24.02.2021

Gesellschaft

Klimawende: Wie gelingt sie?

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Göttingen, 14. Februar 2021: Die Niedrigsttemperatur beträgt minus 23,8 Grad. Göttingen, eine Woche später, 21. Februar 2021: Die Höchsttemperatur liegt bei plus 18,1 Grad. Innert einer Woche stieg die Temperatur um 41,9 Grad. Ein historischer Temperaturanstieg – und leider nicht der einzige wetterbezogene Rekord der letzten Zeit. Die Rekorde reihten sich bereits letztes Jahr aneinander: Wir hatten weltweit den wärmsten ­September seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, den heißesten Oktober Europas und weitere Temperaturrekorde im November. Gleichzeitig verzeichnete Deutschland das dritte Dürrejahr in Folge, während die Starkregenereignisse weiterhin zunahmen. Wie reagiert die Planung auf den Klimawandel? Und was müssen wir tun, um die Klimawende zu unter­stützen? ­Stimmen aus der Profession und Projektbeispiele geben Antworten.

Für die BUGA Heilbronn dachten SINAI den Klimawandel gleich im Konzept mit und verknüpften die Stadt mit der Natur. (Foto: Nikolai Brenner)

Klimawende in Friedrichshafen: ­ klimaneutral bis 2050

„Wir haben gesehen, wie das Eis der Arktis stirbt.” Das sagte Markus Rex, der Expeditions­leiter der Polarstern, Mitte Oktober, nachdem sein Team und er fast ein Jahr im Eis des Nordpolarmeers verbracht hatten. Ein eindrücklicher Satz, der hängen bleibt. Und es ist nicht nur das Polareis, das schmilzt – so weit muss man nicht reisen. Auch die Gletscher in den Alpen werden zu Wasser. Die Pasterze am Großglockner, der größte Gletscher Österreichs, wird wahrscheinlich in 40 Jahren nicht mehr existieren. Sind wir also die letzte Generation, die Gletscher kennt?

Fest steht: Es wird wärmer auf der Erde. Und das ist weder nur ein Gefühl noch die Beobachtung eines Jahres. Beides taugt nicht, um eine handfeste Aussage zu treffen. Sehr wohl aber der Temperaturvergleich mit einem zurückliegenden Zeitraum. Inter­national üblich ist, sich auf die Referenz­periode von 1961 bis 1990 zu beziehen. Und da zeigt sich: Es gab immer Ausreißer nach oben und nach unten, aber die Temperaturkurve stieg beständig an. 2019 lag die Durchschnittstemperatur laut Bundes­umweltamt bereits um 0,74 Grad über dem Mittelwert des Referenzzeitraums.

Die Auswirkungen reichen von Hitze­sommern über Starkregen bis hin zu steigendem Meeresspiegel. Erst jüngst meldete der Spiegel, dass der kleine Küstenort Fairbourne in Wales umgesiedelt wird – es ist zu aufwendig, die Menschen dort langfristig vor dem Wasser zu schützen. Und wie unter einem Brennglas zeigen sich die Auswirkungen in unseren Städten, wo in heißen Sommern die Hitze über dem Asphalt flirrt und in regnerischen Früh­jahren das Wasser die Kanalisation zum Überlaufen bringt.

Es geht daher darum, die Städte resilient zu machen, also widerstandsfähig: um Anpassungsstrategien. Nicht um Klimaschutz? „Die Übergänge von Klimaanpassung zu Klimaschutz sind fließend“, sagt Edith Schütze von faktorgruen. Im Klimaschutz geht es vor allem darum, Emissionen zu vermeiden, das sei weniger das Metier der Landschafts­architekten. Anders sieht es bei der Klima­anpassung aus. „Und letztlich trägt jeder Baum, der gepflanzt wird, um Schatten zu spenden, auch zum Klimaschutz bei“, konstatiert Schütze.

