25.07.2021

Gesellschaft

Pulitzer-Preis 2021 geht an Architektin

Die britische Architektin Alison Killing erhielt den Pulitzer-Preis 2021 für Internationale Berichterstattung. (Foto: The Space)

Die britische Architektin Alison Killing erhielt den Pulitzer-Preis 2021 für Internationale Berichterstattung. (Foto: The Space)

2020 veröffentlichte BuzzFeed News eine Serie an Berichterstattungen von Alison Killing und zwei Kolleg*innen über geheime Internierungslager in China. Für ihre Arbeit erhielt die britische Architektin gemeinsam mit ihren Mitstreiter*innen nun den Pulitzer-Preis 2021 für Internationale Berichterstattung. Worüber sie berichtet haben, erfahren Sie hier.

Die britische Architektin Alison Killing erhielt den Pulitzer-Preis 2021 für Internationale Berichterstattung. (Foto: The Space)
Alison Killing und ihre Mitstreiter*innen veröffentlichten für BuzzFeed News einen Artikel über neue Infrastrukturen in China, die unter Verdacht stehen, genutzt zu werden, um muslimische Minderheiten festzuhalten. Diese Karte zeigt die Standorte von Einrichtungen, die bei dieser Untersuchung gefunden wurden und die Gefängnissen und Internierungslagern ähneln. (Bild: BuzzFeed News and Mapbox)

Pulitzer-Preis 2021: International Reporting

Die britische Architektin Alison Killing hat einen Pulitzer-Preis gewonnen. Nein, Sie haben sich nicht verlesen – die Rede ist nicht vom renommierten Pritzker-Preis, auch „der Nobel-Preis der Architektur“ genannt. (Wer den Pritzker-Preis 2021 gewonnen hat, erfahren Sie bei unseren Kolleg*innen vom Baumeister.) Die Rede ist vom Pulitzer-Preis, dem US-amerikanischen Medienpreis für herausragende journalistische, literarische und musikalische Arbeit.

Wenn man den Pritzker-Preis als den „Nobel-Preis der Architektur“ bezeichnet, könnte man den Pulitzer-Preis mit den Oscars gleichsetzen. Denn dieser wird in verschiedenen Kategorien vergeben. Darunter journalistische Genres (Breaking News, Investigativjournalismus, Audio Reporting, Breaking News Fotografie), aber auch Fiktion, Biografie, Poesie und Musik. Dazu kommt die Extra-Kategorie „Special Awards and Citations“. Der Pulitzer-Preis 2021 in dieser Gattung ging an Daniella Frazier – die US-Amerikanerin, die den Mord an George Floyd aufzeichnete und damit Proteste gegen Polizeibrutalität auf der ganzen Welt auslöste.

Aber zurück zu Alison Killing. Wie gelangt eine Architektin an einen Pulitzer-Preis? Eins sei vorweggenommen: Sie hat ihn nicht allein erhalten. Gemeinsam mit der Journalistin Megha Rajagopalan und dem Programmierer Christo Buschek gewann sie den Pulitzer-Preis 2021 in der Kategorie „International Reporting“.

Diese Kategorie zeichnet ein hervorragendes Beispiel einer Berichterstattung über internationale Angelegenheiten aus. Es spielt keine Rolle, um welches journalistische Genre es sich dabei handelt. Der Preis ist mit 15 000 US-Dollar dotiert.

Für BuzzFeed News, eine US-amerikanische Nachrichten-Webseite, verfasste Alison Killing gemeinsam mit Megha Rajagopalan und Christo Buschek eine Reihe von Artikeln. Darin identifizierten sie riesige neue Infrastrukturen, die die chinesische Regierung für die Masseninhaftierung von Muslimen in der Grenzregion Xinjiang gebaut haben könnte. Dafür nutzten die drei Satellitenbilder, Interviews mit einer Reihe ehemaligen Häftlingen – und architektonisches Know-how.

„Berufsausbildungszentren“ für muslimische Minderheiten in China

Die architektonische Expertise bringt Alison Killing mit ins Team. Sie ist Architektin und Geoanalytikerin. 2010 gründete sie in Rotterdam das Büro Killing Architects. Dieses nutzt die Kompetenzen aus Architektur und Stadtplanung, um dringende gesellschaftliche Fragestellungen zu untersuchen. Dazu gehören etwa die Überwachung in Städten, Migration oder eben: ein geheimes Netzwerk an Gefangenenlagern aufzudecken. Dafür verwendet Killing Architects Karten und Daten.

Ein Camp in Shufu in Xinjiang, via Satellit, gesehen am 26. April 2020. Gekennzeichnet sind die Wachtürme (rund), zwei Wachgebäude (links), der Eingang (oben) und die Mauer mit Stacheldraht (rechts unten). (Bild: BuzzFeed News und Google Earth)

Auf der Suche nach der Nadel im Heuhaufen

Diese beiden Instrumente halfen auch bei der internationalen Reportage über die Zustände in Xinjiang. Dort werden laut dem Pulitzer-preisgekrönten Artikel aktuell tausende Angehörige der muslimischen Minderheiten der Uigur*innen und Kasach*innen in sogenannten Berufsausbildungszentren untergebracht. Die Gründe dafür seien den Menschen, die dort untergebracht werden, oft unklar. Ehemalige Insass*innen sprechen aber von Vergehen wie dem Ausüben der muslimischen Religion, dem Besuchen von Verwandten im Ausland oder der Nutzung des Nachrichtendienstes WhatsApp, der in China verboten ist.

