21.10.2025

Mobilität

Sicherheit im Münchener ÖPNV

U-Bahn-Haltestelle Marienplatz in München, Zugang zur U3, Foto: Jakub Zerdzicki

Unsichtbare Grenzen im öffentlichen Raum: In München meiden drei Viertel der jungen Frauen nachts den Nahverkehr – aus Angst. Eine neue Studie des Karlsruher Instituts für Technologie und eine repräsentative Erhebung des Kreisjugendrings München zeigen, wie tief Unsicherheit in die Alltagsmobilität eingeschrieben ist – und das obwohl mehr als drei Viertel der jungen Menschen mit dem ÖPNV in München zufrieden sind.

 

  • Zunehmende Relevanz von Gleichberechtigung: Geschlechtergerechtigkeit in Mobilitäts- und Verkehrspolitik rückt verstärkt in den Fokus aktueller Stadtentwicklungsdiskurse.​

  • Sicherheitsdefizite im öffentlichen Raum: Trotz Bemühungen bleibt das Sicherheitsgefühl vieler Frauen im ÖPNV beeinträchtigt

  • Forschungsbasis: Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) untersucht die Erfahrungen mehrfach marginalisierter Frauen im öffentlichen Nahverkehr Münchens und kombiniert Mobilitätsforschung mit Gender Studies.​

  • Paradox der „normalisierten Unsicherheit“: Viele Frauen berichten trotz realer Belästigungserfahrungen über ein subjektives Gefühl relativer Sicherheit, da sie Risiken als gegeben annehmen.​

  • Alltägliche Strategien zur Selbstsicherung: Frauen entwickeln situative Routinen – etwa Kleidung anpassen, Schlüssel in der Hand halten, Nähe zu anderen Frauen suchen oder Anrufe simulieren.​

  • Empirische Grundlagen der KJR-Studie: 1 200 junge Münchnerinnen und Münchner (14–27 Jahre) befragten sich zu Mobilität und Sicherheit; 75 Prozent der Frauen meiden den ÖPNV nachts, 28 Prozent berichteten von sexueller Belästigung.​

  • Mentale Belastung und gesellschaftliche Folgen: Permanenter Sicherheitsdruck führt zu eingeschränkter Bewegungsfreiheit, sozialer Segmentierung und Ausschluss von kultureller Teilhabe.​

  • Planerische Implikationen: Stadt- und Verkehrsplanung müssen Sicherheit als Teil räumlicher Gerechtigkeit begreifen – etwa durch bessere Beleuchtung, Übersichtlichkeit, Personalpräsenz und barrierefreie Kommunikation.​

  • Zukunftsperspektive: Intersektionale, gerechte Mobilitätspolitik wird zum Schlüssel einer nachhaltigen und inklusiven Verkehrswende – Sicherheit, Teilhabe und Gerechtigkeit müssen als Einheit gedacht werden.​

Eingang zur U- und S-Bahn Marienplatz, München, Foto: Tobias Seiler

Intersektionale Perspektive auf (Un-)Sicherheit

Während Politiken für sicheren und inklusiven Verkehr zunehmend Eingang in nachhaltige Stadtstrategien finden, zeigen ethnografische Untersuchungen aus München: Frauen und nicht-binäre Personen erleben den öffentlichen Raum nicht als neutralen Ort, sondern als Umfeld, das durch Geschlecht, Klasse, Migrationserfahrung oder Queerness mitbestimmt wird.

Das Forschungsprojekt Intersectional (in)securities – multiply marginalised women’s experiences of (un)safety on public transport des Karlsruher Instituts für Technologie kombiniert Mobilitätsforschung mit Gender Studies und untersucht, wie mehrfach marginalisierte Frauen (Un-)Sicherheit im ÖPNV erleben.


