24.02.2021

Porträt

Sebastian Scheel, wie bewältigen wir Flächendruck?

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Berlin wuchs von 2011 bis 2016 um rund 245 000 Menschen. Das ­entspricht der Einwohner*innenzahl der Stadt Kiel. Die ehemalige ­Bau­­senatorin Katrin Lompscher reagierte mit dem „Stadtentwicklungsplan Wohnen 2030“ auf das massive Stadtwachstum in der Hauptstadt. 200 000 neue Wohn­einheiten sollten geschaffen werden. Und dann? Dann meldete das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg vergangenen August den ersten Einwohner*innenrückgang in Berlin seit 2003. Eine Trendwende? Nein, sagt Berlins neuer Bausenator Sebastian Scheel. Für die Januarausgabe 2021 hat sich G+L-Chefredakteurin Theresa Ramisch mit ihm über den Umgang mit Flächenkonkurrenz unterhalten – am Beispiel Berlin.

Sebastian Scheel ist deutscher Politiker der Partei Die Linke und seit August 2020 neuer Senator für Stadt­entwicklung und Wohnen des Landes Berlin. (Foto: bengross.de)

Bausenator Sebastian Scheel im Interview

Sebastian Scheel, im August 2020 meldete das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg den ersten Einwohner*innenrückgang in Berlin seit 2003. Was bedeutet das für Ihre Arbeit und den erst 2019 ­verab­schiedeten Stadtentwicklungsplan?

Berlin ist attraktiv und wird es bleiben, insofern gehe ich davon aus, dass wir hier eine Momentaufnahme sehen und keine Trendwende. Der leichte Rückgang der Einwohnerzahl hat im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen gelten corona­bedingte Beschränkungen, die einen ­dämpfenden Einfluss auf nationale und internationale Migrationsbewegungen haben. Zum anderen wurde das Berliner Melderegister bereinigt.

Beides zusammen sorgt für eine sinkende Einwohner*innenzahl im ersten Halbjahr 2020. Unmittelbare Auswirkungen auf den „Stadtentwicklungsplan Wohnen 2030“ ergeben sich daraus nicht. Und wir sehen vor allem keinen Anlass, die ­Anstrengungen beim Wohnungsbau zurückzufahren, denn beim gemeinwohlorientierten Wohnungsbau für die Berliner*innen ist der Bedarf weiterhin hoch.

“Unser Ziel ist es, Flächen zu schonen.”

In Stadtteilen wie Mitte, Kreuzberg oder Neukölln konkurriert der steigende Bedarf an Wohn- und Gewerbeflächen mit dem Bedarf an Grün- und Freiflächen, die aber für eine klimaresiliente Stadtentwicklung dringend nötig sind. Hinzu kommt, dass Gründerzeitquartiere wie Friedrichshain, Prenzlauer Berg oder Kreuzberg über nur wenige Parks verfügen, die aber für das Stadtklima dringend notwendig wären. Wie stellen Sie sicher, dass dort – trotz steigender Nachfrage nach Wohnraum – das für das Mikroklima erforderliche Stadtgrün erhalten wird? 

Unser Ziel ist es, Flächen, die bislang nicht bebaut sind und nicht im Siedlungs­zusammenhang liegen, möglichst zu schonen. Für die klimaverträgliche bauliche Entwicklung im Bestand empfehlen wir möglichst viele Fassaden zu begrünen. Gefordert und gefördert wird außerdem, schattenspendende Straßenbäume zu pflanzen sowie die Nutzung von Dächern für Solaranlagen und Grünbepflanzung. Damit soll sowohl Energie gewonnen als auch die Speicherung von Wasser er­möglicht werden.

Mit dem „1000-grüne-Dächer-Programm“ verfügt Berlin über ein gutes Instrument dafür. Vor allem die baulichen Entwick­lungen im Bestand erfordern passgenaue Konzepte, die die individuellen Rahmen­bedingungen berücksichtigen und nutzen. Dabei kommt es auf die Eigentümer*innen genauso an wie auf die öffentliche Hand und die Stadt­gesellschaft, die diese ­Ver­änderung gemeinsam tragen und gestalten müssen.

