10.02.2021

Porträt

„Die Kombination ­aus Ökologie und ­Ästhetik ist eine ­dänische ­Tugend“

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Wer an dänische Planung denkt, dem fallen vermutlich als erstes Bjarke Ingels und Jan Gehl ein. Dänische Landschafts­architektur jenseits der großen Namen ist nicht ganz so einfach zu überschlagen. Wir sprachen mit Ellen Braae, Professorin für Landschaftsarchitektur an der Universität Kopenhagen. Sie erklärte uns, was dänische Landschaftsarchitektur ausmacht, ­warum sie Projekte aus der Nachkriegszeit besonders begeistern und warum es nicht ausreicht, einfach alles zu begrünen.

Prof. Ellen Braae ist Landschaftsarchitektin, Architektin und Professorin für Landschaftsarchitektur an der Universität Kopenhagen.

Cloudburst-Management-Plan rückte LA in den Fokus der Öffentlichkeit

 

Ellen Braae, die dänischen Stararchitekten Jan Gehl und Bjarke Ingels haben eine klare Vorstellung von Stadtplanung. Ihre Slogans „Make Cities for People“ (Macht Städte für Menschen) und „Hedonistic Sustainability” (Hedonistische Nachhaltigkeit) sind sehr einprägsam. Wie stufen Sie ihre Arbeit ein? 

Nun, ihre Arbeit unterscheidet sich sehr voneinander. Jan Gehl befasst sich überwiegend mit der Analyse und Beschaffenheit des Raumes zwischen den Gebäuden und nicht so sehr mit der tatsächlichen Gestaltung des Straßenraumes. Sein Büro wertet größtenteils bereits urbanisierte Gebiete auf.

Der Schwerpunkt von Bjarke Ingels liegt hingegen auf dem gebauten Objekt. Seine Entwurfsstrategie stützt sich darauf, eine robuste Synthese zwischen Problem­definition und möglichen räumlichen und strukturellen Lösungen herzustellen. Dies wiederum ermöglicht, dass das Projekt selbst zum ausdrucksstarken Kommuni­kator wird. Man kann das sowohl als Stärke als auch als Bürde ansehen, da seine Architektur sehr laut spricht.

Bjarke Ingels und auch viele seiner Mitarbeiter*innen sind begabte Designer*innen. Sie beherrschen die gesamte Bandbreite von Meta-Idee bis Detaillierung. Beide leisten auf ihre eigene Art und Weise eine hervor­ragende Arbeit im Bereich Medien und Kommunikation. Somit veranschaulichen sie, dass Architektur gleichzeitig eine Ware, eine Marke und ein Service
sein kann.

Wie sieht dänische Landschaftsarchitektur jenseits des Rampenlichts aus?

Die dänische Landschaftsarchitektur ist sehr sensibel, was Kontext anbelangt – das gilt sowohl für die verschiedenen Einflüsse, das Klima und die Akteur*innen. Aber nicht zuletzt auch für das bereits Vorhandene, das man vor Ort vorfindet, und dessen Neuinterpretation. Hinzu kommen ein starkes soziales Bewusstsein und ein hohes Maß an Designqualität.

Die dänische Landschaftsarchitektur spielt auch bei vielen Projekten der Stadtentwicklung und Stadterneuerung eine sehr ausgeprägte Rolle, indem Sachkenntnisse der klassischen Landschaftsarchitektur mit denen der Planung und des Städtebaus kombiniert werden. Diese Hybridität verwandter Wissensfelder gilt heute als Norm. Viele dieser Projekte werden von Landschaftsarchitekturbüros geleitet, besonders im Bereich der Stadterneuerung.

Wie wird Landschaftsarchitektur in der dänischen Gesellschaft wahr­genommen?

In der breiten Öffentlichkeit wird die realisierte Landschaftsarchitektur durchaus sehr geschätzt. Es ist jedoch allgemein weniger bekannt, dass es sich hier um das Werk von Landschaftsarchitekt*innen handelt, die in dieser Disziplin speziell geschult sind. In Kopenhagen etwa sind die Auswirkungen des gigantischen Cloudburst-Management-Plans aus dem Jahr 2012, der die Stadt vor Starkregenereignissen schützen soll, in den öffentlichen Parks unübersehbar. Hierdurch rückte auch die Profession der Landschaft­sarchitektur in das öffentliche Interesse.

Trend, alles zu begrünen

Womit beeindrucken dänische Landschaftsarchitektur- und/oder Städtebauprojekte Sie?

