Mit „Gärtner der Nation“ erschien 2024 die erste kritische Biografie zu Karl Foerster, Deutschlands wohl bekanntestem Gärtner. Autor Clemens Alexander Wimmer setzte sich dafür mit Primärquellen, zahlreichen Figuren aus Foersters Umfeld, seinen schriftstellerischen Werken und mehr auseinander. Wie detailliert Wimmer dabei vorging, welche Foerster-Narrative die Biografie korrigiert und was „Gärtner der Nation“ die Leser*innen lehren kann, analysiert Lars Hopstock in seiner Rezension.

Eine erste kritische Biografie
Über den „Staudenpapst“ und „Gartenmystiker“ Karl Foerster liegen bereits einige Bücher vor, die auf Sekundärliteratur basierend mehrheitlich versuchen, seine züchterische Arbeit und seine gestalterischen Ideen zu beleuchten. An eine Aufarbeitung der umfangreichen Nachlässe der Familie und damit eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Schriftsteller Foerster und seinen pathosgeladenen Natur-Kontemplationen hatte sich bisher niemand gewagt. Und so war Deutschlands bekanntester Gärtner einer der zahlreichen Vertreter seiner Generation, für die jahrzehntelang vor allem nette Anekdoten vorlagen, die man bereitwillig wiederkäute.
Über ein halbes Jahrhundert nach Foersters Tod 1970 legte Clemens Alexander Wimmer im Sommer 2024 eine erste kritische Biografie vor, die nun schon in der zweiten Auflage erscheint. Der in Potsdam lebende Gartenhistoriker, -denkmalpfleger und Landschaftsarchitekt ist als Autor seit Jahrzehnten einschlägig bekannt. In „Gärtner der Nation“ bemüht Wimmer sich spürbar, möglichst viele Fakten für eine bisher nicht mögliche differenzierte Beurteilung Karl Foersters auszubreiten und die Person hinter der berüchtigt neo-romantischer Sprache wirklich greifbar werden zu lassen. Das Vorhaben scheint geglückt und lässt einen angesichts der Dichte der Informationen zuweilen schwindelnd zurück.
Exkurse vertiefen zeitgenössische Fachdiskurse
Das Buch kommt wie ein dicker Roman daher: Auf gut 500 Seiten sind 200 meist winzige Abbildungen verteilt, größtenteils Porträts erwähnter Personen und Dokumente wie Titelblätter, die durch ihre historischen Schrifttypen die Lektüre atmosphärisch bereichern. Die „vier Leben“ – Kaiserreich, Weimarer Republik, Hitler-Diktatur und DDR bzw. Besatzungszeit – sind in zwei bis fünf größere Unterkapiteln eingeteilt. Innerhalb dieser Struktur widmet Wimmer fast jedem Lebensjahr Foersters einen eigenen Abschnitt. Die konzise Sprache ist sehr gut lesbar und dabei reich an Andeutungen zwischen den Zeilen. Die Spannung lässt auch nicht nach, wenn es um quantitative Dinge geht. Auflagenstärken oder die komplexe Editionsgeschichte von Foersters Publikationen (zum Beispiel auf Seite 257), Finanzierungen, Zukäufe von anderen Züchtereien – viele dieser Informationen sind nur in zeitraubender Archivarbeit zu ermitteln. Zudem sind sie ungemein wertvoll, vorausgesetzt man vertraut dem Autor bei den gelegentlich diffusen Quellenverweisen.
Kurze eingeschobene Exkurse vertiefen die zeitgenössischen Fachdiskurse. Trotz der spartanischen Bebilderung: Weit mehr als eine Biografie, bietet „Gärtner der Nation“ einen tiefen Einblick in die gartengestalterischen Vorstellungen der Zeit. Auch behandelt die Publikation unterschiedliche Positionen zu Begriffen, die für die Gartenkultur des frühen zwanzigsten Jahrhunderts essenziell sind, wie „Bodenständigkeit“, um hier nur einen beispielhaft herauszugreifen. Und auch das uns mittlerweile so ferne späte 19. Jahrhundert wird überraschend lebendig.
Foerster-Narrativ auch korrigiert
Die gigantische Anzahl erwähnter Personen verleitet öfters dazu, das Lesen zu unterbrechen, um zu recherchieren, um welche oft Wikipedia-würdige vergessene Bekanntheit es sich da nun wieder handelt. Ein einzelner Satz kann schon einmal drei, vier neue Personen mit Geburtsdatum und Verwandtschaftsbeziehung vorstellen. Manche davon tauchen nie wieder auf. Einige werden hier erstmals gewürdigt, wie die zahlreichen, in die Projektbearbeitung eingebundenen, in Gartengestaltung ausgebildeten Fachkräfte der Foersterschen Betriebe. Erst neben all diesen Figuren seines sozialen Umfeldes, vor allem aber seinen Eltern und seinen Geschwistern, und vor dem Hintergrund seiner Zeit, tritt Karl Foerster immer kontrastreicher hervor.
