröffnet. Im Interview zum Projekt erläutern Iris Dupper und Tilman Latz von Latz + Partner, was ihr Projekt ausmacht, welche Ansprüche heutzutage an den Domplatz gestellt werden und wie sie die Anlagen auf dem Domberg Freising inklusiver gestalteten.
Ein einzigartiger Resonanzraum
Redaktion G+L: Im Mai dieses Jahres eröffneten Sie den ersten Bauabschnitt Ihres Projektes auf dem Freisinger Domberg: Domplatz und Domhof, beide jeweils neu gestaltet beziehungsweise weiterentwickelt. Was zeichnet das Projekt aus?
Iris Dupper und Tilman Latz: Das Durchschreiten der Torbögen zu den neuen Freiräumen auf dem Domberg wird durch die Umgestaltungen zu einem besonderen Moment: Mit seiner durchgehenden, hellen Oberfläche erscheint der Domplatz wie eine Augenweide zwischen den umliegenden Fassaden von Dom, Marstall, Residenz, St.-Johannes-Kapelle und den Toren zum Belvedere. Locker verteilte Bänke markieren die Platzränder und erlauben heute lockeren Aufenthalt. Ein Brunnen erhebt sich in der Mitte, Wasser fällt aus größerer Höhe aus einem Füllhorn. Sanft plätscherndes Wasser erfüllt den Raum und untermalt die alltäglichen Geräusche von Passanten, Besuchenden, Musikschule und Kirchenveranstaltungen.
Man erlebt nun den Dom neben Dombrunnen und Residenz, zwischen den hohen Domtürmen, Otto von Freising im Grünen und dem schweifenden Ausblick über die flussbegleitenden Isar- und Moosachauen bis hin zum Alpenrand. Es ist ein einzigartiger Resonanzraum entstanden, der zum Verweilen einlädt. In diesem kommt man zur Ruhe, bevor man weiter in den Dom oder den Marstall geht.
Zentraler Brunnen am Domberg Freising wiedererrichtet
Wie sind sie zu der Gestaltung der zentralen Freiräume auf dem gekommen?
Drei Entscheidungen waren wesentlich:
Zunächst lässt sich eine konsequent kontextuelle Sprache auf den Domplatz und Domhof mit angemessener Materialität und Formensprache ein. Sie unterstreicht die räumlichen Gegebenheiten, wie unterschiedliche Baustile, Dimensionen und Materialität der begrenzenden Fassaden. Beide Räume haben mit diesem Ansatz eine jeweils in sich stimmige Einheit ausgebildet. Gleichzeitig trägt diese zur neuen Vielfalt von Räumen auf dem Domberg bei. Diese Vielfalt entspricht dem historisch überlieferten Bestand an Bauten und Baustilen.
Dann wurde von einer grob gekiesten Fläche zu einem gepflasterten, fein strukturierten Domplatz gewechselt. Dadurch werden auch die Nutzungsmöglichkeiten zeitlich und qualitativ deutlich erweitert und verbessert. Ein diagonal in Passé gesetztes, helles Pflaster stellt ein zurückhaltendes und gleichzeitig robustes Gleichgewicht zu den Architekturen her. Für das Pflaster kam Wachenzeller Dolomit mit Formaten von 8 x 8 bis 12 x 12 Zentimetern mit fein gekrönter Oberfläche und gespaltenen Seiten zum Einsatz. Es wird von materialgleichen, fächerartig gesetzten Plattenstreifen durchzogen. Diese Streifen führen die asymmetrisch zueinander stehenden Fassaden von Dom und Residenz zusammen. In ihrer Größe abgestufte, halbrunde und runde Fassungen betonen die den Plätzen zugewandten Eingänge und den zentralen Brunnen. Dabei wurden die Hauptakteure – Dom, Residenz und Dombrunnen – repräsentativ in der Fläche herausgearbeitet.
Schließlich erhält der Domplatz über die Wiedererrichtung eines zentral gesetzten Brunnens eine seiner Bedeutung entsprechende, attraktive Mitte zurück.
Räumliches Gefüge neu wahrnehmbar
Was ist der historische Hintergrund des wieder errichteten Brunnens?
Der neue Brunnen interpretiert die vielen Erscheinungsformen, die diese Wasserstelle bis zu seiner Entfernung in der Säkularisation 1803 hatte: erst Pferdeschwemme, dann barocker Brunnen, aber ab 1857 nur noch ein Pflanzbeet mit einer Skulptur von Otto von Freising. Ein neues Rund aus gespaltenen Flusskieseln fasst einen horizontal eingepassten Sockel. Darauf findet sich der neue Brunnen aus Untersberger Marmor mit einer hohen Säule, an dessen Spitze die historische Figur des „Mohren“ ein Füllhorn als Wasserquelle hält. Die Skulptur ist tatsächlich das Original des Hoheitszeichens des Hochstifts Freising. Gemeinsam mit dem Bauherrn beschlossen wir, den Brunnen wieder auf den Domplatz zu stellen. Die Figur von Otto von Freising von Bildhauer Kaspar Zumbusch sollte in Folge dessen in den stilleren, erstmals grünen Domhof versetzt werden. Von dort blickt er heute auf den Durchgang zum Domplatz und die beiden Domtürme, umgeben von Insekten-umschwärmten, schönen Blumen.
