Mit dem Begriff der essbaren Stadt ist ein Konzept gemeint, bei dem Obst- und Gemüse- sowie Nutzpflanzen auf öffentlichen Flächen angebaut werden. Diese zugänglichen Lebensmittel stehen allen Menschen frei zur Verfügung. Sie dienen unter anderem der Ernährung und der Bildung in Städten.
Die urbane Nahrungsmittelproduktion ist keine neue Erfindung, aber heutzutage kommt sie nicht mehr aus einer Notsituation heraus. Vielmehr geht es bei der essbaren Stadt um den Gedanken, neue Gemeingüter zu schaffen und Lebensmittel für alle Menschen frei zur Verfügung zu stellen. So steigt die Lebensqualität für alle und Städter*innen erfahren mehr über die Lebensmittelproduktion. Essen als zugängliches Thema soll zudem alle Bevölkerungsgruppen einladen und zu Konversationen anregen.
Regionale, geschlossene Nährstoffkreisläufe
Essbare Städte sind oft Teil von landschaftsarchitektonischen Vorhaben. Sie sind Teil der ästhetischen Funktion städtischer Grünflächen, haben aber zusätzlich auch umweltpädagogische, soziale und ökologische Aspekte. Damit unterstützen sie die Nachhaltigkeitsziele von Städten, sei es durch öffentliche Gärten, Obst- und Nussbäume, Gemüseprojekte oder Beerensträucher im Park. Das Konzept kann sowohl von der Bevölkerung als auch von der Stadtverwaltung umgesetzt werden.
Es bringt wichtige wirtschaftliche Vorteile: Armutsbekämpfung, erhöhte Ernährungssicherheit, Förderung der Kreislaufwirtschaft und Transparenz entlang der Wertschöpfungskette führen dazu, dass Lebensmittel in vielen Städten heute einen ganz neuen Stellenwert haben. Hochwertige Produkte können die Multifunktionalität öffentlicher Grünflächen erhöhen.
Und durch die partizipativen Aspekte der meist von den Bürger*innen gepflegten essbaren Stadt entstehen soziale Vorteile: Die „Prosument*innen“, die sowohl konsumieren als auch produzieren, entwickeln ein Bewusstsein für nachhaltige Ernährung und haben Zugang zu gesunden Optionen. Durch Gemeinschaftsveranstaltungen wie Gärtnern oder Erntedankfeste lässt sich die soziale Wirkung der essbaren Stadt gut entfalten.
Und auch ökologisch gesehen bringt die essbare Stadt Vorteile: Sie erhöht den Anteil an Grünflächen in Städten, fördert die Biodiversität und Artenvielfalt, vermittelt jungen Menschen die Bedeutung von Lebensmitteln und kann die Lebensmittelverschwendung reduzieren. Zudem fördert sie regionale, geschlossene Nährstoffkreisläufe mit minimalen Lieferwegen.
Über 100 essbare Städte in Deutschland
Wenn sich eine Stadt als „essbar“ bezeichnet – ein selbst gewählter Titel –, dann hat sie vermutlich einen recht hohen Anteil an öffentlichen Gärten, Obst- und Gemüsepflanzen und Angeboten wie der App Mundraub. Letztere zeigt, wo zugängliche Beeren, Gemüsearten, Nüsse und weitere Lebensmittel gepflückt werden können.
Städte wie Kassel, Halle, Trier, Köln, Andernach, Kiel und Jena tragen den Titel voller Stolz. Hier stehen die Stadtverwaltungen ebenso wie die Behörden, die Bürger*innen und oft auch private Vereine hinter dem Vorhaben. Andernach nutzt seit 2010 die Bezeichnung essbare Stadt und ist damit die erste Stadt in Deutschland. Bereits im Jahr 2008 gab es im Vereinigten Königreich mit Todmorden eine „edible town“. Auf öffentlichen Gebäuden entstanden Gemüsegärten, die von Beginn an allen Bürger*innen offenstanden: Sie durften das ernten, was im öffentlichen Raum wuchs.
Das Interesse in den Medien war groß. Jährlich finden um die 150 Exkursionen in Andernach statt, die andere Städte dazu inspirieren, ebenfalls zu einer essbaren Stadt zu werden. Im Jahr 2016 gab es bereits 63 Gemeinden in Deutschland, die entsprechende Konzepte hatten. Heute sind es über 100.
Das Konzept verankern
Auf den ersten Blick hat das Konzept der essbaren Stadt keine Nachteile: Es ist leicht und günstig umzusetzen und erfüllt zahlreiche Nachhaltigkeitskriterien. Wichtig ist jedoch, dass es nicht bei einem Symbolcharakter bleibt: Vielmehr sollte die essbare Stadt zu Verhaltensänderung in der Produktion und Verarbeitung von Lebensmitteln führen. Auch Handel und Konsum sollten sich idealerweise verändern.
Erfolgreiche essbare Städte sind vielfältig: Von Gemüse, Obst, Kräutern und essbaren Blüten in Parks und Fußgängerzonen über Balkone, Wände und Dachflächen bis hin zu öffentlichen Grünanlagen, Spielplätzen sowie Gemeinschafts- und Schulgärten gibt es viele Möglichkeiten, Bewohner*innen mit frischen, regionalen Lebensmitteln zu versorgen.
Damit das gut funktioniert, müssen die Stadtbewohner*innen Verantwortung übernehmen. Denn sie kümmern sich um die Bepflanzung und Pflege der Flächen. Die Grünflächenämter unterstützen und koordinieren dies idealerweise. Politische und finanzielle Unterstützung, etwa durch Anreize für den Anbau von Lebensmitteln auf privaten Grundstücken oder für die Umwandlung von Brachflächen in Gemeinschaftsgärten, sind hilfreich.
Bildungsprogramme sowie Initiativen zur Stärkung der Gemeinschaft, wie der Nordpark Essbare Stadt in Chemnitz, helfen dabei, das Konzept in der Kultur zu verankern. In Berlin zeigt die Initiative „Prinzessinnengärten“, wie aus einer Brache eine blühende Oase mitten in der Stadt entstehen kann, die ganze Familien versorgt. In der kanadischen Stadt Toronto sind aus den Klein- und Gemeinschaftsgärten ganze Food-Coops (Kooperativen), Bauernmärkte, Bildungsprogramme und Initiativen der solidarischen Landwirtschaft entstanden.
Anreize sind nötig
Das Konzept der essbaren Stadt breitet sich immer weiter aus. Vor allem der Gedanke, neue Gemeingüter zu schaffen, ist für viele Städte attraktiv. Das Nachhaltigkeitspotenzial des Konzeptes ist hoch. Um die sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, ist es wichtig, dass der Ansatz zu substanziellen Verbesserungen in der Produktion und im Konsum von Lebensmitteln vor Ort führt.
Solange die Menschen in Städten Zugang zu frischen Lebensmitteln haben, die vor Ort angebaut werden – ob in Gemeinschaftsgärten, auf öffentlichen Flächen oder auf privaten Grundstücken – kann eine Stadt als „essbar“ bezeichnet werden. Das Konzept bietet viele Vorteile für die Umwelt, die Gesellschaft und die Gesundheit der Stadtbewohner*innen. Durch geeignete Anreize sowie die Unterstützung von Initiativen können Städte dazu beitragen, mit einem essbaren Konzept eine nachhaltigere Zukunft zu gestalten.