18.07.2025

Mobilität

MaaS-Plattformen im internationalen Vergleich – Lessons für deutsche Städte

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Städtische Mobilität: Ein gelber Bus auf der Straße, fotografiert von Nils Lindner

Wer heute über Mobilität in der Stadt diskutiert, kommt an einem Trend nicht vorbei: MaaS-Plattformen, kurz für „Mobility as a Service“, krempeln weltweit das urbane Verkehrsmanagement um. Während Helsinki, Singapur und Wien längst in die Vollen gehen, tüfteln deutsche Städte noch an Pilotprojekten – und kämpfen mit liebgewonnenen Strukturen, Datenschutzparanoia und föderaler Vielfalt. Zeit für einen schonungslosen Blick auf internationale Best Practices, verpasste Chancen und die Frage: Was können deutsche Städte wirklich von den Vorreitern lernen?

  • Definition und Funktionsweise von MaaS-Plattformen: Mehr als nur digitale Fahrpläne.
  • Internationale Leuchtturmprojekte: Helsinki, Singapur, Wien, Los Angeles und ihre Erfolgsrezepte.
  • Analyse der Erfolgsfaktoren: Nutzerzentrierung, Intermodalität, offene Schnittstellen, Governance.
  • Herausforderungen in Deutschland: fragmentierte Anbieterlandschaft, Datenschutz, Wettbewerbsrecht, Mentalitätsfragen.
  • Technische und organisatorische Anforderungen an eine zukunftsfähige MaaS-Infrastruktur.
  • Datensouveränität, Plattform-Governance und die Rolle der öffentlichen Hand.
  • Chancen für die nachhaltige Stadtentwicklung: Klimaschutz, Flächenersparnis, soziale Teilhabe.
  • Risiken und Nebenwirkungen: Monopolisierung, algorithmische Verzerrung, Ausschlussgruppen.
  • Empfehlungen für deutsche Städte: Mut zum Experiment, strategische Allianzen, Nutzerorientierung als Leitmotiv.
  • Fazit: MaaS als Chance für eine neue Mobilitätskultur – und warum Abwarten keine Option ist.

Was sind MaaS-Plattformen? Vom Fahrplan zur urbanen Mobilitäts-Revolution

Mobility as a Service, abgekürzt MaaS, ist weit mehr als eine hippe App für Bus und Bahn. Es handelt sich um digitale Plattformen, die sämtliche urbanen Mobilitätsoptionen intelligent bündeln, personalisieren und nahtlos buchbar machen. Die Grundidee: Nutzer können je nach Bedarf von A nach B gelangen, ohne selbst Verkehrsmittel besitzen oder umständlich zwischen verschiedenen Tickets, Tarifen und Apps jonglieren zu müssen. Ein einziger Zugang, ein einziges Konto – und ab geht die multimodale Reise.

Das technologische Herzstück bildet eine offene, interoperable IT-Infrastruktur. Sie verknüpft Fahrpläne, Verfügbarkeiten, Preise und Buchungsoptionen diverser Anbieter von ÖPNV, Carsharing, Bikesharing, Ridepooling, E-Scootern und sogar Taxis. Algorithmen berechnen die jeweils optimale Route, die Plattform übernimmt Abrechnung, Buchung und manchmal sogar CO₂-Bilanzen – für die Nutzer so einfach wie Online-Shopping.

Im Unterschied zu klassischen Auskunftssystemen wie Google Maps oder der DB Navigator-App setzen MaaS-Plattformen auf vollständige Integration und Transaktionsfähigkeit. Das heißt: Nicht nur Informationen, sondern echte Dienstleistungen werden vermittelt, oft sogar mit Tarifoptimierung und Echtzeit-Feedback. Der Clou: Nutzer müssen sich nicht mehr um Tarifzonen, Anschlussverbindungen oder Kleingedrucktes kümmern – die Plattform regelt alles im Hintergrund, oft sogar personalisiert nach Präferenzen, Abos oder Mobilitätseinschränkungen.

Für Städte und Kommunen eröffnet MaaS völlig neue Steuerungsoptionen. Verkehrsflüsse können in Echtzeit analysiert und beeinflusst, Angebote flexibel gesteuert und die Nutzung emissionsarmer Verkehrsmittel gezielt gefördert werden. Die Plattform wird so zum urbanen Betriebssystem, das „Stau“ und „Stillstand“ digital kuratiert – sofern es richtig gemacht wird.

Doch MaaS ist kein Selbstläufer. Ohne offene Schnittstellen, klare Governance-Strukturen und die Bereitschaft aller Akteure zur Zusammenarbeit bleibt die Plattform ein Flickenteppich. Und genau hier trennt sich international die Spreu vom Weizen – mit Deutschland bislang eher auf der Zuschauertribüne.

