Alles begann mit einer Frage: Wie entwerfen Architekt*innen eigentlich Landschaften? Denn dass es Gebäude gibt, die in ihrem Inneren landschaftliche Raumerlebnisse entwickeln, ist dem Architekten und Landschaftsarchitekten Daniel Jauslin schon während seines Studiums aufgefallen. Er beantwortete die Frage schließlich in seiner Doktorarbeit, deren Ergebnisse er an die Öffentlichkeit tragen wollte – im Rahmen einer Ausstellung. Dass diese aufgrund von Corona erst einmal virtuell stattfinden würde, war so nicht geplant – hat sie aber vielleicht sogar bereichert. Nun ist “If Buildings were Landscapes …” ab dem 26. März in der Baumuster-Centrale in Zürich zu sehen. Wir sprachen mit Daniel Jauslin darüber, wie Architektur und Landschaft zusammen funktionieren.
Ihre Ausstellung heißt “If Buildings were Landscapes” (übersetzt: „Wenn Gebäude Landschaften wären …“). Worum geht es dabei? Und: Wie kamen Sie darauf diesen Vergleich zum Thema zu machen?
Die Ausstellung fasst das Thema meiner Doktorarbeit zusammen, welches ich mit meinem ersten Doktorvater Prof. Dr. Clemens Steenbergen entwickelt habe, als ich 2008 nach Delft kam. Wir interessierten uns, was passiert, wenn man seine Forschungen mit Dr. Wouter Reh zur architektonischen Komposition der klassischen Europäischen Gärten (2008) quasi umdreht: Wie entwerfen Architekt*innen eigentlich Landschaften?
Gebäude, die im Inneren landschaftliche Raumerlebnisse entwickeln, sind mir schon während meines Architekturstudiums in Zürich aufgefallen. Zum Beispiel aus dem Umfeld der Architectural Association in London, wo maßgebende Architekt*innen wie Hadid, Koolhaas, Moussavi & Zaera-Polo oder Bos & van Berkel auf unterschiedliche Weise mit Landschaft experimentierten. Sie entwarfen mit dem Grund, den Wegen, den Sichten und Bildern eine Art innere Landschaft, aber es war Architektur zum Wohnen, Bauten wie Hotels, Bibliotheken oder Schiffsterminals – schließlich wurden ganze Städte als Landscape Urbanism neu gedacht.
Dieses Phänomen habe ich theoretisch und praktisch, also durch Texte und Zeichnungen, analysiert und letztlich Landscape Strategies in Architecture genannt. Nach Jahren akademischer Studien wollte ich damit an die Öffentlichkeit. Und weil es um räumliche Phänomene geht, wollte ich, dass Besuchende mit (3D-)Filmen und Modellen selber in diese Welt eintauchen können und habe mich für eine Ausstellung entschieden.
“Es ging uns um das inszenierte Raumerlebnis.”
Die Ausstellung “If Buildings were Landscapes” findet aufgrund der Corona-Pandemie online statt.
Das war natürlich erst mal eher ein Unfall. Die Ausstellung sollte Anfang April 2020 in Delft eröffnen und wir hatten in Zürich den szenographischen Entwurf bereits selber gemacht. Wir hatten quasi schon die Koffer gepackt, als mich die Studienleiterin der Landschaftsarchitektur, Ass. Prof. Dr. Inge Bobbink, im März anrief, um mir zu sagen, dass die Stadt den ganzen Campus schließen lässt. Die Studierenden, für die das Ganze ja von mir vor allem gedacht war, haben die Uni seither kaum von innen wiedergesehen.
Es gab daraufhin einige virtuelle Ausstellungen zu ähnlichen Themen – etwa die von AMO / Rem Koolhaas im Guggenheim und Sebastien Marot in Lausanne, bei denen sich Autor*innen, die aus Architektur und Städtebau kommen, mit der Countryside beschäftigen. Die leben aber eher von ihren Texten. Ich wollte auf keinen Fall dahin zurück, die Thesis ist ja schon als Open-Source-Publikation online zugänglich. Es ging uns vielmehr um das inszenierte Raumerlebnis; dafür habe ich mir drei VR-Lösungen aus Zürich, Berlin und Delft angeschaut und der Verein SIA International hat mich finanziell etwas unterstützt. Die Delfter VR-chitects haben letztlich technisch und gestalterisch das beste System gehabt und sehr gut gearbeitet.