“Grün- und Freiflächen sind wichtige Orte des Miteinanders.”

Grün- und Freiflächen können ein Schlüssel für die städtebauliche Aufwertung und die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts sein. Welche Freiraum-Strategien fahren Sie in Berlins sozial benachteiligten Stadtquartieren wie Reinickendorf, ­Gropiusstadt oder Falkenhagener Feld, Sebastian Scheel??

Quartiere mit besonderem Entwicklungs­bedarf befinden sich in allen Teilen Berlins. Randstädtische Quartiere wie das ­Märkische Viertel in Reinickendorf, das Falkenhagener Feld in Spandau und die Gropiusstadt in Neukölln sind nicht durch Grünunterversorgung gekennzeichnet – im Gegensatz zu den dicht bebauten innenstadtnahen Quartieren. Deshalb sind auch hierbei unterschiedliche Maßnahmen für unterschiedliche Gegebenheiten notwendig.

Es ist uns bewusst, dass Grün- und Freiflächen als Begegnungsorte im Quartier wichtige Orte des Miteinanders sind. Die bauliche Qualifizierung und Aufwertung dieser Orte ist ein wichtiger Bestandteil der Städtebauförderung. 

Meine Verwaltung unterstützt Beteiligungsgremien, wie zum Beispiel Quartiersräte im Quartiersmanagementverfahren, damit Anwohner*innen über Umweltbelange mitentscheiden können. Berlin nutzt auch das 2017 temporär aufgelegte Städte­­bau­förderprogramm „Zukunft Stadtgrün“, um Grün- und Freiflächen sowie das Wohn­umfeld aufzuwerten. Eine der umfangreichsten Maßnahmen aus dem Programm Zukunft Stadtgrün ist in Berlin die Gropiusstadt mit dem Leitbild „Die Gropiusstadt bewegt! – durchgrünt, nachbarschaftlich, umweltfreundlich sowie sport- und gesundheitsorientiert“. Auch nach Beendigung dieses Förderprogramms werden Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung gefördert.

Im Rahmen der Ressortübergreifenden Gemeinschafsinitiative zur Stärkung sozial benachteiligter Stadtquartiere sollen in
13 Handlungsräumen in Berlin Förde­rungen vieler Senatsverwaltungen gebündelt werden. Dies bietet neue Chancen und eine bessere Abstimmung für die Qualifizierung von Grün- und Freiflächen.

“Unser Ziel ist, Stadtplätze und Grün­anlagen mit hoher Aufenthaltsqualität zu schaffen.”

Wie steht es um die Verkehrsflächen? Wäre es nicht auch in Berlin dringend notwendig, Straßen- bzw. Verkehrsfläche wieder in begrünte Plätze umzuwandeln? 

Unser Ziel ist, Stadtplätze und Grün­anlagen mit hoher Aufenthaltsqualität und inklusiver Gestaltung zu schaffen. Mit dem Plätzeprogramm unterstützen wir Berliner Bezirke dabei finanziell. Schwerpunkt ist die Schaffung verkehrsberuhigter Bereiche. So wird derzeit im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf die Straßenkreuzung ­Horstweg/Wundtstraße zu einer Platzfläche umgestaltet, wodurch der Autoverkehr reduziert werden soll. Dies geschieht in enger Zusammenarbeit mit der für Verkehr zuständigen Verwaltung.

“Berlin und Brandenburg bemühen sich, den schienengebundenen Nahverkehr zu verbessern.”

Berlin feierte vergangenes Jahr „100 Jahre Groß-Berlin“. Bernd Albers, Vogt Landschaft und Arup gewannen gemeinsam den an das Jubiläum gekoppelten städtebaulichen Ideenwettbewerb Berlin-Brandenburg 2070. Der Wettbewerbs­beitrag schlägt einen dritten Eisenbahnring rund um Berlin vor, durch den neue räumliche Beziehungen nach Brandenburg entstehen. Es ist die Rede von Wohnraum für eine Million Einwohner*innen und einer Hochbahn. Welche Bedeutung hat das Berliner Umland künftig für die Flächen­entwicklung der Hauptstadt? Wird man sich ihm nun wieder mehr zuwenden, nachdem jahrelang eher die innerstädtische Nachverdichtung im Fokus stand?

