Der Park wird zum Sportplatz
Bewegungsmangel im urbanen Alltag verbunden mit zunehmenden gesundheitlichen Konsequenzen bei Menschen jeden Alters – damit kämpfen aktuell einige Städte. Und das obwohl Sport im öffentlichen Raum so beliebt ist, wie nie zuvor. Landschaftsarchitektin Ulrike Böhm findet: Jetzt ist der ideale Zeitpunkt für ganzheitliche Strategien und Masterpläne für städtische Bewegungsräume. Manche Städte starten auch schon voll durch.
Freiflächen sind in vielerlei Hinsicht ein entscheidender Faktor für die Lebensqualität in Städten: Sie sind Orte sozialer Integration und ermöglichen die Begegnung und gesellschaftliche Teilhabe – hier treffen sich Menschen aller Bevölkerungsgruppen. Als grüne Inseln verbessern sie das Stadtklima und ermöglichen die ästhetische Erfahrung von Natur und gebauter Umwelt. Und: Sie bilden den Rahmen für Erholung, Spiel und Bewegung.
Genau dieser Rahmen nimmt derzeit an Bedeutung zu. Denn das Spektrum an bewegungs- und sportorientierten Aktivitäten in den öffentlichen Freiräumen weitet sich. Zunehmend organisieren sich Initiativen mit den gleichen sportlichen Interessen, oft geschieht das spontan, „bottom-up“ und in losen Verbünden: Sie verabreden sich über soziale Netzwerke zu Calisthenics, Yoga oder Slacklining. Treffpunkt: der nahe gelegene Park. Zahlreiche Fotos und Videos auf Instagram, YouTube und Co. zeugen von dieser Entwicklung.
Stadtparks und Grünzüge sind die neuen Sportplätze. Sie müssen diese zusätzliche Belastung verkraften. Gleichzeitig sinkt die Nachfrage nach den Angeboten von Vereinen, die mit zweckbestimmten Frei- und Sportflächen ausgestattet sind. Und das, wo die öffentlichen Freiräume ohnehin knapp bemessen sind. Mittelfristig verschiebt sich dadurch das Verhältnis zwischen nutzungsoffenen zu zweckbestimmten Bereichen. Großzügige offene Wiesen werden zerlegt in ein Patchwork aus spezifischen Sport- und Erholungsangeboten für ausgewählte Nutzergruppen. Dies geschieht oft ohne Rücksicht auf die vorhandene Gestaltung und ohne den ursprünglich planenden Landschaftsarchitekten.
Dass es sich aber lohnt, die Planung einem Landschaftsarchitekten zu übertragen und die Anforderungen bestenfalls bereits beim Entwerfen von Freiräumen mitzudenken, zeigen Projekte wie der Israels Plads in Kopenhagen von Cobe Architekten, der Landhausplatz in Innsbruck von LAAC und der Westpark in Augsburg von Lohaus Carl Köhlmos Landschaftsarchitekten (siehe Seite 20 in der G+L 11/2019).
Raum für Bewegung
Erfreulich ist, dass mit der neuen Lust nach Bewegung im öffentlichen Raum auch vernachlässigte Orte neu- oder wiederentdeckt werden. Ein Beispiel ist die Parkgarage Park’n’Play von JaJa Architekten in Kopenhagen. Auf dem Dach erstreckt sich eine große Tartanlandschaft mit Kletterstangen und -netzen (siehe Seite 36 in der G+L 11/2019).
Auch Areale, die zunächst wenig attraktiv erscheinen wie Verkehrsinfrastruktur oder ehemalige Industrieanlagen, profitieren von dem Trend. Beispiele hierfür sind der 15 Colonnade Bike Park in Seattle oder der Underpass Park in Toronto. Beides waren ungenutzte Restflächen unter Brücken, die Städter für sich entdeckt haben: als Bike Park und Spielplatz. Angeregt durch diese individuelle Aneignung und das Engagement bürgerschaftlicher Akteure, werden die beiden Orte inzwischen offiziell umgenutzt und aufgewertet.
Indem solche vormals unattraktiven Bereiche bespielt und belebt werden, ändert sich auch deren öffentliche Wahrnehmung und ihre Konnotation. Anrainer und Nachbarn treffen sich dort. Und schließlich werden Aufwertungsmaßnahmen in Gang gesetzt, die die Qualität des Freiraums verbessern und damit das Nutzerspektrum nochmals erweitern.
Doch es gibt nicht nur die Aktiven, die sich treffen, um gemeinsam Sport zu treiben. Eine aktuelle Studie der Deutschen Krankenversicherung (DKV) zeigt: Mehr als die Hälfte der Bundesbürger bewegt sich nicht einmal eine halbe Stunde am Tag. Politik, Verwaltung und Planungsdisziplinen haben diese beiden gegensätzlichen Trends mittlerweile erkannt. Vor allem ein niedrigschwelliges Angebot an Sportmöglichkeiten wäre wichtig.