Auch all die züchterische Arbeit und die Unternehmenskonzepte der Foersterschen Betriebe zwischen Pflanzenproduktion, Pflanzarbeiten sowie Garten- und Parkgestaltung breitet Wimmer kenntnisreich aus. Dies reicht hin bis zu den Wirrungen der Finanzen, mit Verschuldungen, Anleihen, Investitionen und Veränderungen bei den Besitzverhältnissen. Dies ist nicht zuletzt deswegen relevant, weil das Foersters Weltfremdheit auf diesem Feld deutlich werden lässt. Diese Weltfremdheit macht immer wieder ein Einschreiten von Freunden, Verwandten und nicht zuletzt seiner Frau Eva notwendig. Nach der Weltwirtschaftskrise und der wirtschaftlichen Konsolidierung steigen die Umsätze bis Kriegsende durch Pflanzenlieferung kontinuierlich. Eine Kapitelüberschrift wie „Vati ist heute in Karinhall“ mag die Realitäten überzeichnet. Dem könnte man entgegnen, dass jahrzehntelang ein Besuch Foersters bei Göring nicht einmal denkbar gewesen wäre, und so eine Hervorhebung das Foerster-Narrativ zunächst einmal korrigiert. Aber auch über bekannte Fachleute aus Foersters Umfeld wie Hermann Mattern oder Herta Hammerbacher lernt man einige neue Details.
Viele anekdotische Informationen zu Foerster erklärt – oder widerlegt
Ein heikles Thema ist Karl Foersters Krankheitsgeschichte, deren Ausmaß deutlich, gleichzeitig aber mit kritischer Distanz betrachtet wird. 1901 merkt der ältere Bruder an, es sei „viel Hypochondrie im Spiel wegen des vielen Selbstbeobachtens“ (Seite 59). Foerster leidet jahrelang unter mysteriösen Magenproblemen und weiteren Beschwerden, die ihm teils schon beim Gehen Schmerzen verursachen, körperlich einschränkten und Anlass für zahlreiche, ausgiebige Kuren in luxuriösem Ambiente sind. Später kommen psychische Probleme hinzu. Von Tag eins der Anlage seiner ersten Pflanzungen hinter dem elterlichen Wohnhaus in Westend im Frühjahr 1904 erscheint er plötzlich beschwerdefrei. Von nun an, im Alter von 29 Jahren, beginnt die eigentliche Laufbahn als Pflanzenzüchter.
Dass die Foersters im 19. Jahrhundert High Society waren, konnte man wissen. Der berühmte Vater Wilhelm erscheint konsequent liberal und war mit Unterstützung beispielsweise der Kaiserinwitwe Friedrich, die zurückgezogen in Friedrichshof in Taunus lebte, in diversen Assoziationen gesellschaftlich engagiert. Währenddessen lässt sich die nächste Generation weniger klar einordnen. So ist die heimliche Lichtgestalt des Buches auch Wilhelm Foerster, der sich beispielsweise mit seinen öffentlichen Beiträgen über die Kulturleistung des Judentums und gegen den Krieg ähnlich exponierte wie der ältere Sohn Friedrich Wilhelm. Jedoch tut der Vater dies ganz ohne Friedrich Wilhelms religiöse Moralinsäure und Verherrlichung von Disziplin. Nicht zuletzt durch die minutiöse, chronologische Aneinanderreihung unzähliger Ereignisse werden viele der anekdotischen Informationen, die über die Foersters in Umlauf sind, erklärt oder auch widerlegt. Ein besonders eklatantes Beispiel ist die stets behauptete tiefe Bruderliebe zwischen Karl und dem Nazigegner Friedrich Wilhelm. Dieser wollte nicht darüber hinwegsehen, wie seine in Deutschland verbliebenen Geschwister nationalistische Narrative adoptierten. Die Adresse des älteren Bruders war Ende der Nazizeit in Bornim nicht einmal mehr bekannt. Über Jahre hinweg fand keine Kommunikation statt, und in seinem 1944 verfassten Testament berücksichtigt Karl den ehemals so vertrauten älteren Bruder als den einzigen der Geschwister nicht.