Die chinesische Regierung argumentiert laut Killing, Rajagopalan und Buschek, dass sie mit den Zentren, die an Konzentrationslager erinnern, gegen Extremismus vorgehe. Die Personen, die sie dorthin verfrachteten, würden deradikalisiert und ausgebildet – etwa in Mandarin. Die ehemaligen Häftlinge – und von Häftlingen zu sprechen ist in diesem Fall schwierig, denn die Zentren sind nicht im chinesischen Justizsystem verordnet und keine*r der Insass*innen wurden offiziell verhaftet, geschweige denn verurteilt – berichten jedoch von gefängnisartigen Zuständen, Überfüllung und Zwangsarbeit. Vor allem die Überfüllung stellt die chinesische Regierung laut der Reportage vor ein Infrastrukturproblem.

Dieses Camp in Dabancheng ist zwei Kilometer lang und wurde um einen zusätzlichen Kilometer mit einer neuen Anlage auf der anderen Straßenseite nach Westen erweitert. Zum Vergleich: Das Camp ist etwa halb so lang wie der Central Park (rechts). (Bild: BuzzFeed News and Google Earth)

Berufsausbildungszentrum oder Hochsicherheitsgefängnis?

Hier kommen Alison Killing, Megha Rajagopalan und Christo Buschek ins Spiel. Das Trio hatte es sich zum Ziel gemacht, die Zentren zu finden. Denn obwohl es 2018 Schätzungen zufolge um die 1 200 Camps gab, in denen Uigur*innen und Kasach*innen in Xinjiang festgehalten wurden, waren nur wenige der Standorte bekannt.

Um weitere Camps zu suchen, nutzten Killing und ihre Kolleg*innen Satellitenbilder der Region. Dabei spielte ihnen die chinesische Kartenanwendung Baidu (wie GoogleMaps, nur zensiert) in die Hände. Baidu hatte die Standorte der Camps auf seinen Karten mitzensiert – aber offenbar nicht geschickt genug. Denn Killing und ihren Kolleg*innen fiel dabei ein Muster auf: Die Kacheln, die Baidu verwendete, um die Standorte zu zensieren, wichen von den Standartkacheln ab. (Mehr dazu, wie Killing, Rajagopalan und Buscheck die Camps fanden, lesen Sie in diesem Artikel, in dem die drei ihr Vorgehen offenlegen.)

Diese Kacheln verrieten die Standorte der Lager (Gif: BuzzFeed News and Baidu maps)

Sobald sie die Standorte kannten, konnten Killing und ihre Kolleg*innen sie mit den Karten von externen Anbietern von Satellitendaten abgleichen. Dadurch identifizierten sie insgesamt 268 neu gebaute Gebäudekomplexe, die zwischen 2017 und 2020 entstanden.

Alison Killing unterstützte die Investigation aber nicht nur mit ihrer Expertise als Geoanalytikerin. Als Architektin konnte sie auch einschätzen, wie viele Personen in den Gebäuden untergebracht werden können. Im Artikel sind verschiedene Lager genannt, die mehrere Zehntausend Menschen fassen. Im Gegensatz zu Lagern, die vor 2017 entstanden, haben sie Charakteristiken, die Hochsicherheitsgefängnisse in andern Teilen Chinas aufweisen. Neben Wachtürmen und Verwaltungsgebäuden finden sich auf den Arealen viel Stacheldraht und winzige Höfe mit Betonmauern. Die Grundrisse der Hauptgebäude lassen wenig natürliches Licht in das Innere. Lange Korridore mit Zellen auf beiden Seiten führen von der einen Seite zur anderen. Wie sich das Leben darin anfühlt, wenn auf 20 Quadratmetern bis zu 15 Personen wohnen, will man sich nicht vorstellen.

Die britische Architektin Alison Killing erhielt den Pulitzer-Preis 2021 für Internationale Berichterstattung. (Foto: The Space)

Pulitzer-Preis 2021: Leseempfehlung

Ich möchte Ihnen an dieser Stelle ans Herz legen, die Berichterstattung von Alison Killing, Megha Rajagopalan und Christo Buschek zu lesen. Die Artikel sind auf Englisch verfasst und etwas länger. Aber nach der Lektüre wissen Sie erstens, was Killing, Rajagopalan und Buscheck über die Aktivitäten in Xinjiang seit 2016 erfahren haben – Informationen, die Sie bisher wahrscheinlich so kaum in den Nachrichten gesehen haben. Und zweitens erfahren Sie, wie man mit Karten und Daten allfällige geheime Regierungsaktivitäten aufdecken kann.

Hier finden Sie den ersten Artikel, die weiteren sind darin verlinkt.

Orte der räumlichen Segregation ohne Zensur zeigte eine Ausstellung in New York: Anfang 2021 diskutierte die Ausstellung „Reconstructions: Architecture and Blackness in America“ im MoMa die Rolle der US-amerikanischen Architektur im Strukturellen Rassismus.

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