03.11.2016

Projekt

Kopenhagen: Der Regen kann kommen

In Kopenhagen und Umgebung treffen neue Ideen für das Regenwassermanagement mit dem Trend zusammen, das junge Image der Region hervorzuheben. Planungen wie das Musicon Viertel in Roskilde und die Initiative Vandplus in Kopenhagen kombinieren Regenwasserschutz mit städtischem öffentlichen Raum, der auf sportliche Aktivitäten ausgelegt ist.

Roskilde ist vor allem bekannt für sein Musikfestival. Dafür entwarfen auch MVRDV schon Visionen. Visualisierungen: MVRDV

Roskilde: Skater und Wasserschutz vereint

Starke Regenfälle und Überschwemmungen haben in den vergangenen Jahren die Dänen auf die Probe gestellt und gleichzeitig die Schwachpunkte der existierenden Wasserinfrastruktur offengelegt sowie die Notwendigkeit, das Regenwassermanagement besonders in den Städten zu überdenken. Am 6. September 2014 wurde Kopenhagen von starken Regenfällen heimgesucht, die an kritischen Punkten die städtische Kanalisation lahmlegten. So wurde etwa die Unterführung einer Hauptverkehrsader in die Stadt und weite Teile des Stadteils Østerbro überflutet. Autos schwammen im Wasser. Die Starkregenereignisse der vergangenen Jahre haben in Kopenhagen zu einem Umdenken geführt. Dem Problem soll nicht nur unterirdisch begegnet werden, sondern auch an der Oberfläche.

Bevor wir uns den schwimmenden Autos in Østerbro zuwenden, werfen wir einen Blick auf neue Projekte, die Gedanken zu Regenwassermanagement und öffentlichen Freiflächen vereinen. Ein solches Projekt ist der Skaterpark in Roskilde rund 30 Kilometer westlich von Kopenhagen. Dort entstand auf dem Gelände einer früheren Betonfabrik das neue Viertel Musicon. Es richtet sich an junge Menschen und wird Bildungs- und Kultureinrichtungen beherbergen, ein Rockmuseum (das Roskilde Festival ist eines von Europas größten Open-Air-Musikfestivals), billigen Arbeitsraum für Künstler und neue Wohnquartiere.

Roskilde ist vor allem bekannt für sein Musikfestival. Dafür entwarfen auch MVRDV schon Visionen. Visualisierungen: MVRDV

Vernunft und Spaß

Es ist ein Versuch, eine städtische Entwicklung zu lenken, die traditionell von unten nach oben stattfindet: Zuerst ziehen Studenten und Künstler in Stadtteile, die früher von der Industrie dominiert waren, und schaffen ein Viertel mit avantgardistischem Flair – in diesem Fall rund um die Musik. Teil des Projekts ist ein großer öffentlicher Park, Rabalder, der mit einer Reihe von Betonbecken den Skatern gute Möglichkeiten bietet, andererseits aber auch große Mengen an Regenwasser aufnehmen kann. Die Idee ist so einfach wie bemerkenswert, denn wie Søren Nordal Enevoldsen, einer der Architekten, erläutert: „Skater fahren nicht bei Regen, und Regenwasserkanäle sind per Definition nicht in Verwendung, wenn es trocken ist … Durch die Kombination dieser beiden Nutzungsmöglichkeiten wird das Projekt weit billger, als wenn man ein konventionelles Drainagesystem und einen konventionellen Skaterpark errichten müsste.”

Der Park aus dem Jahr 2012 wurde zu einem viel beachteten Vorzeigeprojekt. Allerdings drängt sich die Frage auf, ob der Fokus auf die „Jugendkultur” und Skater das Projekt nicht sehr spezifisch macht und zu sehr auf junge Männer ausgerichtet ist. Obwohl Parks und diverse andere Einrichtungen für Skater derzeit in vielen Städten Thema sind, und der Park an sich auch andere Formen der Nutzung zulässt, handelt es sich bei dem 25 Millionen Dänische Kronen (etwa 3,4 Millionen Euro) teuren Projekt um eine große Investition, die nur einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zugute kommt.

