20 Kilometer von Montpellier entfernt, liegt das kleine Städtchen La Grande Motte am Mittelmeer. Hier entstand seit Anfang der 1960er Jahre in einer ehemaligen Sumpflandschaft ein Badeort, der noch heute als einzigartige, futuristische Stadt gilt. Denn der visionäre Architekt Jean Balladur entwarf hier außergewöhnliche Touristenresidenzen in Pyramidenform. Die avantgardistische Architektur nimmt Bezüge zu präkolumbianischen Tempeln in Mexiko ebenso wie zu den Dünen der Küste und zum Bergland der Cevennen im Südosten des Massif Central. Das sogenannte „Florida der Zukunft“ sollte ein neues Eldorado für Millionen von Urlauber:innen werden. Die außergewöhnliche Anmutung war Grund genug, das gesamte Ensemble später als „Patrimoine du XXème siècle“ auszuweisen. Kritische Stimmen hingegen sprechen von einer Betonierung der Küste als Zentrum des Pauschaltourismus.
Projekt Ville Port
Zum 50-jährigen Jubiläum von La Grande Motte erhielt das Studio Leclercq Associés den Auftrag die Hafenbecken Pompidou und Tabarly neu zu gestalten. Für den Ort ist die Neugestaltung der Promenade ein vielversprechender erster Schritt im Rahmen des Projekts Ville Port, das von der Stadt La Grande Motte und L’Or Aménagement geleitet wird. So soll sich La Grande Motte auf lange Sicht von einem reinen Ferienort, der nur im Sommer von Urlauber:innen bewohnt wird, zu einer eigenständigen Stadt entwickeln, in der die Menschen das ganze Jahr über leben und mit den benachbarten Gebieten des Pays de l’Or und der Agglomeration von Montpellier interagieren. Man erhofft sich durch das Projekt eine Diversifizierung der wirtschaftlichen Aktivitäten vor Ort, ebenso wie eine zunehmende Durchmischung der Anwohner:innen und Wohnformen. Dazu wird das Projekt Ville Port die öffentlichen Räume des Hafens zwischen den Stadtteilen Levant und Couchant durch eine Promenade aktivieren und durch den Bau des neuen Stadtteil Collins langfristig die beiden Viertel verknüpfen.
Leclercq Associés auf den Spuren von Balladur
Den Planer:innen von Leclercq Associés fällt dabei der Ausbau der Hafenpromenaden, Entsiegelung von Parkplätzen und die Neugestaltung der öffentlichen Plätze am Pompidou- und Tabarly-Kai vor sowie die Schaffung von neuen Gewerbeflächen. Vor der umfassenden Renovierung des Stadtzentrums, das sich um den Hafen herum befindet, setzte sich das Büro zunächst intensiv mit dem Bestand auseinander und stellte fest: „[…] The futuristic city envisioned by Jean Balladur in 1963 is a model of environmental urbanism, promoting lifestyles that are both modern and nature-oriented, favoring pedestrian life and the slow rhythm of the sun’s course.“ So sei La Grande Motte zweifelsohne eine grüne und blaue Stadt geworden, die mit dem Himmel, der Erde und dem Meer in Verbindung stehe.
Denn neben den imposanten Architekturen von Jean Balladur ist heute auch die Arbeit des Landschaftsarchitekten Pierre Pillet prägend für den Ort. Er entwarf ein Waldnetz mit über dreißigtausend Bäumen – darunter Schirmkiefern, Platanen und Weißpappeln -, welches die dem Meer exponierte Stadt heute vor Salz und Wind schützt. An diesen fortschrittlichen Geist von damals, wollen Leclercq Associés mit ihrem Projekt anknüpfen, indem sie die Geste von Balladur fortführen und gleichzeitig aktualisieren. Dazu haben die Architekt:innen der Vegetation viel Platz eingeräumt und natürliche Elemente und bioklimatische Überlegungen in den Entwurfsprozess mit einbezogen.
Der Öffentliche Raum als Rückgrat
Als Besonderheit an La Grande Motte benennen Leclercq Associés die intensive Nutzung des öffentlichen Raums. Sie sei Sinnbild für das pulsierende Leben der Stadt. Die Hafenpromenade gelte dabei als Rückgrat dieser Vitalität und solle auch zukünftig als Drehscheibe für Bewegung, Geselligkeit, Handel und Festlichkeiten entwickelt werden. Dazu organisieren die Planer:innen die Docks nach einer doppelten Logik von Promenaden und Plätzen, die der Saisonalität und dem Lebensstil der Anwohner:innen Rechnung tragen. Schließlich lebe der öffentliche Raum von verschiedenen Zeitlichkeiten: vom Flanieren bis zum täglichen Joggen, von langen Sommerabenden bis zu großen jährlichen Veranstaltungen wie der Bootsmesse und Festen…
Um für all dies Raum zu schaffen, wurde die gesamte Fußgänger:innen- und Radfahrer:innenzone so konzipiert, dass sie vor allem im Sommer stark frequentiert und genutzt werden kann. Dazu dient eine 1,5 Kilometer lange und sieben Meter breite Promenade, die im Vergleich zum Bestand in ihren Ausmaßen verdoppelt wurde. Durch ein durchdachtes Konzept für die Sonneneinstrahlung auf diese öffentlichen Räume entstehen im Winter sonnenbeschienene und im Sommer beschattete Orte. Insgesamt 245 Laubbäume wurden dazu gepflanzt und etwa fünfzig Palmen verpflanzt. So kann La Grande Motte den immer häufiger auftretenden Hitzewellen zukünftig entgegentreten. Die Installation von neuem Stadtmobiliar erhöht außerdem die Aufenthaltsqualität für unterschiedliche Nutzer:innen vor Ort. Dazu gehören Sitzmöbel, aber auch bunte, geometrisch gemusterte Schattenspender. Bei Nacht wird der Freiraum durch eine detaillierte Lichtplanung besonders inszeniert. So erhellen Lichtmasten sanft die Docks und schaffen dabei urbane Bühneneffekte, wenn sich sich Pflanzenschatten und architektonische Muster vermischen.
Umfassendes Gestaltungskonzept
Doch Leclercq Associés beschränkten sich in La Grande Motte nicht auf die Umgestaltung der Promenade. So erstreckt sich die Neugestaltung der Pompidou-Docks auch auf die Fassaden. Um die ikonische Architektur des Badeortes wieder sichtbar zu machen, haben die Planer:innen neue Glasanbauten für die Geschäfte im Erdgeschoss entworfen, die Terrassen erweitert und die Pflasterung bis zu den Hafenbecken erweitert.
So gelingt es dem Entwurf, nicht nur Hochbauarchitektur und Freiraum, sondern auch Vergangenheit und Zukunft in Einklang zu bringen. „Jean Balladur’s legacy evokes a strong connection between the built environment and nature, which has guided the project“, heißt es von Leclercq Associés. Und so erklärt sich auch der Titel des Projektes „La Ball*ade“. Dieser spielt einerseits auf das englische Wort für ein Gedicht oder ein Musikstück an – und stellt gleichsam den Bezug zu Jean Balladur her. Denn Leclercq Associés verstehen ihr Projekt als eine respektvolle Hommage an den ursprünglichen Visionär hinter La Grande Motte. Die Zukunft wird zeigen, ob ihnen damit ähnlich Ikonisches gelungen ist.