Im Mai 2024 eröffnete in Kassel der neue Urbane Waldgarten am Helleböhnweg. Diesen konzipierte die Planungsgemeinschaft Landschaft + Freiraum – zusammen mit interessierten Bürger*innen, die sich schon früh in Planungswerkstätten und Mitmach-Baustellen einbringen konnten. Was genau ein urbaner Waldgarten überhaupt ist, wie sie die Fläche in Kassel strukturierten und wer nun in Kassel gärtnert, berichten Robert Bischer und Ulli Werner von der Planungsgemeinschaft Landschaft + Freiraum in ihrer Projektvorstellung.
Öffentliche Planungswerkstätten und Mitmach-Baustellen
Mit dem Urbanen Waldgarten am Helleböhnweg ist in Kassel eine öffentliche, multifunktionale und gemeinschaftlich nutzbare Stadtoase entstanden. Nach dem Prinzip eines Waldgartens finden sich dort überwiegend essbare Pflanzen, die in allen Vegetationsschichten erlebbar und nutzbar sind. Bei öffentlichen Planungswerkstätten und Mitmach-Baustellen konnten sich Interessierte frühzeitig in die Gestaltung des Urbanen Waldgartens einbringen. Und auch zukünftig soll diese neue Stadtoase durch engagierte Bürger*innen gepflegt, gestaltet und weiterentwickelt werden.
Was ist ein Urbaner Waldgarten?
Wie im Wald wachsen auch im Waldgarten mehrere Schichten übereinander: Obst- und Nussbäume über Beerensträuchern, Beerensträucher über Gemüse und Kräutern. Dazwischen ranken Kletterpflanzen. Die mehrjährigen Pflanzen sollen über einen langen Zeitraum Ertrag bringen – und das ohne intensive gärtnerische Eingriffe. In einem Waldgarten finden sich typische Waldpflanzen wie Bärlauch oder Himbeeren, aber auch diverse Wildobstarten sowie Pflanzen, deren Nutzen als Nahrungsmittel weniger bekannt ist. So zum Beispiel die Taglilie, die Paupau oder der japanische Rosinenbaum.
Ein Waldgarten in der Stadt kann wichtige ökologische und soziale Funktionen erfüllen. Er kann dazu beitragen, die biologische Vielfalt zu erhöhen und das Stadtklima zu verbessern. Durch gemeinschaftliches Gärtnern kann sich ein sozialer Treffpunkt entwickeln, der gleichzeitig ein Ort für Umweltbildung ist. Bei all dem ist er außerdem ein Ort, an dem innerstädtisch Lebensmittel produziert werden.
Struktur und Vielfalt
Der Urbane Waldgarten am Helleböhnweg liegt zentral zwischen den Kasseler Stadtteilen Süsterfeld-Helleböhn, Wehlheiden und Bad Wilhelmshöhe. Wo früher eine Wiesenfläche war, finden sich heute dicht bewachsene Gehölzbereiche, offene Lichtungsgärten und multifunktional nutzbare Flächen. Diese Abwechslung schafft vielfältige Saumbereiche und eine Abfolge unterschiedlicher Räume. Ein zentraler Weg verbindet die wichtigsten Funktionsbereiche schnell miteinander. Vom Weidenpavillon zur Yoga-Wiese oder vom Gemeinschaftsbeet zum Werkzeugcontainer. Über Trittsteine und Erntewege kann man in den dicht bewachsenen Bereichen auf Entdeckungsreise gehen und die vielfältige Struktur erleben. Wo gibt es noch Erdbeeren? Was hat sich dort zwischen den Stauden bewegt? Und was ist das eigentlich für ein Baum?
Ein Rundgang durch den Urbanen Waldgarten
Der Rundgang beginnt auf der Gemeinschaftslichtung. Am westlichen Zugang gelegen, öffnet sich diese nach außen und lädt mit ihrem sonnigen Gartenrondell und dem schattigen Weidenpavillon zur Kontaktaufnahme mit den Waldgärtner*innen ein. Mit Werkzeugcontainer, Trinkwasseranschluss und Komposttoilette fungiert die Lichtung als soziales Zentrum.
Dem Hauptweg folgend, passiert man Obstbäume und intensiv genutzte Gemeinschaftsbeete. Dahinter verschmilzt der im Altbestand vorhandene Gehölzstreifen mit Neupflanzungen zu einer lebendigen Sukzessionszone. Unterwegs laden Sitzgelegenheiten aus heimischer Eiche dazu ein, sich niederzulassen und die ersten Eindrücke wirken zu lassen.
Tief im hinteren Teil des Gartens liegt die von Beerensträuchern und Benjeshecken gerahmte Wissens-Wiese. Sie ist ein Ort der Umweltbildung, der unter anderem von Schulen und Kindertagesstätten genutzt wird. Neben dem kleinen Amphitheater aus Weserbuntsandstein liegen die Beete der Kindergärten, in denen verschiedene Kindergartengruppen ihre eigenen Nutzpflanzen anbauen und auch die Kleinsten gärtnern können.