Es gibt eine große Anzahl wirklich guter Projekte, die umfangreich, komplex und innovativ sind. Was mich jedoch am meisten beeindruckt hat, sind die etwas behutsameren, raffinierteren und differenzierteren Neuinterpretationen und Stadterneuerungsprojekte der Landschaftsarchitektur aus der Nachkriegszeit. Es handelt sich hier um eine völlig neue Art von Projekten. Denn es erfordert viel Sorgfalt sowie unkonventionelles Denken, um Konzepte zu finden, die nicht alles als wertlos erachten und wegwerfen, sondern positiv deuten und auf behutsame Art bearbeiten und erneuern.

Von welchen Projekten sind Sie enttäuscht?

Von denjenigen, die vorherrschende Trends nachahmen, ohne sich mit dem Inhalt zu beschäftigen – wie etwa dem Trend, einfach alles zu begrünen, ohne tiefere Fachkenntnisse des Warum und des Wie, frei von jeglicher künstlerischen Dimension. Jene Projekte ohne Integrität und Poesie, ohne Wissen und Sensibilität. 

Strategisches Design

Vergleicht man dänische und deutsche Landschaftsarchitektur: Wo liegen, Ihrer Meinung nach, die Hauptunterschiede? 

Dieser Vergleich ist vielleicht zu stark vereinfachend. Doch in Deutschland haben Umweltschutz und beispielsweise auch die Wertschätzung von Bäumen und Pflanzen­arten eine lange Tradition. Dies kommt meiner Meinung nach in der deutschen Landschaftsarchitektur zum Ausdruck. Die Kombination aus Ökologie und Ästhetik hingegen könnte man als dänische Tugend bezeichnen. Das soll nicht heißen, dass diese Verbindung nicht auch in der deutschen Landschaftsarchitektur vorzufinden ist.

Wie entwickelte sich die dänische Landschaftsarchitektur in den letzten Jahren?

Im Wesentlichen könnte man sagen, dass die dänische Landschaftsarchitektur in den letzten 20 Jahren ihren Wissensrückstand in der Ökologie aufgearbeitet und in die Praxis integriert hat. Nicht als getrenntes Fachgebiet, sondern als integriertes Wissen. Darüber hinaus kann man eine stärkere Verbindung traditioneller landschaftsarchitektonischer Fachkenntnisse und Praktiken mit denen der Stadtplanung erkennen.

Eine weitere vorherrschende Qualität der aktuellen dänischen Landschaftsarchitektur ist zudem eine Vorgehensweise, die man als strategisches Design bezeichnen könnte. Diese beinhaltet einerseits eine sehr viel stärker ausgeprägte Multiskalarität und andererseits ein Bewusstsein dafür, dass lokale, kleinmaßstäbliche Entwurfsprojekte auch das Potenzial haben, größere Veränderungen anzustoßen.

Einfluss der Bürger*innen stärken

Ellen Braae, Sie lehren an der Universität Kopenhagen. Vor welchen planerischen Herausforderungen stehen Ihre Studierenden?

Insbesondere Komplexität ist eine ständige Herausforderung – sie war es schon immer und wird es immer sein. Eine der wichtigsten Herausforderungen im Bereich der Raumplanung besteht zudem darin, das Top-down-Prinzip mit den Bottom-up-Aspekten zu verbinden – oder anders gesagt, die künftigen Nutzer an den Entscheidungsprozessen zu beteiligen und gleichzeitig ein Resultat von hoher ästhetischer, gerechter, funktionaler und poetischer Qualität zu erzielen.

Was wird die nächste Generation von Planer*innen leisten müssen?

Sie muss viel stärker in die lokalen Kommunen eingebettet werden und in der Lage sein, Raum für einen tiefgehenden Dialog über die lokalen Besonderheiten zu schaffen. Die gewissermaßen globale Methode, mit der Landschaftsarchitektur derzeit gelehrt wird, hat ihre Grenzen.

Wir sollten endlich lernen, einen entwurfs­orientierten Prozess anzuwenden, bei dem wir der Gesellschaft bereits vorhandene Qualitäten unserer Städte viel stärker vor Augen führen, und dazu beitragen, den Einfluss der Bürger*innen vor Ort und somit die Fürsorge und das Verantwortungsbewusstsein für ihre lokale Lebenswelt und Stadtlandschaft zu stärken. 

Prof. Ellen Braae ist Landschaftsarchitektin und Architektin. Gegenwärtig hat sie eine Professur für Landschaftsarchitektur an der Universität Kopenhagen inne. Sie ist Mitgründerin und Leiterin von IKAROS Press, einem kleinen Fachverlag für Planungsthemen.

Ellen Braae spricht am 2. März 2021 am LOST & FOUND. International Online-Symposium trAILs zum Thema “Transforming large industrial landscapes”. Hier gibt es weitere Informationen und die Anmeldung.

Alles zu dänischer Landschaftsarchitektur finden Sie in unserer Dänemark-Ausgabe – der G+L 02/21. Warum sich das lohnt, erklärt Chefredakteurin Theresa Ramisch im Editorial.

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