05.06.2020

Projekt

Neue Alster-Liebe

wenn man Gewässer als Lebensräume denkt. (Collage: studio urbane landschaften)


Bojen für die Fleete

Die letzte Ausgabe des diesjährigen Stadt Spezials, die G+L 06/2020, dreht sich ganz um Wasser in der Stadt. Dieses Thema hatten wir auch in der G+L 02/18 aufgegriffen. Immer noch lesenswert ist der Artikel über das Projekt “Lebendige Alster in der Fleetstadt”: Wie lebt ein Fisch in der Großstadt? Diese Frage stellten damals sechs orangefarbene Bojen im Hamburger Alsterfleet. Sie machten so auf einen Missstand aufmerksam: Fische finden in den kanalisierten Armen der Alster bislang keine Lebensgrundlage. Das könnte sich mit einem Unterwasserprojekt von studio urbane landschaften bald ändern.

Die leuchtenden Bojen treiben nicht nur als Gedankenanstöße auf dem Fleet. An ihnen sind Gliederketten mit Bündeln von Totholz und Weidengeflechten verankert, die neuen Lebensraum für Algen und wirbellose Gewässerorganismen schaffen sollen – die perfekte Nahrung für Fische. Derartige künstlich geschaffene Unterwasserwelten gehören zu einem Ideenkatalog, den das Hamburger studio urbane landschaften mit dem Umweltbüro Essen in der Studie „Lebendige Alster in der Hamburger Fleetstadt“ entwickelt hat.

Die Maßnahmen sollen bessere Lebensbedingungen schaffen für die beheimatete Tierwelt und die wandernden Arten wie Meerforellen, Aale, Lachse oder Neunaugen, die zum Laichen von der Elbe in den Oberlauf der Alster aufsteigen. Sie leiden in den Fleeten unter den strukturarmen Ufern und Sohlen. Außerdem müssen sie sich auch an extreme hydrologische Bedingungen anpassen. Abends sind die Unterwasserbewohner im Alsterfleet etwa sehr starken Strömungen ausgesetzt, wenn zur Wasserstandregulierung die Rathausschleuse geöffnet wird.

Die Umweltverbände Aktion Fischotterschutz, BUND Hamburg und NABU Hamburg haben die Studie beauftragt. Seit 2011 engagieren sie sich mit dem Projekt „Lebendige Alster“ für die naturnahe Entwicklung der Alster und ihrer Nebengewässer. Anders als im Oberlauf der Alster, der als begrünter Kanal die Quartiere durchzieht, ist die klassische Anwendung von Totholz- und Kieseintrag zur ökologischen Aufwertung innerhalb der Fleete nicht praktikabel. Vergleichbare Vorhaben hat es in Deutschland bisher nicht gegeben, sodass das Planungsteam aus studio urbane landschaften und dem Umweltbüro Essen herausgefordert war, neue Maßnahmen für die Revitalisierung der Fleete zu erarbeiten.

Das Team entwickelte zum Beispiel die orangefarbenen Bojen, die auf die Bedürfnisse der aquatischen Lebewesen zugeschnitten sind und die laut Studie „Schutz-, Nahrungs- und Besiedlungsstrukturen für die Lebensgemeinschaft“ schaffen sollen. Gleichzeitig sollen sich diese Prototypen in die kulturhistorische Kulisse der Hamburger Altstadt einfügen.

Fleete als Lebensräume

Die Bojen weisen dabei auf ein Stück Stadtnatur hin, das man als solches vielleicht vorher nicht wahrgenommen hätte, und verdeutlichen, dass die Fleete nicht nur Entwässerungskanäle und Teil der historischen Altstadt, sondern zugleich ein Lebensraum sind. Auch der Mensch gewinnt durch ihre ökologische Aufwertung. Laut Sabine Rabe vom studio urbane landschaften soll die Studie Denkanstöße liefern, wie man die Fleete für die Bewohner Hamburgs wiederbeleben kann. Ursprünglich waren sie Hauptwege, auf denen die vom Hafen auf Schuten umgeschlagenen Waren weitertransportiert wurden.