Internationaler Vergleich: Wo MaaS längst Realität ist – und wie es funktioniert

Wagen wir den Blick über den Tellerrand: Helsinki gilt als Mutter aller MaaS-Plattformen. Mit der App „Whim“ hat die finnische Hauptstadt bereits 2016 eine vollintegrierte Lösung auf den Markt gebracht, die nicht nur Bus und Bahn, sondern auch Taxis, Carsharing und Leihräder in einem monatlichen Abo bündelt. Das Ziel: Mobilität so einfach und flexibel machen wie Wasser aus dem Hahn. Nutzer buchen, kombinieren, wechseln Verkehrsmittel nach Lust, Laune und Wetter – und zahlen pauschal oder per Fahrt. Die Verwaltung hat frühzeitig Standards gesetzt, Datenzugang geregelt und Anbieter verpflichtet, sich zu öffnen. Ergebnis: Helsinki ist heute eine Blaupause für intermodale Mobilität weltweit.

Singapur wiederum setzt auf eine hochregulierte, staatlich orchestrierte MaaS-Lösung. Die Plattform „SimplyGo“ integriert sämtliche öffentlichen und privaten Mobilitätsdienste – von der MRT über Busse bis hin zu E-Scootern und Carsharing. Besonderes Augenmerk liegt auf der Nutzerfreundlichkeit: kontaktloses Bezahlen, personalisierte Angebote, Echtzeitinformationen und eine konsequente Ausrichtung auf nachhaltige Verkehrsmittel. Die Regierung nutzt die Plattform zudem aktiv zur Verkehrssteuerung und Klimapolitik. Kein Wunder, dass Singapur als effizientestes MaaS-Ökosystem Asiens gilt.

In Wien wiederum hat man sich für eine öffentlich-private Kooperation entschieden. Die Plattform „WienMobil“ der Wiener Linien integriert neben ÖPNV auch Carsharing, Bikesharing und Taxis – mit zentraler Buchungs- und Zahlungsfunktion. Die Besonderheit: Die Stadt bleibt Herrin über die Daten, setzt offene Schnittstellen und garantiert so eine hohe Interoperabilität. Nutzer profitieren von durchgängigem Service, die Stadt von wertvollen Verkehrs- und Umweltdaten für die Planung.

Los Angeles zeigt, dass auch Megacities auf MaaS setzen können – und müssen. Die „LADOT Mobility Marketplace“ hat sich zum Ziel gesetzt, alle privaten und öffentlichen Verkehrsanbieter unter einem Dach zu vereinen. Besonders spannend: Die Plattform ist von Anfang an als Open-Source-Projekt angelegt, um Monopole zu verhindern und Innovation zu fördern. Transparente Datennutzung, offene APIs und eine klare Governance sorgen dafür, dass alle Akteure – vom Start-up bis zum Verkehrsbetrieb – auf Augenhöhe mitspielen.

Diese Beispiele zeigen: Erfolgreiche MaaS-Plattformen entstehen dort, wo Städte mutig Standards setzen, die Rolle des „ehrlichen Maklers“ einnehmen und alle Akteure zum Mitmachen verpflichten – notfalls mit regulatorischem Nachdruck. Nutzerzentrierung, Intermodalität und offene Schnittstellen sind dabei kein Luxus, sondern Grundvoraussetzung. Und Deutschland? Hier knirscht das System an allen Ecken und Enden – trotz vieler innovativer Einzelprojekte.

Herausforderungen für deutsche Städte: Zwischen Flickenteppich und Föderalismusfalle

Deutsche Städte stehen beim Thema MaaS vor einer ganzen Latte an Herausforderungen, die sich nicht nur auf die Technik beschränken. Da wären zum einen die allseits beliebten Insellösungen: Jeder Verkehrsverbund, jedes Carsharing-Start-up und jede Kommune kocht ihr eigenes Süppchen. Schnittstellen? Fehlanzeige. Während in Helsinki oder Wien ein Klick reicht, um von Bus auf Carsharing umzusteigen, jongliert man in Berlin, München oder Hamburg noch immer mit fünf Apps, drei Accounts und dem großen Unbekannten namens Datenschutz-Grundverordnung.

Datenschutz ist in Deutschland heilig – und das ist gut so. Doch zu oft wird er als Bremsklotz missverstanden. Anbieter scheuen offene Datenplattformen, weil sie Sanktionen fürchten. Kommunen wiederum klammern an ihren Souveränitätsansprüchen und trauen sich nicht, Standards verbindlich zu machen. Das Ergebnis: Statt Interoperabilität regiert die Kleinstaaterei – und Nutzer verlieren schnell die Lust an der „smarten“ Mobilität.

Auch das Wettbewerbsrecht macht die Sache nicht leichter. Während andere Länder ihre Plattformen proaktiv regulieren und Anbieter zur Kooperation verpflichten, herrscht in Deutschland Angst vor Marktverzerrung und Abmahnwellen. Das lähmt Innovation und fördert Besitzstandsdenken. Zudem fehlt es an einer klaren Governance: Wer steuert die Plattform? Wer haftet bei Fehlern? Wer entscheidet über Zugangsregeln? Ohne klare Antworten bleiben viele Pilotprojekte im Experimentierstadium stecken.

Hinzu kommt eine gewisse deutsche Mentalität, die gerne erst dann handelt, wenn alles hundertprozentig geregelt ist. Doch gerade MaaS lebt von Agilität, iterativer Entwicklung und Experimentierfreude. Wer zu lange abwägt, wird abgehängt – und verliert die Akzeptanz der Nutzer an globale Plattformanbieter, die nicht auf deutsche Bedenkenträger warten.