Am Ende des Hauptweges, kurz vor der südöstlichen Anbindung an den Helleböhnweg, erreichen man den tiefsten Punkt des Gartens. Hier befindet sich das abgesenkte Retentionsbeet, das bei Starkregen abfließendes Oberflächenwasser aufnimmt. Dort lädt der Trittsteinweg zum Rückweg zur Gemeinschaftslichtung ein. Die verschiedenen Natursteinplatten des Weges stammen aus dem Lager des städtischen Umwelt- und Gartenamtes. Sie wurden von den Stadtgärtner*innen im Rahmen diverser Bau- und Abbruchmaßnahmen in ganz Kassel gesammelt und finden nun am Helleböhnweg eine neue Funktion.
Von der Yoga-Wiese bis zur Gemeinschaftslichtung
Vorbei an Beerensträuchern erreicht man die Yoga-Wiese. Im Schatten der mit Kiwi und Wein berankten Robinienholzgerüste laden Sitzblöcke aus Jurakalk zum Verweilen ein. Besonders hier, zwischen Waldgartenzonen und Lichtungsgärten, fällt die subtile Geländemodellierung auf. Ein Wechsel aus dezenten Höhen und Senken gliedert die einzelnen Bereiche auch topografisch. Der gesamte Bodenaushub wurde auf diese Weise in den behutsam modellierten Hügeln belassen.
Der Trittsteinweg führt anschließend zur Insektenwiese, einer Magerwiese, bei der die ökologischen Funktionen im Vordergrund stehen. Ein Sandarium bietet bodenlebenden Insekten Unterschlupf. Andere finden Schutz und Nahrung im eingebrachten Totholz, das aus verschiedenen Weich- und Harthölzern besteht, die bei städtischen Pflegearbeiten angefallen sind. Ein Lesesteinhaufen auf der Wiese dient weiteren Kleintieren als Unterschlupf.
Auf dem Weg durch die letzte Waldgartenzone durchquert der Pfad die kleine Beerenlichtung mit Himbeeren, Johannisbeeren und Stachelbeeren in verschiedenen Sorten. Schließlich führt der Trittsteinweg zurück zur Gemeinschaftslichtung. Er endet am Weidenpavillon, der nun dazu einlädt, sich niederzulassen und sich über die Eindrücke des Urbanen Waldgartens auszutauschen.
Ein urbanes Experiment
Das Projekt ist Teil des Forschungsvorhabens „Urbane Waldgärten: Mehrjährig, mehrschichtig und multifunktional“ an der Universität Potsdam und wird durch das Bundesprogramm Biologische Vielfalt gefördert. Die Planungsgemeinschaft Landschaft + Freiraum (Kassel) wurde durch das Umwelt und Gartenamt der Stadt Kassel mit der Planung des Urbanen Waldgarten am Helleböhnweg beauftragt. Der Beteiligungsprozess wurde in Kooperation mit dem Büro plan zwei (Hannover) durchgeführt.
Bei fünf öffentlichen Planungswerkstätten war es interessierten Personen möglich, sich in die Planung des Urbanen Waldgartens einzubringen. In drei Entwurfsvarianten wurden unterschiedliche Gestaltungsansätze diskutiert, durch Anregungen aus der Bevölkerung bereichert und letztlich zur Abstimmung gebracht.
Bereits in der Planungsphase konnte auf der zukünftigen Waldgartenfläche gemeinsam gegärtnert werden und die verschiedenen Gruppen und Personen vernetzten sich untereinander. Während der Bauphase fanden mehrere Mitmach-Baustellen statt. Unter Anleitung des Planungsbüros und der ausführenden Firma wurden der Weidenpavillon errichtet und rund 2 500 Stauden gepflanzt. Unter den zukünftigen Waldgärtner*innen waren auch mehrere Kindergartengruppen und Schulklassen aus den umliegenden Stadtteilen.
Beispiel für demokratische Freiraumplanung
Seit der Eröffnung des Urbanen Waldgartens im Mai 2024 trifft sich eine offene Gruppe zum wöchentlichen Feierabendgärtnern und Kindergärten aus der Umgebung kümmern sich um ihre Beete. Das Team des städtischen Umwelt- und Gartenamtes steht dabei mit Rat und Tat zur Seite. Dazu gibt es umfassende Umweltbildungsprogramme, vom Sensenkurs bis zur Vogelexkursion.
Die Entwicklung des Urbanen Waldgartens am Helleböhnweg bleibt auch in Zukunft spannend – sowohl auf ökologischer als auch auf sozialer Ebene. In den kommenden Jahren und Jahrzehnten wird sich zeigen, welche Rolle dieses lebendige Experiment in der Stadtnatur und Stadtkultur spielen wird. Durch seinen partizipativen und bürgernahen Planungs- und Umsetzungsprozess ist der Waldgarten am Helleböhnweg ein Beispiel für eine neue, demokratische Freiraumplanung.
Projektdaten
Ort: Kassel
Landschaftsarchitekt*innen: Planungsgemeinschaft Landschaft + Freiraum
Bauherrin: Stadt Kassel
Fertigstellung: 2024
Fläche: circa 6 100 Quadratmeter
Baukosten: circa 350 000 Euro
Weiterlesen: In der G+L 09/24 stellen wir 54 Stadtoasen aus fünf Ländern vor. Das Heft ist im Shop erhältlich. Weiter grüne Oasen sind hier zu entdecken.