Beziehung zwischen Sohn und Vater beeindruckt
Was Wimmer subtil herausarbeitet, nicht zuletzt durch die Auswahl der Zitate und eine gelegentlich aufblitzende Ironie, ist die enorme gesellschaftliche Privilegiertheit: Die Kontakte beider Elternteile, ihre weitreichende Verwurzelung in der Oberschicht – die Mutter ist verwandt mit einflussreichen Militärs der Familie Paschen – und die freundschaftlichen Kontakte bis in die Kaiserfamilie hinein sorgen für Vermittlung essenzieller Kontakte, Aufträge, die bestmöglichen Ausbildungsstellen und vorzügliche ärztliche Behandlung. Reisen in Kurhotels in wärmeren Gefilden sind keine Seltenheit. Die Skurrilitäten dieser Familie, aber auch die geistreiche, straffe Art und Weise, mit der Wimmer das scheinbar Anekdotische zu einem immer detaillierteren Bild verwebt, sorgen also für einigen Witz. Und Wimmer lässt sich nicht beeindrucken – weder von den chronischen Schmerzen Karls, die gelegentlich Vorwand für weitere Privilegien zu sein scheinen, noch von der politischen Chuzpe des überambitionierten, geltungsbewussten älteren Bruders Friedrich Wilhelm.
Es entsteht das Bild einer von sozialem Status und ungewöhnlich liberalen, sanftmütigen Eltern verwöhnten Geschwistergeneration, denen die Fürsprache und finanziellen Mittel des berühmten Vaters die besten Chancen in ihren jeweiligen Interessengebieten eröffnen. Friedrich Wilhelms vielzitierte, wegen Majestätsbeleidigung verhängte dreimonatige Festungshaft erscheint nach Wimmers Recherchen fast ehrenhaft und wie ein Urlaub. Damit dem leidenden Karl der Militärdienst erspart bleibt, sorgt der Vater für eine Ausmusterung. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs reicht erneut ein Schreiben des Seniors, um Karl vor der Einziehung zu bewahren. Überhaupt beeindruckt die Beziehung zwischen Sohn und Vater, wenn letzterer selbst in Liebesdingen ins Vertrauen gezogen wird und den Sohn mit seinen Ratschlägen auch erreicht. Im Übrigen wird das Liebesleben erstaunlich offen gehandhabt – die moderne, fast drei Jahrzehnte jüngere Eva Hildebrandt, die für ihren Mann auf eine vielversprechende Gesangskarriere verzichtet, hat im Laufe der Ehe zahlreiche andere Verehrer, und auch Karl Foerster entwickelt für andere Frauen Gefühle. Diese werden zwar nicht voll ausgelebt, aber auch nicht geheim gehalten. Die Ehe bleibt trotz zahlreicher Prüfungen stabil.
Krasse Gegenüberstellungen wirken augenöffnend
Auch Karl Foersters Leistungen und Charakterstärken kommen in „Gärtner der Nation“ zur Geltung. Interessant sind beispielsweise die Einblicke in seine Lyrik. Beindruckend ist Foersters geschicktes strategisches Agieren durch seine Publikations- und Vortragstätigkeit: Viele Journalisten und auffällig viele Journalistinnen schwärmen in den Feuilletons von Foersters Büchern. Viel reiche Kundschaft bestellt größere Mengen an Pflanzen für die damals noch verbreiteten Blumengärten in weitläufigen privaten Anwesen. Auf der anderen Seite steht Foersters problematische Übertragung pflanzenzüchterischer Ziele auf Gesellschaft – also explizite, in öffentlichen Reden verbreitete, eugenische Vorstellungen. Auch der bis ans Lebensende geäußerte Glaube an eine kulturelle Vormachtstellung Deutschlands wirkt befremdlich. Hinzu kommen Modernefeindlichkeit in der Kunst und konservative Ansichten über Frauen. All dies sind Einstellungen, mit denen er in seiner Generation nicht allein ist, und trotzdem wurden sie bisher zu wenig klar benannt. Bei der Lektüre überraschen sie dementsprechend negativ.
Einige krasse Gegenüberstellungen wirken dabei augenöffnend. So wird wie nebenbei fallengelassen, dass 1928 zwei der Kinder Ludwig Bartnings für eine Ferienwoche auf Schultze-Naumburgs Anwesen in Saaleck verbringen, noch nachdem dessen berüchtigtes Buch „Kunst und Rasse“ erschienen war (Seite 170). Der unmittelbar anschließende Satz bezieht sich auf Eva Foersters neuen Neufundländer, und beginnt mit dem Zitat: „Es wird immer lieblicher im Haus“. Stellen dieser Art wirken wie eine Schocktherapie und führen die harten ideologischen Kontraste der Zeit auch vor 1933 vor Augen.
