09.09.2021

Projekt

Ein neues EVO-Quartier für Offenbach

Ein neues EVO-Quartier in Offenbach am Main: (c) Johanna Moraweg

Ein neues EVO-Quartier in Offenbach am Main: (c) Johanna Moraweg

Mit dem Kohleausstieg verlieren viele Heizkraftwerke ihre Daseinsberechtigung. Was passiert danach mit ihnen? Rüsten sie um, oder schließen sie gar? Diese Fragen stellte sich Johanna Moraweg von der Hochschule Rhein-Main in ihrer Masterarbeit. Als Antwort entwickelte sie anhand des Geländes der Energieversorgung Offenbach (EVO) ein neues Quartier. Sie überzeugt durch ihren originären, nachvollziehbar abgeleiteten und kreativ weiterentwickelten städtebaulich-freiräumlichen Beitrag zu den künftigen Entwicklungsperspektiven des EVO-Areals in Offenbach nach dem Kohleausstieg.

Am 08. August 2020 hat die Bundesregierung den Kohleausstieg für 2038 beschlossen. Auch die in der Metropolregion Rhein-Main liegenden Anlagen des Heizkraftwerks der Energieversorgung Offenbach (EVO) sind davon betroffen. Aber was passiert nach dem Kohleausstieg mit dem Areal des EVO-Heizkraftwerks in Offenbach am Main? Welche Möglichkeiten eröffnen die vorhandenen Strukturen für die Zukunft des Ortes? Wie könnte eine Nachnutzung, Weiternutzung oder Umnutzung aussehen?

EVO-Quartier Offenbach: Schwarzplan (Bild: Johanna Moraweg)

Neun Visionen für ein EVO-Quartier in Offenbach am Main

Die besondere Herausforderung im Rahmen dieser Arbeit ist es, die Voraussetzungen zu schaffen, um Strom und Fernwärme auch nach der Konversion weiterhin am Standort im urbanen Kontext zu erzeugen. Für die EVO kommt nach dem Kohleausstieg die Umrüstung auf ein Gaswerk in Frage. Gleichzeitig muss sich das Gelände dabei der Umgebung öffnen und wieder zugänglich werden.

Die dadurch notwendigen Umstrukturierungen können eine Chance zur programmatischen Umcodierung von Energiegewinnungsanlagen sein. Für die Bewohner*innen und Nutzer*innen der umliegenden sehr unterschiedlichen Stadtteile Nordend, Hafen und Kaiserlei bedeutet dies, einen Ort der Vernetzung zu gewinnen.

Neun Visionen beschreiben die Leitidee des entworfenen EVO-Quartiers und ordnen die Ideen räumlich zu. Gebündelt und vereint sind die Teilbereiche am EVO-Platz. Dort treffen die unterschiedlichen Nutzungen aufeinander. Er ist ein Ort, der das EVO-Quartier nicht nur repräsentiert, sondern der eine zentrale Rolle als Dialograum im Gesamtgefüge des Quartiers sowie der umliegenden Stadtteile erfüllt.

Lageplan EVO-Quartier Offenbach (Bild: Johanna Moraweg)

So sehen die neun Visionen für das Evo-Quartier in Offenbach am Main aus:

Produktion Nord

Gestapelte Leichtindustrie und produzierendes Gewerbe teilen sich Ladezonen, Rangierflächen und Lastenaufzüge. Das flächenintensive Umspannwerk wird auf das größte Hallendach verlegt.

Manufaktur- und Atelier-Höfe

Hier liegt der Schwerpunkt auf dem Handwerk und auf kleinteiligen Produktionen in gemeinsamen Höfen sowie auf Ateliers für Student*innen und Absolvent*innen der Hochschule für Gestaltung, die bald in der Nachbarschaft des EVO-Quartiers in Offenbach am Main ziehen wird.

Produktion Süd

Drei Produktionshallen stehen den bestehenden und introvertierten Rechenzentren gegenüber und schirmen den Produktionshof ab. Dieser ist zum Teil ein grüner Wohnhof.

Promenade im Anlagenring

Der Anlagenring Offenbachs wird bis zum Main weitergeführt und durch eine belebte Promenade ergänzt. In den oberen Geschossen der Gebäude am Anlagenring entsteht Wohnraum.

Grüne Fuge

Eine mit Pflanzen berankte Stahlkonstruktion macht die Grüne Fuge zum vertikalen Park zwischen den bestehenden introvertierten Rechenzentren, die am Kraftwerksgelände stehen.

Industrie-Fuge

Ein Transitraum der Stadtteile zwischen verschiedenen industriellen Gebäuden schafft Industrieatmosphäre und einzigartige Raumerfahrungen.

Park am Kohlelager

Der ehemalige Kohlelagerplatz wird zum öffentlichen Grünraum.

Gaswerk

Das neue Gaskraftwerks findet in leerstehenden Backsteinhalle an der Andréstraße seinen Platz und öffnet seine Erdgeschosszonen zur Nachbarschaft.

Kesselhaus

Eingeschobenen Elemente machen die Stahlgerüste im ehemaligen Kesselhaus zu vertikalen Co-Working-Areas. Im Erdgeschoss finden der Durchlauferhitzer und das Umspannwerk für die Fernwärme Platz. Die Dächer werden zu Aussichtsbereichen und Sportflächen.