“Uns war wichtig, dass alle, die einen Internetzugang haben, sich das ansehen können.”
Wie sieht das konkret aus?
Jetzt kann man mit einem Laptop oder sogar einem Smartphone die Ausstellung vorab anschauen, so wie sie in Delft irgendwann zu sehen sein wird. Als Alumnus durfte ich ja nicht mal mehr rein um sie z.B. zu fotografieren. Es ist jetzt so wie die Games, die meine Kinder online spielen und technisch sehr schnell, weil alle Bilder als Panoramas vorgängig gerendert sind. Vielleicht erinnern Sie sich an das uralte CD-ROM-Spiel Myst, das für die damalige Zeit tolle Landschaften hatte – so ähnlich funktioniert die Technik, die damals Apple QuickTimeVR hieß, auch heute noch.
Uns war wichtig, dass alle, die einen Internetzugang haben, sich das ansehen können. Heute haben die Kids natürlich VR-Headsets und VR ist in 3D viel intensiver. Bis März 2021 bauen wir für die Ausstellung und solche Headsets an einem virtuellen Rundgang durch einen der Entwürfe, die ich analysiert habe: die Bibliotheken von Jussieu in Paris von OMA Rem Koolhaas von 1992. Sie wurden leider nie gebaut und mit Plänen und Modellen ist auch nur schwer verständlich, wie intensiv dieses Gebäude mit der ganzen Stadt Paris zu einer Stadtlandschaft verschmolzen wäre. Das können wir mit der heutigen 3D-GIS-Technologie erlebbar machen. Und zwar auf dem Bildschirm oder aber auf den Game-Headsets Ihrer Kids.
Trotzdem: Nicht alles geht im Internet. Wenn man die 3D-Video-Installation „If buildings could talk”, die Wim Wenders mit SANAA inszeniert hat, sehen will, muss man immer noch in die Ausstellung kommen und eine eigens desinfizierte Brille anziehen. Ob die Ausstellung ersatzweise draußen im Zürcher Bellvoir Park stattfinden darf oder ob respektive wann Besuchende die Modelle in der Baumusterzentrale Zürich, im Atelier Néerlandais in Paris oder endlich in der Architekturfakultät Delft besuchen dürfen, weiß ich noch nicht. Es bleibt spannend, im Pandemie-Jahr eine Ausstellung zu machen.
“Ich habe immer gespürt, dass in der Landschaft mehr Raum ist.”
Was ist Ihre persönliche Haltung: Sollten Architekt*innen Landschaft vermehrt mitdenken oder sollten vielmehr die Disziplinen verstärkt zusammenarbeiten?
Beides ist wichtig – und ich praktiziere auch beides. Ich bin ja in meiner ersten Ausbildung Architekt, habe aber immer gespürt, dass in der Landschaft mehr Raum ist – wörtlich und sinnbildlich. Entwurfsstrategien der Zukunft waren für mich in der Landschaft zu finden. Zuerst hat mich das selber zur Landschaft gebracht, wo ich bei West 8 Rotterdam in meinem ersten großen Projekt einen Park entwerfen durfte: Die Arteplage der Schweizer Landesausstellung Expo.02 in Yverdon-les-Bains. Mit dabei waren neben meinem Mentor, dem Landschaftsarchitekten Adriaan Geuze, viele gute Architekt*innen wie Mateja Vehovar, Liz Diller, Tristan Kobler, Ric Scofidio, mein Bruder Stefan Jauslin.
Mit meinen späteren Partnern Hans Drexler und Marc Guinand baute ich erst Häuser, aber bei unserem ersten Haus in Pigniu in Graubünden hat uns Architektur eher als Vehikel zum Leben in der Alpenlandschaft interessiert. Peter Eisenmann hat mir im Interview für meine Dissertation gesagt, ihn interessiere – frei nach C.G. Jung – das Licht zwischen den Bäumen … ich bin dann wohl ins Grüne gewachsen, zu der Seite des Lichts.
“Wir können nicht in den althergebrachten autonomen Disziplinen verharren.”
Wie äussert sich das?