Schließlich ist auch die technische Infrastruktur oft ein Hemmschuh. Veraltete Buchungssysteme, fehlende Echtzeitdaten, proprietäre Schnittstellen und mangelnde Cloud-Kompetenz machen es schwer, skalierbare MaaS-Lösungen aufzusetzen. Hier rächt sich die jahrelange Vernachlässigung der IT-Basis – und die Fixierung auf klassische Verkehrsplanung statt auf digitale Services.

Was deutsche Städte von den internationalen Vorreitern lernen können

Die gute Nachricht: Es gibt Wege aus dem Dilemma – und die internationale Bühne liefert reichlich Anschauungsmaterial. Erstens: Nutzerzentrierung ist kein nettes Extra, sondern das Fundament jeder erfolgreichen MaaS-Plattform. Wer nicht konsequent vom Bedürfnis der Menschen ausgeht, landet schnell bei Technikspielereien, die im Alltag niemand braucht. Das bedeutet: Einfachheit, Transparenz und Zuverlässigkeit sind wichtiger als tausend Feature-Schalter.

Zweitens: Ohne offene Schnittstellen und standardisierte Datenformate geht gar nichts. Wer Anbieter zur Kooperation zwingt, Innovation ermöglicht und Daten als Gemeingut betrachtet, schafft die Grundlage für echte Integration. Das verlangt Mut zur Regulierung und zur Setzung von Spielregeln – auch gegen Widerstände einzelner Marktakteure.

Drittens: Die öffentliche Hand muss eine aktive Rolle einnehmen, aber nicht als Betreiber, sondern als Orchestrator. Sie setzt Standards, überwacht die Einhaltung und sorgt für Chancengleichheit. Die Plattform-Governance darf nicht in den Händen einzelner Konzerne liegen, sondern muss demokratisch legitimiert und kontrolliert werden. Nur so lassen sich Monopolstrukturen und algorithmische Verzerrungen verhindern.

Viertens: MaaS braucht Experimentierfreude, Lernbereitschaft und die Offenheit, Fehler zu machen – und daraus zu lernen. Internationale Vorbilder zeigen: Wer Pilotprojekte nicht als Endziel, sondern als Lernfeld begreift, kann schnell skalieren und nachjustieren. Deutsche Städte sollten sich trauen, in kleinen Quartieren zu starten, Nutzer einzubeziehen und Schritt für Schritt zu wachsen.

Fünftens: Nachhaltigkeit und soziale Teilhabe müssen von Anfang an mitgedacht werden. MaaS kann helfen, den Modal Split zugunsten umweltfreundlicher Verkehrsmittel zu verschieben, Flächen zu sparen und Mobilität für alle zugänglich zu machen. Voraussetzung ist allerdings, dass niemand ausgeschlossen wird – weder technisch noch finanziell. Das heißt: Barrierefreiheit, mehrsprachige Angebote und faire Preismodelle gehören auf die To-Do-Liste ganz nach oben.

Fazit: MaaS als Schlüssel für die urbane Mobilitätswende – aber nur, wenn Städte Mut zur Plattform zeigen

Mobility as a Service ist keine Zauberei – aber es ist eine Einladung, Mobilität neu zu denken. Internationale Vorreiter zeigen, wie Städte zu echten Plattform-Orchestratoren werden und Mobilität so flexibel, einfach und nachhaltig gestalten, wie es das Leben in der Stadt verlangt. Deutsche Städte haben das Know-how, die Innovationskraft und die Menschen, die solche Lösungen nutzen wollen. Doch sie brauchen mehr Mut, alte Zöpfe abzuschneiden und den Flickenteppich in ein urbanes Betriebssystem zu verwandeln.

Die Herausforderungen sind enorm: technische, rechtliche, kulturelle und organisatorische Hürden müssen überwunden, Bedenken ernst genommen und Governance-Modelle neu gedacht werden. Doch das Potenzial ist ebenso groß: weniger Verkehr, mehr Lebensqualität, bessere Klimabilanz und neue Spielräume für die Stadtentwicklung. Wer jetzt handelt, kann die Regeln für die Mobilität von morgen mitgestalten – statt sie von Tech-Giganten oder internationalen Vorreitern vorgegeben zu bekommen.

MaaS ist kein Selbstzweck und keine App, sondern der Schlüssel zu einer Mobilitätskultur, die Stadt und Menschen zusammenbringt. Wer die Plattform wagt, wird belohnt – mit einer Stadt, die lebt, lernt und sich bewegt. Wer weiter abwartet, riskiert, dass die Mobilität der Zukunft an der eigenen Haustür vorbeifährt.

Der internationale Vergleich macht Mut: Die Werkzeuge sind da, die Rezepte bekannt, die Menschen bereit. Es liegt an den deutschen Städten, aus der Zuschauerrolle herauszutreten und die urbane Mobilitätswende aktiv zu gestalten. Denn eines ist klar: Die Zukunft fährt Plattform – und wer nicht einsteigt, bleibt stehen.

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