Soziale Kreativität im ÖPNV Alltag

Das Ergebnis ist gewissermaßen ein Paradox der normalisierten Unsicherheit: Trotz realer Erfahrungen sexualisierter Belästigung berichten viele Frauen, sie fühlten sich „relativ sicher“. Diese scheinbare Sicherheit beruht auf einer Normalisierung von Risiko – Harassment wird als erwartbares Begleitphänomen weiblicher Mobilität akzeptiert.

Um ihre Handlungssouveränität zurückzugewinnen, entwickeln viele Frauen Strategien: Kleidung anpassen, Schlüssel sichtbar halten, in der Nähe anderer Frauen sitzen. Diese Strategien – Ausdruck sozialer Kreativität – erhöhen kurzfristig die Kontrolle, verstärken aber zugleich den mentalen Aufwand des Alltagsmobilseins.


Empirische Evidenz: Münchens Jugend zwischen Mobilität und Vorsicht

Den Befund einer geschlechterspezifischen Sicherheitswahrnehmung bestätigt die aktuelle KJR-Studie „Wie kommst du von A nach B?“ in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Über 1 200 junge Münchner*innen (14–27 Jahre, davon mehr als ein Drittel studiert) beschrieben ihr Mobilitätsverhalten und Sicherheitsgefühl.
Die Ergebnisse verdeutlichen ein klares Muster: Während sich tagsüber 95 Prozent der Befragten sicher fühlen, sinkt dieser Wert nachts auf 54 Prozent. Bei Frauen meiden 75 Prozent den ÖPNV nach Einbruch der Dunkelheit, bei Männern nur 38 Prozent.

Mehr als die Hälfte der Frauen gab an, Strategien zu nutzen, um ihr Sicherheitsgefühl zu erhöhen – etwa Haustürschlüssel griffbereit halten, Augenkontakt vermeiden, Telefongespräche simulieren. 28 Prozent berichteten von sexueller Belästigung im öffentlichen Verkehr.

Frauen meiden ÖPNV nach Einbruch der Dunkelheit deutlich stärker als Männer, Foto: Thomas Chizzali

Der mentale Preis der urbanen Unsicherheit

Diese Zahlen zeigen, dass subjektive Unsicherheit reale Konsequenzen hat: Frauen verändern ihre Mobilitätsrouten, meiden bestimmte Linien oder verzichten ganz auf nächtliche Teilhabe am öffentlichen Leben. Permanenter Sicherheitsdruck führt zu eingeschränkter Bewegungsfreiheit und sozialer Segmentierung. In der Folge entstehen strukturelle Ausschlüsse – ein Kreislauf, der soziale Mobilität begrenzt und kulturelle Teilhabe einschränkt.

Für Stadt- und Verkehrsplanerinnen bedeutet das: Sicherheit ist nicht nur eine Frage polizeilicher Präsenz, sondern Teil der räumlichen und sozialen Gestaltung – und vor allem Teil räumlicher Gerechtigkeit. Lichtkonzepte, Übersichtlichkeit, barrierefreie Kommunikation und soziale Kontrolle durch geschultes Mobilitätspersonal werden zu integralen Elementen inklusiver urbaner Mobilität.


Junge Mobilität und ihre Sicherheit als Zukunftsthema

Trotz der Unsicherheiten zeigt die KJR-Studie deutlich: Die Mehrheit der jungen Menschen in München ist mit dem Mobilitätsangebot zufrieden (77,8 Prozent), insbesondere im Zentrum, 92,1 Prozent gelangen leicht von A nach B. Über 40 Prozent nutzen das Deutschlandticket, und fast 90 Prozent wünschen sich digitale Beteiligungsformate zur Mitgestaltung der Verkehrswende.

Damit wird deutlich: Sicherheit, Gerechtigkeit und Teilhabe müssen künftig als verbundene Dimensionen urbaner Mobilitätspolitik und als Einheit gedacht werden – auch, oder gerade im Sinne einer erfolgreichen Mobilitätswende.

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