Die Grenzen der Disziplinen habe ich fast täglich mehrmals überschritten: In Delft habe ich auch mal als Landschaftsarchitekt Architekt*innen oder Ingenieur*innen im Brückenbau unterrichtet. Ich habe Entwurf auf allen Stufen der Landschaftsarchitekturausbildungen an den Universitäten Delft und Wageningen unterrichtet. Disziplinen zu definieren, verhilft vielleicht zu Klarheit, aber bei der Lösung von großen städtebaulichen Aufgaben und der gewaltigen Herausforderung des Klimawandels können wir nicht in den althergebrachten autonomen Disziplinen verharren.
In der Praxis arbeitet mein Büro, DGJ Landscapes, heute bei Wettbewerben mit ganz unterschiedlichen, oft spezialisierten Architekturbüros zusammen. Ich schätze mich glücklich, dass wir immer von Anfang an dabei sind und dass der Landschaftsentwurf nicht mehr nur die Umgebung nach dem Bauabschluss betrifft, sondern integraler Bestandteil jedes guten Gesamtentwurfes ist – auch wenn keinesfalls jedes Gebäude eine innere Landschaft sein muss, so wie in der Ausstellung.
“Wir müssen Architektur als System verstehen.”
Was können Architekt*innen von Landschaftsarchitekt*innen lernen?
Die Architektur hat sich unglaublich spezialisiert. Vielleicht gerade wegen der enorm angewachsenen Komplexität der Probleme, die sie lösen sollte, ziehen sich Architekt*innen in die Trutzburg einer autonomen Disziplin zurück. Das halte ich für fatal; einen Baum aus dem Wald kann man auch nicht in einen Topf pflanzen und ins Museum stellen. Genauso müssen wir Gebäude als auf allen Ebenen organisch mit ihrem Kontext verwoben denken und entwickeln, im kulturellen städtischen Sinne, im Technischen und auch was die natürliche Lebenswelt betrifft, zu der wir ja trotz unserer Vergeistlichung immer noch gehören.
Gottfried Semper, der wichtige Architekturtheoretiker des 19. Jahrhunderts, hatte von Stoffwechsel gesprochen. Er meinte zwar eher historische Zelte als Vorläufer der Baute. Er war nämlich als prägender Klassizist gegenüber seinen zeitgenössischen Vorläufern der Green Architecture wie den damals in Paris und London populären begrünten Glaspalästen sehr kritisch. Aber eigentlich ist für uns heute Stoffwechsel ein Schlüsselbegriff: Wir müssen Architektur als System verstehen, das mit der Lebenswelt aller Spezies, also auch der Flora und Fauna, in Verbindung und Austausch steht.
Damit fangen wir aber erst an, und so gibt es noch für einige Generationen etwas zu lernen. Marot hat mir bei einer seiner Vorlesungen in Lausanne gesagt, er bringe im Wesentlichen Architekturstudierenden an der EPFL bei, was Permakultur ist. Das müssen wir wohl auch noch in die Landschaftsarchitektur einbringen; aber, dass naturnahe Agrikultur an einem Polytechnikum für Architekten gelehrt wird, zeigt schon, dass wir heute weiter sind.
“Planende in der Architektur haben eine verkehrte Zeitvorstellung.”
Einer der Bereiche der Ausstellung heißt „How to survive the Anthropocene“ …
Wenn man weiter denkt als nur über das landschaftliche Erlebnis in Bauten, kommt man auf ein noch kaum ausgeschöpftes Potenzial ganzheitlich gedachter Architektur. Dieser Gedanke entspringt aber eher meiner Kritik an den Bauten von Koolhaas, Eisenman oder SANAA, die ich zeige:
Die heutige Architektur ist ja unglaublich verschwenderisch und eine der wichtigsten Ursachen des Klimawandels. Betonbauten, die die Moderne ein ganzes Jahrhundert lang quasi geheiligt hat, sind, wie wir seit den 70er-Jahren wissen, allesamt Klimasünder. In Holland diskutiert man heute an Fachkongressen über Betonscham (wie in Skandinavien über Flugscham) und entdeckt wie fast überall den Holzbau neu. Aber als ich in Holland als Architekt anfing, war schon nur ein Holz-Deck wie auf unserer roten Brücke in Amsterdam fast undenkbar. Aber es geht nicht nur darum, den Stoffwechsel beim Bauen zu optimieren, etwa mit Holz oder anderen nachwachsenden Ressourcen, es geht auch um die lokal vorhandenen Gegebenheiten.