Die Konversion des EVO-Areals zum EVO-Quartier in Offenbach am Main führt an dieser Stelle einen neuen Quartierstypus ein. Die Installation des Gaskraftwerks im urbanen Raum ist hier ein Teil der integrierten Stadtentwicklung, ohne jedoch dabei der Gestaltung eines dichten, sozial vielfältigen und nutzungsgemischten Wohn- und Versorgungsstandortes im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung entgegenzuwirken.

Hof (Bild: Johanna Moraweg)

Öffentliche Erdgeschosse für EVO-Quartier in Offenbach

Investorengesteuerte Neubauprojekte in der Umgebung wirken nicht nur preistreibend und bauen soziale Barrieren auf, sondern es droht auch die Überformung und ein damit einhergehender Identitätsverlust. Um dem entgegenzuwirken, ist der sorgsame Umgang mit dem Bestand in diesem Projekt besonders wichtig.

Die ortstypische industrielle Atmosphäre trägt zur Wahrnehmung des EVO-Quartiers als eigenständigen Stadtteil von Offenbach am Main entscheidend bei. Es ist weder das Nordend oder der Hafen noch der Kaiserlei, sondern ein eigenständiger Verbindungspunkt für alle gleichermaßen. Es ist ein gemeinsamer Identifikationsort, in dem von jedem Stadtteil etwas steckt und der diese sehr unterschiedlichen Orte miteinander verbindet.

Zur deutlichen Markierung in der Umgebung, zur Strukturierung des Raums im Quartier und zur Betonung des fortgeführten Anlagenrings ist eine wahrnehmbare und geschlossene Raumkante vorgesehen. Dazu bilden sich im Quartier fünf Höfe heraus, die nördlich und südlich von großen und hohen gestapelten Hallen geformt werden und verschiedene freiräumliche Qualitäten aufweisen. Nach außen hin werden die Gebäude, passend zur Bebauung der Nachbarschaft, jedoch niedriger und kleiner. In die Wohnbebauung des Nordends fügt sich die neue Bebauung ein, indem sie die Rundung der Straße aufnimmt und die Geschossigkeiten der Wohnbebauungen nicht überschreitet.

Industriefuge (Bild: Johanna Moraweg)

Evo-Quartier als neues Markenzeichen für Offenbach

Die Grüne Fuge integriert die Rechenzentren. Ihre Konstruktion steht in Verbindung mit den auf den Dächern der Rechenzentren installierten Gewächshäusern. Diese werden mit der Abwärme der Rechenzentren beheizt und sind die symbolische Sichtbarmachung der energetischen Verwertung von Nebenprodukten eines Prozesses. Die Grüne Fuge geht in den Anlagenring über und ist eine wichtige Verbindung zwischen der Umgebung und dem EVO-Quartier. Entrées fungieren als Dialogfelder zwischen dem Plangebiet und der Umgebung. Sie sind unterschiedlich gestaltete Freiräume, an strategischen Punkten gelegen. Die Erdgeschossnutzung an den Dialogräumen soll öffentlich zugänglich sein, etwa als Geschäfte oder Fahrradgaragen.

Die Stahlkonstruktionen des Kesselhauses und des Maschinenhauses/der Turbinenhalle sind erhalten und in lichtdurchlässiger Weise neu ummantelt, sodass die Kubatur ablesbar bleibt. Das Innere kann nach baulichen Ergänzungen und Umstrukturierungen anschließend einer neuen Nutzung zugeführt werden.

Weiterhin ergänzt ein L-förmiges Gebäude das zentrale Ensemble bestehend aus dem erhaltenen Hof mit dem denkmalgeschützten ehemaligen Gasturm und den dazugehörigen Werkstätten und formt so einen weiteren Hof. Der städtebauliche Entwurf orientiert sich dafür an der vorhandenen Hofstruktur und setzt diese als räumliche Strategie fort.

Der Kontrast zu den klaren, meist orthogonalen Strukturen bildet hingegen die Industrie-Fuge, wo sich das Gaskraftwerk, das Kesselhaus, die Alte Schlosserei und die Fernwärmebehälter versammeln. Dort entsteht durch die industriellen Bau- und Raumkörper ein außergewöhnlicher Ort, der nicht durch klare Kanten gefasst ist. Der EVO-Platz als Zentrum wird entsprechend zwischen den Visionsfeldern gebildet und befindet sich an einer dem Nordend zugewandten Position.

Park am Kohlelager (Bild: Johanna Moraweg)

Ein Park an der Stelle des ehemaligen Kohlelagerplatzes unter dem denkmalgeschützten Kohlekran und das zu einer Treppe umgebautes Kohleförderband sind außerdem weitere außergewöhnliche Bausteine in der Freiraumabfolge des Mainufers von Frankfurt bis zum Offenbacher Hafen. Die neue Treppe führt zudem vom Park direkt in das obere Geschoss des umgenutzten Kesselhauses, wo eine Aussichtsterrasse den Blick nach Offenbach und über Frankfurt bis in den Taunus eröffnet.

So fällt auch eines Tages der Blick aus der Region zurück, oder besser gesagt vorwärts, auf die Stadt Offenbach. Denn Das EVO-Quartier hat das Potential, ein Markenzeichen für die Stadt Offenbach zu werden, die als progressive Akteurin auftreten und mit der Konversion des EVO-Areals ein Pionierprojekt in der Region verwirklichen kann.

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