Berlin hat das Umland nie aus den Augen verloren. Die Siedlungsentwicklung Berlins und der Umlandgemeinden erfolgt auf der Grundlage des sogenannten Siedlungssterns, wie es im Landesentwicklungsplan Hauptstadtregion festgelegt ist. Seit 1994 tauscht sich Berlin im Kommunalen Nachbarschaftsforum regelmäßig mit allen Nachbargemeinden, Landkreisen und Regionalen Planungsgemeinschaften aus. In dieser Zeit wurden viele gemeinsame Projekte umgesetzt, wie zum Beispiel bei der Radwegeplanung, der Projekt­finanzierung der Regionalparks und bei der Gestaltung der Bahnhofsumfelder.

Schon seit vielen Jahren unterstützt die Berliner Stadtgüter GmbH die Nachbarkommunen und andere Akteur*innen durch die Bereitstellung von Flächen für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Seit wenigen Jahren besteht auch Einvernehmen darüber, dass die Berliner Stadtgüter GmbH die Siedlungsentwicklung der Nachbargemeinden unterstützt, zum Beispiel durch Überlassung von Bauland für landeseigene Berliner Wohnungs­­­bau­gesellschaften. Die Ergebnisse all dieser Abstimmungen werden von Berlin und den Nachbarkommunen im Rahmen der Wahrnehmung der Kommunalen ­Planungshoheit umgesetzt.

Berlin steht wie jede andere Gemeinde auch in der Verantwortung, seine ­Aufgaben auf dem eigenen Territorium nachhaltig und gemeinwohlorientiert im Interesse des Ganzen zu bewältigen. Berlin unterstützt mit dem Land ­Brandenburg durch die Gemeinsame Landesplanungsabteilung GL die ­Entwicklung im beiderseitigen Stadt-­Umland-Raum zum Beispiel durch Achsenentwicklungskonzepte und Interkommunale Kooperationsvorhaben zur Gestaltung von Wachstum. Besondere Bedeutung haben dabei auch die An­strengungen beider Länder, den schienengebundenen Nahverkehr zu verbessern.

“Ich freue mich auch über immer mehr Ge­bäude, die in Holzbauweise errichtet werden.”

Werfen wir abschließend noch einen Blick in die Zukunft der Hauptstadt. Ob „Neue Siemensstadt“ oder „Neue Mitte Tempelhof“ – die Stadt Berlin arbeitet aktuell an zahlreichen spannenden Stadtent­wicklungsprojekten …

Von den vielen spannenden großen und kleinen Stadtentwicklungsprojekten in Berlin nur eines hervorzuheben, fällt mir schwer. Beeindruckt mich bei der Ent­wicklung des Dragonerareals im Bezirk ­Friedrichshain-Kreuzberg vor allem das gemeinsame Gestalten mit bürgerschaftlich engagierten Partner*innen, so begeistert mich bei der Entwicklung des Schumacher Quartiers auf dem ehemaligen Flugfeld in Tegel vor allem der geplante kompakte und gleichzeitig grüne Städtebau mit gemeinwohlorientiertem Wohnungsbau über­wiegend durch landeseigene Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften. Ich freue mich auch über immer mehr Ge­bäude, die in Holzbauweise errichtet werden; sei es im Wohnungsbau oder auch im Schul- und Kitabau, wo wir das Baumaterial Holz bereits erfolgreich einsetzen und weiterhin einsetzen werden.

Flächendruck ist nur eine der vielen Herausforderungen, mit denen sich die Planung auseinandersetzen muss. Hier lesen Sie, womit Planer*innen in Zukunft sonst noch fertig werden müssen.

Dieses Interview mit Bausenator Sebastian Scheel erschien in der G+L 01/21 zum Thema Zukunft Planung.

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