Es geht sogar um eine grundsätzliche Haltung: Planende in der Architektur haben eine verkehrte Zeitvorstellung. Wir konzentrieren uns als Dienstleistende auf Kosten, Termine und einen nur auf das vermarktbare Immobilienobjekt eingeengten Qualitätsbegriff. Die Planung geht grad mal bis zur Schlüsselübergabe und zum Abschluss der Garantiearbeiten. Aber wir sollten mit unseren Städten etwas bauen, das uns wie ein Wald um Generationen überlebt: Etwas, das sich lokal verwurzelt und immer von neuem wächst.
“Das intellektuelle Potenzial ist da.”
Wie sieht die Anleitung aus, das “How-to”, das Sie dazu in Ihrer Ausstellung “If Buildings were Landscapes” liefern?
In der virtuellen Ausstellung zeige ich dazu erst mal Ansätze in der Form von Links zu Videos von den vielen nachhaltigen Ideen und Konzepten. In der wirklichen Ausstellung waren dazu Workshops geplant mit jungen Entwerfenden, die wir teilweise durch virtuelle Workshops ersetzen wollten. Letztlich gibt es meines Erachtens zwei Möglichkeiten: Entweder die Architektur beharrt auf ihrer Autonomie und verschließt sich vor den gewaltigen Herausforderungen in Natur- und Klimaschutz. Die werden spezialisierte Ingenieur*innen dann lösen, die schon heute zunehmend die Kontrolle über das gebaute haben. Architektur wird so vielleicht eine schöne Nebensache, ein interessanter Zeitvertreib, etwa so relevant wie Schachspielen. Oder sie erfindet sich neu, und dazu wäre eine integrale Betrachtung mit der Umgebung und ein Verständnis der Bauten als Teile einer lebendigen Landschaft denkbar.
Das intellektuelle Potenzial ist sicher da, nur hat sich die westliche griechisch-römische Tradition zwei Jahrtausende von der Natur weg entwickelt. Ich hoffe, wir haben noch Zeit. Darum suchen wir nach Lösungen, wie die Architektur das Anthropozän überleben könnte, unser Zeitalter, in dem die Menschen die natürliche Entwicklung der Welt in geologischen Zeitmaßstäben überformt haben.
Über den Daniel Jauslin und die Ausstellung “If Buildings were Landscapes”
Die Virtuelle Ausstellung „If Buildings were Landscapes …“ kuratiert von Daniel Jauslin PhD und gestaltet von seinem Büro DGJ Landscapes ist von März bis Oktober 2021 zugänglich.
Sobald erlaubt, wird sie gezeigt in der Baumuster-Centrale Zürich, im Atélier Néerlandais Paris und an der Faculty of Architecture & the Built Environment TU Delft und von Veranstaltungen begleitet.
Die Ausstellung “If Buildings were Landscapes” ist ab dem 26. März in der Schweizer Baumuster-Centrale in Zürich zu sehen.
Daniel Jauslin ist Landschaftsarchitekt, Dozent und Forscher (PhD). Ausgebildet in Architektur an der ETH Zürich (1997) hat er mehr als 20 Jahre internationale berufliche und akademische Erfahrung mit Entwürfen in vielen Maßstäben, darunter preisgekrönte Möbel, Gebäude, Gärten, Landschaften, Regionen und Infrastrukturen. Seit 1999 ist er Mitbegründer von DGJ Landscapes in Zürich und Gründungspartner von DGJ Architektur mit Hans Drexler in Frankfurt. Seit 2011 ist er registrierter Landschaftsarchitekt. In diesem Bereich realisiert DGJ Landscapes derzeit Projekte zwischen Jauslins Heimat Zürich und der Umgebung von Versailles. Von 2008 bis 2015 war er als Dozent am Aufbau des Master Tracks Landschaftsarchitektur an der TU Delft beteiligt, wo er 2019 auch seine Doktorarbeit veröffentlichte. Von 2015 bis 2018 unterrichtete er Landschaftsarchitektur an der Universität Wageningen u.a. mit Prof. Ir. Adriaan Geuze und forscht weiter zum Architektur- und Landschaftsentwurf.