30.06.2020

Projekt

„Der Rheinuferweg ist praktisch und unglaublich schön“


Der Rheinuferweg als Teilprojekt der IBA Rheinliebe

Eine neue Fuß- und Radverbindung, die die Schweiz entlang des Rheins mit Frankreich verbindet. Das war die Vision des IBA Basel Projekts „Rheinuferweg St. Johann Basel – Huningue“. Kritik ließ nicht lange auf sich warten: Für 600 Meter Weg würden die Schweizer Steuerzahler mit 28 Millionen Schweizer Franken zur Kasse gebeten, während es vor allem die Franzosen seien, die davon profitierten. Seit wenigen Monaten steht der Weg allen Grenzgängern vollumfänglich zur Verfügung. Wir sprachen mit Hans-Peter Wessels, Basler Regierungsrat und Präsident der IBA Basel 2020, über die Vorwürfe der Finanzierung und die Rolle des Pharmakonzerns Novartis in der Projektumsetzung.


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Dr. Hans-Peter Wessels ist Basler Regierungsrat und Präsident der IBA Basel 2020 ©IBA Basel/Foto: Martin Friedli

 

Die Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz entlang des Rheins zu überqueren, war lange nicht möglich: Das Hafenareal des Basler Stadtteils St. Johann und das umliegende Industriegebiet waren für die Öffentlichkeit nicht passierbar. 2010 legte der Kanton Basel-Stadt den Hafenteil still. Heute steht dort der Novartis Campus. Mit der Verlagerung des Hafens bestand erstmals die Möglichkeit, eine länderübergreifende Verbindung über das Rheinufer zu schaffen. Im Rahmen der IBA Basel entstand das Projekt „Rheinuferweg St. Johann Basel – Huningue“: Heute führt ein Rad- und Fußweg entlang des Rheins von Basel, Schweiz nach Huningue, Frankreich.

Am Projekt beteiligt war auch der Pharmakonzern Novartis. Wo einst ein Teil des Basler Rheinhafens war, befindet sich heute der sogenannte Novartis Campus. Der Kanton Basel-Stadt und das Unternehmen unterschrieben hierfür 2005 eine Grundsatzvereinbarung: Die Novartis durfte sich ausdehnen und den Novartis Campus bauen. Der Kanton sorgte dafür, dass der Hafenteil verlegt wurde. Gleichzeitig versprach Novartis, die Schaffung eines großzügigen Streifens öffentliche Fläche zwischen dem Novartis-Areal und dem Rhein für einen Rad- und Fußweg und beteiligte sich mit 100 Millionen Franken an den Kosten der öffentlichen Hand.

Der Rheinuferweg ist ein Teilprojekt der IBA Rheinliebe.
Ein Rad- und Fußweg entlang des Rheins führt von Basel, Schweiz nach Huningue, Frankreich.
Die Novartis beteiligte sich mit 100 Millionen Franken an den Kosten der öffentlichen Hand.

„Wir haben praktisch jeden Quadratzentimeter mit der Novartis verhandelt.“

Fotos: IBA Basel/Daniel Spehr

 

Das IBA Basel Projekt „Rheinuferweg“ ist ein Teilprojekt der IBA Projektgruppe „Rheinliebe“, deren Ziel es ist, die Attraktivität der Flussufer zu steigern und die Verbindung zwischen der Stadt und dem Rhein zu fördern. Die Wegverbindung zeigt, wie die beiden Städte gemeinsam über Grenzen hinweg planen können und wie die Bevölkerung davon profitiert. Wir sprachen mit Hans-Peter Wessels, Präsident der IBA Basel 2020, Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt und Vorsteher des Bau- und Verkehrsdepartements über grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die Rolle der Novartis im Projekt.

 

 

Hans-Peter Wessels, welche Bedeutung hat der Rheinuferweg für Sie persönlich?

Früher war es nicht möglich, das Gebiet überhaupt zu betreten. Im Rahmen der IBA konnten wir es für die Bevölkerung öffnen. Der kombinierte Rad- und Fußweg ist Arbeitsweg und Freizeitgebiet zugleich. Das finde ich nicht nur praktisch, sondern auch unglaublich schön.

Der Weg ist seit einigen Monaten rund um die Uhr begeh- und befahrbar. Davor war er über mehrere Jahre nur am Wochenende geöffnet. Wieso?

Es handelt sich bei dem Gebiet um das älteste Industrieareal Basels, und wie bei allen alten Industriegebieten gab es Altlasten. Auf der französischen Seite dauerte es sehr viel länger als gedacht, diese zu entsorgen und den Boden zu reinigen. Erst 2016 war es uns möglich, den Rheinuferweg zu öffnen. Jedoch nur an den Wochenenden, wenn die Arbeiten pausierten.

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Kritische Stimmen in der Bevölkerung bezeichnen das Projekt als teure, videoüberwachte Betonwüste, bezahlt von Schweizer Steuergeldern.

„Der teuerste Radweg der Welt“ wurde der Rheinuferweg genannt. Jedoch ist das Gegenteil der Fall: Es ist eher einer der billigsten Radwege, denn er hat den Steuerzahler nichts gekostet. Der Weg wurde vollumfänglich aus dem Novartis-Beitrag finanziert.

Das erklärt dann auch die Videoüberwachung vor Ort?