Klimawende planen: Gelungene Beispiele existieren

Seit drei Jahren erarbeitet das Freiburger Büro Anpassungskonzepte für Kommunen. Immer wieder höre sie, dass Anpassung zu defensiv sei. Doch auch diese Maßnahmen reichen in die Zukunft: „Sie wirken sich unmittelbar auf unsere gebaute Umwelt aus, auf alle Lebens- und Arbeitsbereiche. Und können Impulse geben.“ So wie in Friedrichshafen. Die von Industrie geprägte Stadt am Bodensee hat die Klimastrategie gerade verabschiedet. Ihr Ziel: bis 2050 klimaneutral werden. In allen Bereichen, von Verkehr über Bauen bis hin zu Wohnen, geht in der Stadt künftig nichts mehr, ohne die Auswirkungen für das Klima zu beachten. Dafür wurden drei neue Stellen geschaffen. 

Das Urbane Gewässer am Potsdamer Platz vom Büro Dreiseitl ist eines der ersten Projekte, das unab­hängig von der Kanalisation ent­wässert. Es entstand bereits vor 20 Jahren. (Foto: SINAI)

Schwammstadt im Schumacher Quartier

Doch natürlich ist es mit neuen Stellen nicht getan. Dass es einiges an Engagement braucht, um Klimaanpassung und Klimaschutz als Routine in den Abläufen einer Stadtverwaltung zu implementieren, weiß auch Carlo W. Becker von bgmr aus Berlin. Er sieht in Vorhaben wie dem STEP Klima 2.0, den das Büro derzeit für und mit der Stadt Berlin erarbeitet, daher vor allem auch eine Kommunikationsstrategie auf allen Fachebenen bis hinein in die Politik. Es gelte, sich in einem ersten Schritt erstmal auf Pilotprojekte zu verständigen, um die neuen Ansätze zu üben. Das sei insbesondere wichtig, weil Klimaanpassung die Oberfläche der gesamten Stadt betrifft und damit viele Fachdisziplinen ineinandergreifen.

Ge­lungene Beispiele, die das zeigen, gibt es bereits, zumal in Berlin: Dort entstand vor 20 Jahren das Urbane Gewässer am ­Potsdamer Platz, entworfen vom Büro Dreiseitl. Eines der ersten Regenwasser­projekte, das zeigt, wie es funktionieren kann, unabhängig von der Kanalisation zu entwässern. Ebenso der Stadtteil Adlershof, wo ein Großteil des Regenwassers nicht in die Kanalisation, sondern in Mulden fließt. 

Noch in der Planung befindet sich das Schumacher Quartier in Berlin-Tegel. Hier, auf dem ehemaligen Flughafengelände, will man noch weitergehen, soll ein weitgehend abflussloses Stadtquartier geschaffen werden. Das Schwammstadtprinzip soll par ­excellence greifen: Das Regenwasser wird gespeichert und verdunstet, um es für die Kühlung des neuen Stadtquartiers zu nutzen. Nur ein kleiner Teil des Wassers wird versickern, kein Wasser oberflächlich abfließen. bgmr Landschaftsarchitekten erarbeiteten den Regenwasserleitplan und entwerfen derzeit entsprechende Konzepte für die öffentlichen Quartierstraßen und Plätze.

Dass der Teufel im Detail liegt und es wichtig ist, solche Projekte fachübergreifend einzuüben, zeigt das Beispiel der Ver­dunstungsbeete. Die Berliner Stadtent­wässerung führt diese standardmäßig mit Rollrasen aus. Da sie jedoch im Schumacher Quartier wesentlicher Teil der Straßen­gestaltung sind, sollen dort nach dem Entwurf von bgmr Stauden wachsen. Was nicht mal eben so durchzusetzen ist. Kommunikation ist hier wieder das Stichwort. Nicht zuletzt, da es zwar DIN-Normen für Leitungen gibt, die DIN aber Versickerung nicht abbildet. Auch die Regeln der Technik müssen also fortgeschrieben werden.