Es geht hier um die Idee, eine städtischen Entwicklung auf Basis einer Interpretation von Avantgardismus zu steuern. Oder vielleicht ging es nie darum, avantgardistisch
zu sein, sondern eine urbane Kultur aufzugreifen, die im jungen 21. Jahrhundert zum Mainstream geworden ist. Wer weiß, wie lange junge, hippe Männer skaten wollen. Und trotzdem werden die Becken immer ihre zweite Nutzung erfüllen, nämlich Regenwasser zu sammeln. Das Projekt ist daher ein sehr gutes Beispiel dafür, wie eine Doppelnutzung erfolgreich und pointiert kommuniziert werden kann. Die Zeit wird zeigen, ob es die Erwartung erfüllen und sich einer heterogenen Urbanität unterschiedlichen Nutzungen öffnen kann.

Roskilde ist vor allem bekannt für sein Musikfestival. Dafür entwarfen auch MVRDV schon Visionen. Visualisierungen: MVRDV

Da der Rabalder Park als technischer und funktionaler Erfolg gesehen wurde, entstand 2013 die Initiative Vandplus. Dazu schlossen sich Regierungsorganisationen und private Gruppen zusammen, um ein Projekt ins Leben zu rufen, das ebenfalls auf eine Doppelnutzung abzielt. Der Ausgangspunkt ist pragmatisch. Da der Begriff „Klimaadaptierung” verwendet wird, werden kritische Stimmen zum Thema Nachhaltigkeit zum Verstummen gebracht. Der Fokus liegt auf der Fusion von Wassermanagement mit urbaner Entwicklung, ein aktiver Lebensstil und Sport sollen im Mittelpunkt stehen. Die Frage lautet: Ist es möglich, die klimatischen Herausforderung als Ausgangspunkt zu nehmen, gleichzeitig für Spaß in den Städten zu sorgen – und noch dazu Geld zu sparen? Vandplus liegt ein Wettbewerb zugrunde, bei dem Teilnehmer zeigen mussten, wie viel es billiger käme, beides zu kombinieren.

Vier Projekte wurden ausgewählt, eines ist Lindevang Park in Frederiksberg. Frederiksberg ist eine eigenständige Kommune in Kopenhagen, die mit Kopenhagen in Bezug auf Wasser kooperieren muss. Lindevang Park ist aus den 1930ern und daher aus einer Zeit, in der die Idee eines guten Lebens und des daraus resultierenden Fokus auf Aktivitäten im Freien die Planer beeinflusst hat. Das Projekt ist in der Nutzung sehr vielfältig. Da es sich in einem existierenden Viertel befindet, das nicht ohne soziale Probleme ist, arbeitet es mit dem Begriff der Aktivität in einem weiteren Sinne als in Roskilde, wenngleich es einen ähnlichen Ansatz hat: Der funktionelle Gedanke wird mit Spaß verbunden.

Viertel mit grünem Anstrich

Die Projekte könnten nicht nur vor dem Hintergrund von sich ändernden klimatischen Bedingungen gesehen werden, sondern es geht auch um Verdichtung – die meist bedeutet, dass Oberflächen versiegelt werden. Überflutungen gibt es nur gelegentlich, daher ist es logisch, dass die unterirdischen Abwasserkanäle die Wassermassen nicht allein abtransportieren können. Diese Projekte entstehen in einer Zeit, in der die dänischen Städte – besonders Kopenhagen – stark wachsen und als lebenswert gelten. Der Diskurs rund um die Projekte ist exemplarisch: städtisches Leben muss Spaß machen, um Wirtschaftswachstum zu bringen, alles „Grüne” wird als progressiv gesehen. Die Frage der Nachhaltigkeit tritt in diesem Fall aber eher in den Hintergrund.

In Østerbro, der Gegend, wo vor einigen Wochen die Autos in einer Unterführung schwammen, wurde ein Viertel Klimakvarter (Klimaviertel) genannt. Dieser Teil der Stadt war besonders von den sintflutartigen Regenfällen betroffen, sodass die Stadt Kopenhagen experimentelle Programme in Betracht zieht, um diese Probleme zu beseitigen. Der äußere Teil von Østerbro, einer Mischung aus alten Industriearealen und Arbeiterquartieren aus dem späten 19. Jahrhundert, wird unabhängig vom „inneren” Østerbro gesehen. Und so kommt es in Kopenhagen sicherlich zur Fortsetzung von der in Roskilde bereits so erfolgreich eingesetzten Strategie: „Spaß-Städte” werden die urbane Gentrifizierung ankurbeln. Gleichzeitig werden Anliegen des Wassermanagements auf einem funktionalen Level mit einem „grünen” Anstrich umgesetzt.

Erschienen in Garten+Landschaft 11/2014 – Wassermanagement.

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