Das Novartis-Areal ist sensibel und muss geschützt werden. Dort, wo die Novartis-Grenzen nah am Rheinuferweg verlaufen, macht die Überwachung Sinn. Der Rheinuferweg verfügt jedoch auch über öffentliche Flächen. Wir haben praktisch jeden Quadratzentimeter mit der Novartis verhandelt. Der öffentliche Raum ist größtenteils nicht überwacht, aber es gibt spezifische Situationen, wo sich Wände im öffentlichen Raum befinden, die sowohl Novartis als auch der Kanton schützen wollen, etwa vor Sprayern. Dort ist eine Überwachung möglich.

 

„Grenzüberschreitenden Zusammenarbeit braucht sehr viel Aufmerksamkeit“

 

Überwacht oder nicht – der Rheinuferweg verbindet Basel mit Huningue. Die deutsche Grenze bleibt bisher außen vor. Arbeiten Sie daran eine direkte Strecke nach Weil am Rhein in den Weg zu integrieren?

Ja. Im Rahmen eines weiteren IBA Projekts, dem 3Land, möchten wir eine Hafenbrücke für Radfahrer und Fußgänger bauen, die diese Lücke schließt. Die Brücke führt vom Dreiländereck nach Weil am Rhein, sie bleibt auf der gleichen Rheinseite und überquert das Hafenbecken. Wir haben die Projektskizzen und ein Vorprojekt läuft gerade. Ich rechne damit, dass wir dieses oder nächstes Jahr den entsprechenden Kreditantrag stellen können.

Was haben Sie aus der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Rahmen der IBA Basel mitgenommen?

Dass sie sehr viel Aufmerksamkeit braucht.Grenzüberschreitende Projekte müssen intensiver bearbeitet und gepflegt werden, sind anstrengender und komplizierter. Aber es ist sehr befriedigend, wenn man das Ergebnis sieht, weil man weiß, welche Arbeit darin steckt. Die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen hinter der Grenze ist oft mühselig – aber es ist so lohnenswert, wenn es dann klappt.

„Wir sind die ersten, die eine Tramlinie von der einen Sprachregion in die andere organisiert haben.“

 

Die Zusammenarbeit ist mühselig – warum?

Das liegt an strukturellen Differenzen. Die politische Entscheidungsfindung ist in Frankreich eine ganz andere als in der Schweiz: Die Entscheidungen werden an anderen Stellen getroffen, die Finanzierung oder die vertragliche Situation sind in den Ländern anders geregelt. Und der Aufwand für die jeweiligen Kontrollinstanzen summiert sich immens. Teilweise widersprechen sich auch das Schweizer und das französische Recht, da muss man kreativ werden und Lösungen finden.

Wie sieht das aus?

Ein Beispiel, das nichts mit dem Rheinuferweg zu tun hat, aber die Problematik versinnbildlicht, wäre die Tramlinie 3, die von Basel nach Frankreich fährt. Nach französischem Verkehrsrecht muss der Tramführer oder die Tramführerin Französisch sprechen, damit er oder sie sich mit den Fahrgästen oder im Falle eines Unfalls mit der Polizei, der Feuerwehr oder Rettungskräften verständigen kann. Da die Basler Verkehrsbetriebe jedoch nicht nur zweisprachige Tramführerinnen für diese Linie einteilen können, mussten wir uns mit der französischen Eisenbahnbehörde in Paris zusammensetzen und einen Minimalwortschatz definieren, den Tramführer der Linie 3 nachweislich beherrschen müssen. Wir sind die ersten, die eine Tramlinie von der einen Sprachregion in die andere organisiert haben – das war davor nie vorgesehen. Zahllose ähnliche Kleinigkeiten mussten verhandelt werden.

Von der Geburtsstunde der IBA an haben Sie das Sonderformat begleitet und sind seit jeher Teil des IBA Präsidiums. Hand aufs Herz: Würden Sie die IBA nochmal machen?

Ich habe die IBA als ein unkonventionelles und zeitaufwändiges Projekt erlebt, aber für mich als Bau- und Verkehrsdirektor in Basel-Stadt war die IBA eine unglaubliche Bereicherung meiner Arbeit. Ich habe enge Kontakte in der unmittelbaren Umgebung knüpfen können und einen wunderschönen Erfahrungsschatz gewonnen. Was ich mitnehme ist, dass die Stärke der IBA aus ihren Projekten kommt: Je konkreter diese sind, desto besser ist auch die Zusammenarbeit. Es sind nicht die Strukturen in der trinationalen Zusammenarbeit entscheidend, sondern, dass man Nägel mit Köpfen macht.

Dr. Hans-Peter Wessels studierte an der ETH Zürich und schloss mit einem Doktorat in Biochemie am Biozentrum der Universität Basel ab. Von 2006 bis zu seiner Wahl in den Regierungsrat war er Wirtschaftsförderer der Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft. Seit 2009 ist er Vorsteher des Bau- und Verkehrsdepartementes im Kanton Basel-Stadt. Wessels ist seit 35 Jahren in der Sozialdemokratischen Partei (SP) zuhause. Dem Grossen Rat gehörte er insgesamt 11 Jahre an. Seit 30 Jahren wohnt Wessels mit seiner Familie in Basel.

Warum wir eine IBA-Basel-Serie gestartet haben? Das lesen Sie hier.

Sämtliche Beiträge zur IBA Basel 2020 finden Sie hier.

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