08.03.2016

Gesellschaft

Verantwortung für die Stadt übernehmen

Buchrezensionen

Der Park am Gleisdreieck in Berlin von Atelier Liodl ist ein beliebter Treffpunkt. Foto: Julien Lanoo

Was macht einen Park zu einem lebendigen Ort? Oft sind es Orte in der Stadt, die garnicht als klassische Aufenthaltsbereiche geplant waren, die zu belebten Treffpunkten werden. In München sind das zum Beispiel die großen Treppenstufen zur Glyptothek, auf die im Frühling die ersten Sonnenstrahlen fallen. Sie sind Rückzugsort, Treffpunkt, und Bühne zugleich. Völlig ungeplant. Wie sich solche lebendigen Orte planen lassen, damit setzen sich Leonard Grosch und Constanze A. Petrow in ihrem Buch auseinander: Parks entwerfen. Berlins Park am Gleisdreieck oder die Kunst, lebendige Orte zu schaffen.

Leonard Grosch analysiert im ersten Teil des Buch unter der Überschrift „Learning from Gleisdreieck“ ausführlich, welche Strategien er für den Park am Gleisdreieck verfolgte, um ihn zu einem lebendigen Ort zu machen. Unter „Parks als lebendige Orte entwerfen“ leitet Constanze A Petrow im hinteren Teil des Buchs allgemeingültige Prinzipien daraus ab. Die beiden Teile des Buchs trennt eine lange Fotostrecke „Park am Gleisdreieck – Facetten eines Freiraums in Berlin“, die die erklärten Punkte bilderreich untermauert. Das Buch schließt mit einer Zusammenfassung einer empirischen Studie zum Gleisdreieck-Park.

Das wichtigste Anliegen der Autoren sollte zugleich der selbstverständlichste sein: den Menschen, in den Mittelpunkt zu stellen. Doch das ist es längst nicht – allen Lippenbekenntnissen zum Trotz. Leonard Grosch, der mit dem Atelier Loidl für den Park am Gleisdreieck verantwortlich zeichnet, gibt gleich am Anfang des Buch selbst zu, dass es ihm erst „mittlerweile“ (…) „um die Menschen geht, um ihr Wohlfühlen, ihr Gemeinschaftsgefühl und darum, ihre Bedürfnisse vorherzusehen“. Es ist dieser Satz, der aufhorchen lässt: Grosch reflektiert offen seine Idee von Landschaftsarchitektur und sieht im Rückblick seine Haltung gegenüber der Ideen der Bürger für das Gleisdreieck als oft zu starr. Solche Sätze sind selten in Büchern über eigene Werke. Spiegelt aber ehrlich wider, dass er nur zögerlich akzeptierte, die Bedürfnisse der Bürger in den Mittelpunkt zu stellen. Wie die meisten Landschaftsarchitekten. Zumindest, wenn Bürgerwünsche dem Design zu wider laufen könnten. Doch beides, Profi-Entwurf und Laien-Begehren, zu verbinden und zuzulassen, diese Erkenntnis erschließt sich aus dem Buch, das ist die wahre Kunst und wird künftig zur entscheidenden Herausforderung für Landschaftsarchitekten.

Das Beispiel Gleisdreieck zeigt, wie es zu schaffen ist. Essenziell, um viele Ansprüche an eine Park aufnehmen zu können, ist ein starkes Gerüst, das Halt und Orientierung gibt. Es sichert auf Dauer die Grundidee des Parks, „selbst, wenn sich Inhalte einzelner Räume im Laufe der Zeit ändern.“ Für Grosch bedeutet Grundgerüst: Raumgerüst, Wegegerüst und Flächengliederung. Dieser starke Rahmen trägt die verschiedenen Funktionen, die der Park erfüllen soll – und ist im Idealfall so stark, dass er sogar Bürgerwünsche aushalten kann, die nicht im Entwurf vorgesehen sind. Im Park am Gleisdreieck wurden zum Beispiel auf den Wunsch der Anwohner Kleingärten integriert, ein interkultureller Garten und ein Abenteuerspielplatz. Für Petrow machen genau diese Möglichkeitsräume Parks heute aus. Sie definiert sie als Bürgerparks des 21. Jahrhunderts, in denen eine aktive Bürgergesellschaft Mitsprache einfordert und im Gegenzug bereit ist, „für die Verwirklichung ihrer Freizeitinteressen und Lebensentwürfe Verantwortung zu übernehmen”. In Berlin tragen diese Stadtaktivisten mit Orten wie den Prinzessinnengärten und dem Tempelhofer Feld inzwischen sogar wesentlich zum Image der Stadt bei.

Damit das Programm des Parks nicht zu einer stupiden Aneinanderreihung der Wünsche und Funktionen führt, setzt Grosch auf Mehrfachkodierung. Zum Beispiel die Tanzfläche im Ostpark, eine Asphaltfläche, eingelassen in eine Platz aus Kopfsteinpflaster. Während das Kopfsteinpflaster verhindert, dass dort geskatet wird, wird der glatte Bereich auch genutzt, um ferngesteuerte Autos fahren zu lassen. Es gibt Möglichkeiten zum Zuschauen, dass der Platz nach Süden ausgerichtet ist, befördert dies. Das Atelier Loidl schafft konkrete Angebote, ermöglicht gleichzeitig aber auch alternative Nutzungen. Grosch betont, dass Mehrfachkodierung nichts mit Nutzungsoffenheit zu tun hat, ja gerade eben das Gegenteil einer leeren Fläche ist.

Das hebt auch Petrow hervor, die schreibt, „dass es möglichst viele Gründe zum Aufenthalt geben und viele Dinge geben sollte, die man dort tun kann.“ Sie scheut sich auch nicht Beispiele zu nennen, wo dies misslungen ist: Zum Beispiel die große Holzfläche im Oerliker Park, die fast immer leer ist. Doch eben an der Nutzung muss sich Landschaftsarchitektur messen lassen. Mehrfach betonen Constanze A. Petrow und Leonard Grosch die soziale Verantwortung der Landschaftsarchitektur. Sie wollen mit dem Buch „eine Wertedebatte anstoßen, die sich gerade nicht im Ästhetisch-Räumlichen erschöpft“. Über eine Landschaftsarchitektur sprechen, die sich selbst emanzipiert „von einem der Architektur entlehnten elitären und kulturkonservativen Selbstverständnis“. In ihrem Fazit zieht Petrow die Linie zu Richard Sennetts Open City, „in der sich gerechtere, egalitärere und demokratischere Formen urbanen Lebens etablieren.” Sie spielt damit den Ball auch den Architekten zu. Landschaftsarchitekten sollten die Chance ergreifen, diese Debatte aktiv mitzugestalten.

Parks entwerfen
Berlins Park am Gleisdreieck oder die Kunst, lebendige Orte zu schaffen
Leonard Grosch, Constanze A. Petrow
192 Seiten mit 143 farb. und s/w Abb. und Plänen
Jovis Verlag
29.80

Das Buch ist auch in Englischer Sprache erhältlich.

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