27.06.2017

Gesellschaft

Grüne Infrastruktur konkret

Ende Mai stellte das Bundesamt für Naturschutz die Praxisbroschüre “Urbane grüne Infrastruktur – Grundlage für attraktive und zukunftsfähige Städte” in Leipzig vor. Das Gutachten diskutiert Grüne Infrastruktur als Planungsansatz. Für die Juni-Ausgabe der Garten + Landschaft unterhielten wir uns mit Stephan Pauleit, Professor an der TU München, der mit bgmr Landschaftsarchitekten und der Technische Universität Berlin das Gutachten erarbeitet hat. Ein Auszug.

 

Herr Pauleit, derzeit sprechen alle über das Thema „Grüne Infrastruktur“. Wieso eigentlich?
Das Thema ist kein vollkommen neues. In Deutschland besteht eine sehr lange Tradition der Freiraumplanung. Die Betrachtungsweise von städtischen Freiräumen aber ist schon eine andere. Der Grundgedanke der Grünen Infrastruktur ist, dass dieses Grün als eine unverzichtbare Infrastruktur verstanden wird, die ebenso wichtig ist wie die technische und soziale Infrastruktur.

Was erhofft sich die Landschaftsarchitektur von der Debatte?
Mit dem Ansatz der urbanen Grünen Infrastruktur verfolgt man den Gedanken, den Bestand an Grün- und Freiflächen in Städten strategisch als ein Verbundsystem weiterzuentwickeln, das vielfältigen sozialen, ästhetischen und ökologischen Nutzen bringt. Durch integrierte Planung und Kooperation sollen so Flächenpotenziale erschlossen und multifunktionale Lösungen entwickelt werden.

Welche Rolle spielt hier das Gutachten „Grüne Infrastruktur im urbanen Raum“?
Das Bundesamt für Naturschutz hat das Projekt mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) 2016 gefördert. In Kooperation mit der TU Berlin und bgmr Landschaftsarchitekten erhielt mein Lehrstuhl an der TU München den Zuschlag. Ziel des Projekts war es, ein Dokument zu erarbeiten, das einerseits definiert, was Grüne Infrastrukturen in Städten eigentlich sind, beziehungsweise sein sollten. Andererseits soll es helfen, die Strategie in der Freiraumentwicklung umzusetzen, sodass die Diskussion keine theoretische bleibt.

Also eine Art Leitfaden …
Genau. Ein wesentliches Projektergebnis ist eine 30-seitige Broschüre, die wir den deutschen Kommunen zur Hand geben möchten. Sie liefert eine Definition, was wir unter Grüner Infrastruktur verstehen, auf Grundlage welcher Prinzipien Grüne Infrastruktur geplant werden sollte und mit welchen Instrumenten man die Strategie umsetzen kann.

Wie definieren Sie Grüne Infrastruktur?
Für uns ist urbane Grüne Infrastruktur ein Netzwerk aus naturnahen und gestalteten Flächen und Elementen, die so geplant und unterhalten werden, dass sie gemeinsam eine hohe Qualität im Hinblick auf Nutzbarkeit, biologische Vielfalt und Ästhetik haben und ein breites Spektrum an Ökosystemleistungen erbringen. Multifunktionalität und Vernetzung sind also Schlüsselprinzipien.

Erst Mitte Mai 2017 stellte das BMUB das Weißbuch „Stadtgrün“ vor. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, beide Initiativen zusammenzuführen?
Das Weißbuch enthält Handlungsempfehlungen und Umsetzungsmöglichkeiten des Bundes für mehr Grün in den Städten und hat einen stärker politischen Charakter. Unser Projekt unterstützt das Weißbuch, indem es fachliche Grundlagen zum Konzept der Grünen Infrastruktur etabliert. Die Ergebnisse sollen den Kommunen helfen, Grüne Infrastruktur vor Ort zu entwickeln. Unsere Arbeit ist als fachliche Ergänzung zum Weißbuch zu sehen.

Welche Maßnahmen schlagen Sie in dem Gutachten vor?
Das Gutachten schlägt keine konkreten Maßnahmen vor. Dafür sind Städte zu unterschiedlich. In der Broschüre präsentieren wir Strategien und Beispiele guter Praxis, die den Kommunen dabei helfen sollen, Grüne Infrastrukturen, auf ihre Verhältnisse angepasst, zu entwickeln und umzusetzen. Wir sind bewusst so vorgegangen. Wir möchten den Organisationen nichts überstülpen oder vorgeben, was sie zu tun oder zu lassen haben.

Dann anders gefragt: Welche Strategien schlagen Sie vor?
Für eine systematische Umsetzung Grüner Infrastruktur brauchen wir eine Kombination aus Instrumenten und Maßnahmen. Die formalen Instrumente wie der Landschaftsplan sind weiterhin wichtig, weil sie wertvolle Informationen und Planungshinweise für die Flächennutzungsplanung und Bebauungsplanung liefern. Gleichzeitig spielen aber auch informelle Strategien eine wichtige Rolle. Sie können flexibler auf die Probleme vor Ort reagieren und leichter innovative Lösungsansätze einbinden. Und was man natürlich auch braucht: finanzielle Ressourcen.

Vorbildliche Projekte, an denen man sich orientieren kann, gibt es aber schon?
Ja. Die flossen in Form von 20 Fallbeispielen in das Gutachten ein. Im zweiten Workshop präsentierten uns kommunale Vertreter beispielhafte Projekte und diskutierten innovative Ansätze, die auch auf andere Städte übertragen werden können. Dazu zählen das Freiraumentwicklungsprogramm Saarbrücken, das Berliner Landschaftsprogramm, der Industriewald Rheinelbe Gelsenkirchen oder die Landschaftsachse Horner Geest Hamburg.

Wie geht es nach dem Abschluss des Projekts weiter?
Das Gutachten wurde am 30. Mai 2017 in Leipzig vorgestellt. Die im Vorhaben beteiligten Kommunen haben angeregt, dass es wichtig wäre, einen bundesweiten Prozess der Konventionsbildung für Richtwerte für das Grün in der Stadt ins Leben zu rufen. Solche Richtwerte sollten auch die Qualität des Stadtgrüns ansprechen. Einige Vertreter der Städte und Verbände forderten auch, Grün zur kommunalen Pflichtaufgabe zu machen. Ich halte das für richtig, denn Grün ist eben eine unverzichtbare Infrastruktur in Städten.

Zum Interviewpartner: Stephan Pauleit studierte Landespflege an der TU München. Seit 2009 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Strategie und Management der Landschaftsentwicklung an der TU München.

Das gesamte Interview können Sie in der Juniausgabe der Garten + Landschaft 2017 nachlesen!

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