Was „Gärten der Nation“ lehrt
Doch es gibt auch Stellen, wo man sich fragt, ob eine derartig kleinteilige Collage in starrer chronologischer Form nicht zu verfälschender Dekontextualisierung führt. Manche Zusammenhänge gehen verloren, wenn ein beiläufig erwähnter, längst vergessener Name Jahre später unvermittelt wieder auftaucht. Kritik ist aber auch vorprogrammiert durch die sehr freie Verwendungsweise von Zitaten aus Publikationen (kursiv) und Korrespondenz (in Anführungszeichen), wahlweise als Einschübe, Satzfragmente oder gar einzelne Worte. Organisch in die Erzählung eingeflochten, sorgen sie zwar für ein Gefühl großer Nähe zu den handelnden Personen. Gleichzeitig wird aber auch sehr viel Vertrauen dem Autor gegenüber vorausgesetzt, hier nichts verzerrt darzustellen. Gelegentlich ist die Quelle schwer nachzuvollziehen oder fehlt gar in Gänze. In solchen Fällen kann man nicht beurteilen, ob es sich beispielsweise um eine strategische Äußerung handelt oder um einen vertraulichen Satz aus einem privaten Brief.
Was lehrt „Gärtner der Nation“ also, außer einen umfassenden Einblick in die Gartengeschichte des 20. Jahrhunderts zu bieten? Es zeigt einmal mehr, dass Menschen sich selten dazu eignen, auf Grundlage von Selbstzeugnissen bewundert zu werden, ohne dass an einem gewissen Punkt eine Entzauberung einsetzen muss. Und es zeigt, welche Mischungen und Verflechtungen das letzte Jahrhundert prägten und zum Vorschein kommen, wenn intensiv bereinigte Lebensläufe einmal hinterfragt werden. Das gilt insbesondere für die Generation, die als Erwachsene den Machtaufstieg der Nazis erlebten und eine Karriere im „Dritten Reich“ hatten, die zwangsläufig später verharmlost werden musste.
Einfluss Foersters in bisher unbekannter Tiefe gezeigt
Welche Bedeutung gibt man den aus heutiger Sicht psychotisch anmutenden Erklärungen Foersters für Leid und Krieg? Der abenteuerlichen ethischen Konstruktion, mit der er wahrlich nicht alleine dastand? Diese Konstruktion „löste“ die Schuldfrage folgendermaßen: Die zunächst unschuldigen Deutschen hätten sich gewissermaßen „automatisch“ als Reaktion schuldig machen müssen, in Reaktion auf die Schuld des Judentums nämlich. Nimmt man hinzu die zentrale Rolle, die die züchterische Auswahl in Karl Foersters Weltsicht und Gesellschaftsvorstellungen spielt – damit ein Denken in Kategorien von minder- und höherwertigen Genen –, dann muss man sich schon fragen, wie er noch immer vorrangig als naiver Menschenfreund gelten kann. Dahingegen wird noch in der jüngsten Publikation, dem Katalog zur einigermaßen kitschigen Ausstellung, die das Potsdamer Stadtmuseum dem Lokalhelden ebenfalls im Jahr 2024 widmete, deutlich zu wenig kritische Distanz gewahrt.
Auch der Autor dieser Rezension ist den lange Zeit verbreiteten Narrativen ein Stück weit auf den Leim gegangen: Wäre Wimmers beachtliche Aufklärungsarbeit etwas früher erschienen, hätte das Foerster-Kapitel in der quasi zeitgleich erschienenen Mattern-Biografie „Idyll and Ideology“ mehr beinhaltet als die vergleichsweise leise geäußerten Zweifel. So hält uns eine Biografie wie die Karl Foersters auch den Spiegel vor. Unsere Vorstellung von der Moderne ist eben noch immer zu keimfrei und homogen, die vom „Dritten Reich“ zu schwarz-weiß gezeichnet. Angeblich oder tatsächlich verfemte Künstler fallen einem ein, wie Emil Nolde, für den die Forschung tiefen Antisemitismus und gerade in der Nazizeit Rekordumsätze dokumentiert hat. Gleichzeitig ist die Angst, durch ein allzu kritisches Hinsehen Vorbilder der Landschaftsarchitektur zu verlieren, unbegründet. Erstens ist es um manche Kultfigur der Architektur nicht besser bestellt, zweitens sind Foersters Leistungen nach wie vor enorm und sein Einfluss weitreichend. Auch das zeigt Wimmer in bisher unbekannter Tiefe.
„Gärtner der Nation. Die vier Leben des Karl Foerster“ von Clemens Alexander Wimmer erschien im Verlag VDG Weimar. Eine zweite Auflage ist für das Frühjahr 2025 geplant.
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