Heute fahren dort außer Ausflugsbarkassen nur Revisionsboote, von denen aus man Brücken und Mauern instand hält. Bisher sind die Möglichkeiten, sich an den Ufern aufzuhalten, eingeschränkt. Warum sollte man die Fleete in Zukunft nicht, wie in der Studie vorgeschlagen, mit dem Kanu to go befahren? Den historischen Verkehrsweg in eine sportliche Wasserverbindung zu transformieren macht nicht nur Sinn, sondern ist dazu noch sehr reizvoll.

Mobiles Grün auf dem Wasser

Bevor man vom Kanu aus die Hamburger Altstadt neu entdecken kann, werden bald andere Gefährte die Fleetalster beleben. Das Planungsteam gestaltet derzeit schwimmende Landschaften. Diese will man auf Schuten aus den 1960er- und 1970er-Jahren pflanzen und durch die Fleete ziehen. Durch die Schiffsböden ragen Wurzeln ins Wasser, die neuen Schutz- und Nahrungsraum befördern. Laut Sabine Rabe seien die schwimmenden Landschaften aus einer Kontroverse zwischen den fachlichen Lagern Naturschutz und Denkmalschutz hervorgegangen.

Da die Wasserfläche in der Hamburger Altstadt unter Denkmalschutz steht, schien das Einbringen von sichtbaren Grünstrukturen am Wasser nicht realisierbar. Die Auseinandersetzung mündete in der Idee vom mobilen Grün auf Schuten in einer für Denkmal, Tier und Mensch bereichernden Lösung. Ob die bereits eingesetzten Testobjekte wie gewünscht die Artenvielfalt fördern, prüft das Planungsteam durch ein Monitoring. Ein Erfolg war, so Sabine Rabe, der Fund von drei Aalen, die man bei der Begehung des entleerten Alsterfleets in den Weidengeflechten der Bojen sichtete.

Stromkokons als Unterstand

Auch mit dem Prototyp Stromkokon gewinnt die Fleetalster als Wanderkorridor an Qualität. In diesen futuristisch anmutenden Betonhüllen, deren Form an die Kokons aquatischer Insektenlarven angelehnt sind, sollen Fische bei starken Strömungsphasen einen Unterstand finden. Gleichzeitig stabilisieren sie die sandige Gewässersohle. Sonaraufnahmen in den Stromkokons belegen, dass vor allem kleinere Fische den Schutzraum frequentieren. Positive Ergebnisse wie diese geben der Realisierung weiterer Projekte, die in der Ideenstudie entwickelt wurden, Auftrieb.

Laut Rabe ist der zweite Förderantrag, den das Planungsteam bei der Stiftung Lebensraum Elbe eingereicht hat, bereits bewilligt und damit die Finanzierung weiterer Testobjekte gesichert. Die ökologische Aufwertung der Fleetalster ist insgesamt in ein wohlwollendes politisches Klima eingebettet. Um eine der größten Barrieren für Wanderfische abzubauen, hat die Stadt Hamburg an der Rathausschleuse sogar eine kostspielige Fischaufstiegsanlage bauen lassen. Sie fügt sich als Stahlbauwerk in den sensiblen bauhistorischen Kontext ein. Zusammen mit weiteren neuen Fischtreppen agiert die Hansestadt im Sinne der EU-Wasserrahmenrechtlinie, die ihren Mitgliedstaaten vorschreibt, bis spätestens 2027 ihre Gewässer in einen ökologisch guten Zustand zu überführen.

Fleete als Schwimmbäder

Die Unterwasserwelten in der Fleetalster setzen die Vorgaben dieser Richtlinie nicht nur mit um. Sie zeigen auch, welches Potenzial im Neudenken von Gewässern in Metropolen steckt. Die Hamburger Prototypen verdeutlichen, wie man in diesen, zu (denkmalgeschützten) Infrastrukturen reduzierten, Wasserräumen Habitate für Flora, Fauna und neue urbane Freiräume entwickeln kann. Wenn der Fisch heimisch wird, folgt ihm der Mensch. Vielleicht ist die Vision in der Ideenstudie vom Baden in den Fleeten gar nicht so utopisch. Die Wasserqualität gebe es laut Sabine Rabe her, dort zu schwimmen. In unserer aktuellen Freizeit- und Erholungskultur ist das Baden in urbanen Gewässern noch lange nicht angekommen. Aber wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass wir Menschen Unterstände für Fische bauen?

Dieser Artikel erschien erstmals in der G+L 02/2018: Im Fluss: Revival eines Naturraums.

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