06.06.2019

Gesellschaft

Garten auf Abwegen


Anarchistisches Gärtnern

Jedes Jahr ist der zweite Juni-Sonntag den Gärten gewidmet: Es ist Tag des Gartens. Wenn man von Garten spricht, kann man so vieles meinen. Vom eigenen Garten vor dem Haus, einem angemieteten Schrebergarten, einem Gemeinschaftsbeet oder einer großen Gartenanlage ist alles denkbar. Alle diese Gartenformen verbindet eine Sache: Geselligkeit. Gärten sind Begegnungsorte. Noch dazu vermitteln sie einen wichtigen Bezug zur Natur. Trotzdem war die deutsche Gartenkultur im 20. Jahrhundert vergleichsweise wirkungslos, niemals so stark, um als Kunstform und gesellschaftspolitische Kraft unser Jahrhundert zu formen. Im 21. Jahrhundert erlebt der Garten jedoch seine Renaissance. Und diese Trendwende zeigt sich nicht nur in der Vielzahl der aktuellen Urban-Gardening-Projekte. 

 

Hans von Trotha, Publizist, Gartentheoretiker und Gartenliebhaber, konstatiert die Renaissance des Gartens. Urban Gardening sei „weltweit eine Bewegung, die über gärtnerische Mittel gesellschaftlich etwas zum Ausdruck bringt“, sagte er jüngst in Berlin auf einer Diskussionsveranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur (DGGL). Die Generation der Urban Gardener mache aus ihrer Share-Economy-Haltung heraus keinen Unterschied zwischen öffentlich und privat. Man teile sich Autos, Fahrräder, Wohnungen und Gärten.

Nehmen wir zum Beispiel das „Himmelbeet“ in Berlin. Der urbane Gemeinschaftsgarten heißt so, weil er bald auf das Dach einer entstehenden Turnhalle ziehen wird. Im Moment gärtnern auf dem Baugrundstück, mitten im krisenerprobten, sozial benachteiligten Berlin- Wedding, Hipster und türkische Nachbarn Seite an Seite, sachkundig von einer Landschaftsarchitektin und einer Gärtnerin unterstützt. Üppig bewachsene Beete, dazwischen ein schickes Café, preisgünstig errichtet in Selbstbauweise aus Palettenholz. Die Gärtner-Idylle lässt den Verkehrslärm und die Sorgen der Straße vergessen. Sie strahlt auf ihre unmittelbare Nachbarschaft aus.

Dort wirkt der vor drei Jahren landschaftsarchitektonisch überholte Leopoldplatz inzwischen wie ausgeliehen aus einem anderen hipperen Kiez und lockt an. Hier mischen sich die Schichten, vom berlinernden Rentner über die junge Kleinfamilie bis zu afrikanischen Kirchgängern. Somit bringt ausgerechnet das Urban Gardening, das anarchistische Gärtnern, das die Herzen vieler Städter und  brachgefallene Orte im Sturm erobert, eine gesellschaftspolitische Kraft mit, die schon verloren schien. Folgen wir Hans von Trotha, konnte, bedingt durch die beiden Weltkriege, im „gartenfernen 20. Jahrhundert“ Gartenkultur im Fortschreiten der Gesellschaft, in der Auseinandersetzung um Werte und Wandel quasi keine wirkliche Rolle spielen.

Den gesamten Artikel können Sie hier als PDF lesen.

Anlässlich des Tags des Gartens haben wir in unseren Archiven gekramt und die G+L 03/2017 hervorgeholt: Urbanen Gärten und wie sie unsere Sicht auf Stadt verändern.

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