Durch diese Veränderungen entstand eine neue Wahrnehmung der Raumfolgen auf dem Domberg.
Zeitgemäße Gestaltung gefragt
Inwiefern muss ein Domplatz anderen Anforderungen gerecht werden als ein profaner Stadtplatz? Wie zeigt sich das in der Gestaltung am Domberg in Freising?
Historisch standen sowohl bei einem Domplatz als auch bei einem „profanen“ Stadtplatz Repräsentationsmöglichkeiten, Funktionalität und Alltagstauglichkeit gleichermaßen im Vordergrund. Im Detail wies die Symbolik geistlicher und weltlicher Art jedoch oft Unterschiede auf. Kirchliche Auftraggeber formulierten nicht selten einen deutlich höheren Anspruch an gestalterische Setzungen. Zudem beauftragten sie mitunter große Baumeister und Künstler für die Gestaltung öffentlichen Raums.
Heute müssen sich beide in gewisser Weise „neu finden“ und gleichermaßen mit oft überbordenden Rechtsvorschriften und Normen, lokalem Denkmal- und Naturschutz, komplexen technischen Anforderungen auseinandersetzen. Man denke nur an unterirdische Leitungen oder Bauten und zunehmende Herausforderungen des Klimawandels. Eine zunehmende Rolle spielen öffentliche Interessenlagen einer diverseren Freizeitgesellschaft, Platz-Klischees und kurzlebige Moden.
Spezifisch am Domplatz Freising ist die Beauftragung durch einen kulturell hochambitionierten, gleichzeitig verantwortlich handelnden wie gesellschaftlich engagierten, privaten Auftraggeber. Das Erzbischöfliche Ordinariat München (EOM) beauftragte uns 2022 mit der Bearbeitung der öffentlichen Räume auf dem Domberg: Domplatz mit Belvedere, Domhof und Kreuzgarten, Flächen im und um die Residenz, Neubau des Kardinal-Döpfner-Hauses (KDH) und um Diözesanmuseum wie auch langer Anger. Der Domberg ist das geistliche Zentrum der Erzdiözese München und Freising. Es ging der EOM um eine zeitgemäße Gestaltung, die einerseits eine angemessene Antwort auf die komplexe räumliche Situation aus verschiedensten Jahrhunderten anzubieten vermag. Andererseits ging es auch darum, verschiedene öffentliche wie private Nutzungsanforderungen und diffizile Fragen des Denkmalschutzes zu integrieren. Auch die besondere Geschichte des Ortes und Bedeutung für Freising galt es zu berücksichtigen.
Plätze zum Im-Augenblick-Verweilen auf dem Domberg Freising
Worauf mussten Sie bei der Umgestaltung achten und was haben Sie im Zuge Ihres Projektes am Domberg im Freising umgesetzt?
Wichtig waren dem Bauherrn zum einen Sicht- und Wegebeziehungen, vor allem zwischen Residenz und Dom, die zum Beispiel bei Prozessionen wichtig sind. Zum anderen waren Nutzungen für Feste mit Musik, Veranstaltungen und Märkte relevant. Die Lage des Brunnes erklärt sich unter anderem durch die gleichzeitige Bedeutung von direkter Verbindung und Inszenierung solcher Bewegungen. Eine Betonung der Hauptbezugsfassaden aus denkmalpflegerischer Sicht war es am Ende auch, die eine Setzung von Bäumen grundsätzlich problematisch erscheinen ließ. Hinzu kamen schwierige Untergrundverhältnisse, die nachhaltige Baumpflanzungen nicht ermöglichten.
Die Akzentuierung der Haupt- und Nebenakteure in der Fläche forderte eine intensive Auseinandersetzung mit der Topografie und Ausrichtung des Platzes. So entwickelten wir ein regelmäßig-konkave Gestaltung des Platzes, die die Fassaden um den Platz betont und den Brunnen in der Mitte unterstützt. Bei einer deutlich im Gefälle liegenden, unversiegelten Platzfläche – ein wichtiges Nachhaltigkeitsziel – mussten wir daher von einer Punktentwässerung auf eine Linienentwässerung wechseln.
Der zentrale Domplatz, als unter Denkmalschutz stehendes Bodendenkmal und Hauptzugang zum Dom und Residenz, und der Domhof, als Nebeneingang in die Dombibliothek und barrierefreier Zugang zu Sakristei und Kreuzgang, sind zum Start der Bayerischen Landesausstellung am 7. Mai 2024 fertiggestellt worden. Nun gibt es auf dem Domberg Plätze zum Verweilen im Augenblick und ohne Konsumzwang.
