31.08.2016

Gesellschaft

Vom Wert der Zurückhaltung

Mexico. Foto: Flickr_Luis Sandoval

Die stadtplanerische Antwort vieler Bauämter auf Vandalismus und Pöbeleien ist nach wie vor, Randgruppen von neu gestalteten Plätzen und Grünflächen fern zu halten. Verständlich, einerseits. Andererseits sollten wir an einer alten Bühne, mitten in der Stadt, zwischen unseren Häusern unbedingt festhalten: Auf Bürgersteigen, Plätzen und Grünflächen gehen wir unseren Wegen nach. Morgens Pendler und Schüler, später Rentner und Eltern mit Kleinkindern, nachmittags erwartungsvolle Jugendliche, dazwischen Touristen, Müßiggänger, Obdachlose und zum Schluss Menschen, welche die Nacht zum Tag machen.

Was macht gute Plätze aus? Viña del Mar Junta Nocturna, Mexico. Foto: Flickr_Luis Sandoval
Schloßplatz, Dresden. Foto: Flickr_Taconi
Potsdamer Platz, Berlin. Foto: Flickr_Vincent
Stadtplatz in Eggenfelden. Foto: Flickr_János Korom Dr.
Stadtplatz in Weiden. Foto: Flickr_abejorro34
Plaza Mayor, Madrid. Foto: Flickr_Cristian Santinon

Wir alle sind Teil des öffentlichen Raums, meist unbewusst im Nebenbei. Mal sind wir Statisten, mal spielen wir die Hauptrolle. Wir nicken einander zu, manchmal ist es nur ein kurzer Blick. Hier treffen wir auf Menschen, ohne uns zu verabreden, reden mit Leuten, mit denen wir sonst nicht sprechen. Die Bühne vor unserer Tür bietet eine einfache Möglichkeit, aus familiären und sozialen Grenzen herauszutreten. Die kanadische Autorin Jane Jacobs hat das pulsierende Leben im öffentlichen Raum als Bürgersteigballett beschrieben: Es wiederholt sich nie und wird stets neu improvisiert. Plätze und Grünflächen, Fußgängerzonen und Bürgersteige sind Orte, an denen Fremde einander begegnen. Je belebter sie sind, desto leichter fällt es, in einer fremden Stadt Fuß zu fassen.

Stadtplatz ohne Ausgrenzung

Doch begünstigen die Freiräume unserer Stadt tatsächlich ein Miteinander ohne Ausgrenzungen? Schauen wir uns um: Große Ketten verdrängen den Einzelhandel. Sie kühlen die soziale Atmosphäre ab, mindern die Aufenthaltsqualität der Geschäftsstraßen. Vielfalt geht schleichend verloren. Einige Grünflächen sind monofunktional als Spielplätze gestaltet, andere Flächen wirken verwahrlost. Vorplätze, etwa die von großen Geschäften und Banken, sind hingegen aufwendig inszeniert. Was wir vorfinden, sind Inseln, auf die sich nur eine Gruppe eingeladen fühlt. Der vermeintliche Vorteil: Kinder können geschützt spielen, Angestellte verbringen im schmucken Rahmen ihre Mittagspause, Außenseiter bleiben unter sich. Doch im Anschluss an diese einseitigen Nutzungen wendet sich das Blatt: Fußgängerzonen sind nach Geschäftsschluss schlagartig trist, der Spielplatz ist in den Abendstunden leer gefegt. Plätze, auf denen Jugendliche sich hemmungslos gehen lassen, werden gemieden. Flächen, auf denen Obdachlose sich zurückziehen, werden für Passanten gar zu Angsträumen.

Einen gut gestalteten Platz hingegen kann jeder nutzen, unabhängig von Alter, Geschlecht, Einkommen oder Herkunft. Der Platz selbst gibt nichts vor: Er lädt alle ein. Lediglich die Bereitschaft, aufeinander Rücksicht zu nehmen, wird vorausgesetzt. Natürlich prallen auch Interessen aufeinander, doch Konflikte sind ein wichtiger Teil des Schauspiels. Sie befeuern die Kommunikation, schulen Toleranz. Hier finden über den Tag verteilt viele Nutzungen neben- und nacheinander statt. Der mehrfach genutzte Freiraum wird zum öffentlichen Wohnzimmer der Stadt. Da viele verschiedene Menschen unterwegs sind, ist der Ort unterhaltsam und der gegenseitige Schutz hoch.

Auch wenn diese Kontakte meist trivial sind, so haben sie in der Summe eine wichtige Bedeutung. Sie verwandeln die Atmosphäre, die Menschen werden füreinander zugänglich, der Einzelne genießt den geringen Abstand zwischen sich und der Welt. „Das Leben zwischen den Häusern ist komplizierter zu planen als irgendein vermeintlich großartiges Stück Architektur“, schreibt der dänische Architekt Jan Gehl. Das Problem besteht darin, dass wir oft zu viel vorgeben wollen.

Eine sensible Freiraumplanung hält sich zurück. Schirmende Bäume, schützende Hecken oder Mauern und wohlüberlegte Materialien für die Plätze. Vielleicht der ein oder andere gestalterische Akzent, hier und da Einladungen zum Spielen und Sitzen – jeweils abgestimmt auf den Ort und seine Geschichte. Gute Plätze ‚machen Platz‘ und lassen Platz für unsere Bedürfnisse nach Begegnung und Rückzug.  Wir sollten begreifen, dass das Bürgersteigballett nicht aufgrund von aufsehenerregendem Design und gestalterischen Finessen gelingt. Ein Zuviel davon steht einem leichtfüßigen Tanz entgegen.

Tatjana Heil ist selbstständige Landschaftsarchitektin in Fulda und Vorstandsmitglied der Vereinigung freischaffender Architekten, Bezirksgruppe Fulda-Hünfeld.

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