Bei der Erstellung des letzten Bauabschnittes wird uns noch die Problematik der zur Parkhauszufahrt führenden Straße beschäftigen, die quer über den oberen Platzbereich verläuft. Deren Integration und die gleichzeitige Sicherung der Platzfläche gegen unkontrolliertes Parken wird aber erst mit Abschluss der Bauarbeiten an der Residenz erfolgen.
Kleine, aber bedeutsame Schritte
Wer schon einmal auf dem Domberg in Freising war, weiß, dass es dort steil hinauf geht. Ein wichtiger Aspekt Ihres Projektes ist Barrierefreiheit. Wie konnten Sie diese bei der Neugestaltung von Domplatz und Domhof verbessern? Und wo stießen Sie dann doch an Grenzen und warum?
Ein topografisch exponiertes und denkmalgeschütztes Gelände wie der Domberg ermöglicht nur kleine, aber bedeutsame Schritte hin zu einer inklusiv begehbaren Anlage.
Neben der Befestigung von Domhof und Domplatz und weg von einer Rieselfläche sind es vor allem kleine Maßnahmen. Das sind zum Beispiel das Anbringen von Handläufen an allen Treppen, rampenartige Zugänge und ebene Durchwegungen mit maximal 5 Prozent Neigungen in den Einzelflächen. Zur Barrierefreiheit gehören für uns ebenfalls die Bereitstellung öffentlicher Toiletten im Durchgang zum Domhof sowie die Positionierung von ausreichend Bänken zum Ausruhen.
Dennoch wird es auch weiterhin Bereiche geben, die nur über Stufen oder deutlich steilere Rampen erreichbar sein werden, wie zum Beispiel das Erreichen der Domberggasse. Dazu gehört zum einen das Belvedere, dessen Einfriedung nicht verändert werden kann. Auch werden wir keine Rampen in den Anger einfügen, um gegebenenfalls die Erschließung zwischen Domberggasse und den verschiedenen Plätzen zu verbessern. Des Weiteren wirkt der Baumbestand auf das Mikroklima.
Freilich war hierzu die wichtigste Entscheidung der EOM, einen Schrägaufzug auf der Südseite des Domberges anzubringen. Dieser verbindet, gut zwischen Bahnhof und Fußgängerzone gelegen, das allgemeine Stadtniveau direkt mit dem Diözesanmuseum. Tatsächlich kann der Schrägaufzug bereits als weitere Attraktion des Dombergs verstanden werden.
Projektdaten
Auftraggeber: Erzdiözese München und Freising
Konzeption: Latz + Partner Prof. Tilman Latz und Iris Dupper
Projektleitung: Dennis Pytlik, Dörte Dannemann
Mitarbeit: Roland Jakob, Junyue Deng, Vera Margasova
Planung seit 2022, Realisierung BA1 Mai 2024
LPH 6–8: NU Stefan Huber Landschaftsarchitektur
Fläche: circa 1 Hektar
Interviewees
Iris Dupper, Landschaftsarchitektin, ist Partnerin und Geschäftsführerin von Latz + Partner. Zuvor hatte sie Studios Îlot für Landschaftsarchitektur, München, gegründet. 2006 war sie die erste Rompreis-Stipendiatin der Villa Massimo für Landschaftsarchitektur.
Tilman Latz, Landschaftsarchitekt, Architekt und Stadtplaner, ist seit 2011 Inhaber und Chefdesigner von Latz + Partner. Seit 2022 hat er die Professur für Planen und Entwerfen in der Landschaftsarchitektur an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf inne.
Anmerkung der Redaktion: Der Begriff des „Mohr“ bzw. des „Freisinger Mohr“, der sich auch im Wappen des Landkreises findet, ist in der Bezeichnung des Brunnens sowie der Berichterstattung zu diesem gängig. Zum Hintergrund des Wappens sowie zur Verwendung des Begriffs findet sich eine Erklärung auf der Webseite des Landkreises Freising.
Andere Quellen schätzen den Begriff kritischer ein, so beispielsweise die Ausführungen des Instituts für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität Berlin zur Umbenennung der „Mohrenstraße“.
Im Zusammenhang mit dem Begriff gibt es immer wieder Debatten um Umbenennungen, wie etwa auch in dem bereits erwähnten Fall der Berliner Straße und gleich benannten U-Bahn-Station „Mohrenstraße“.
Weiterlesen: In der Oktoberausgabe 2024 der G+L widmen wir uns Orten des Glaubens. Das Heft ist in unserem Shop erhältlich. Einen ersten Einblick in die Ausgabe gibt Theresa Ramisch in ihrem Editorial.