Routinierter in solchen Dingen ist man bereits in Dänemark. gruppe f aus Berlin hat hier einige Regenwasser-Projekte umgesetzt. „Klimaanpassung“, sagt Antje Backhaus von gruppe f, „wird in Dänemark vor allem vom Wasser her gedacht.“ Hitzeinseln in den Städten sind weniger das Thema im europäischen Norden. gruppe f hat gemeinsam mit dem dänischen Büro Arkitema 2018 in einem bestehenden Wohngebiet in Aarhus ein solches Projekt fertiggestellt.

Parkplätze vermeiden und Grün fördern

Das Konzept für das Ein­familienhausareal Riisvangen hat sich inzwischen schon ein paar Jahre bewährt. Auch hier wurde sehr detailliert vorge­gangen. Für jedes Haus überprüfte das Team, wie und wie viel Wasser auf dessen Grundstück versickert werden kann. Alles, was über ein fünfjähriges Regenwasserereignis hinausgeht, wird in den Straßenraum geleitet. Das ist nicht selbstverständlich – in Deutschland gibt es häufig Probleme an der Schnittstelle von privat zu öffentlich. In Aarhus gibt es in den kleinen Quartierstraßen offene Regenwasseranlagen, die auch Regenwasser von Privatgrundstücken aufnehmen, in Parks und den großen Straßen Retentionsräume – zum Teil auch mit Spielmöglichkeiten, zum Beispiel abgesenkten Basketballplätzen. Es geht also auch immer darum, Flächen mehrfach zu kodieren, unterschiedliche Nutzungen ineinander zu verweben. 

Vernetzen ist ohnehin ein oft fallendes Stichwort im Zusammenhang mit Klima­anpassung, egal ob unterschiedliche Fach­disziplinen, unterschiedliche Nutzungen oder auch Stadt und Landschaft mithilfe von Grün. „Grünzüge sind eigentlich ein sehr altes und klassisches Landschaftsarchitektur-Thema“, lacht Peter Hausdorf von SINAI. Und nach wie vor aktuell. Auch in ­Heilbronn, wo SINAI für die Anlagen zur Bundesgartenschau 2019 die Möglichkeit hatten, ein neues Stadtviertel von der Landschaft her mit zu entwerfen.

Die Landschaftsarchitektur wurde früh in die Stadtplanung einbezogen. „Hier stimmten die Rahmenbedingungen, um den Klimawandel schon im Konzept mitzudenken”, betont Hausdorf. Die Berliner Landschaftsarchitekt*innen ergriffen die Möglichkeit, stellten die Aue wieder her und zogen die Natur bis in die Stadt, verknüpften innen mit außen. Die Landschafts­architekt*innen wählten helle Materialien und Oberflächen wie Sandstein und geschliffenen Asphalt, die weniger Hitze speichern als dunkle, achteten auf die Ausrichtung der Freiräume, schufen große Wasserflächen, die kühlen, und Retentionsflächen, die Regenwasser zurückhalten. Und natürlich: „So viel Grün wie möglich, so wenige oberirdische Parkplätze wie möglich.“ Denn überall, wo kein Auto steht, kann der Platz für den Freiraum genutzt werden. 

Zukunftstaugliche Konzepte aktiv mitgestalten

Überhaupt, die Mobilität ist vielleicht das schwierigste Thema im Klimawandel. Noch ist das eigene Auto der Standard. Doch auch hier denken die Kommunen um, berichtet Edith Schütze. Tiefgaragen sind nicht mehr gesetzt. Jüngst jurierte sie einen Wettbewerb mit, in dem dann der städtebauliche Entwurf gewann, der als einziger auf Tiefgaragen verzichtete und stattdessen simple Ständer-Parkhäuser vorsah. Sie können eines Tages wieder abgebaut und die Flächen zu Freiraum gestaltet werden, wenn das eigene Auto doch mal vom Tisch ist.

„Darum geht es“, sagt Schütze: Kommunen auf allen Planungsebenen vom Regional­plan bis hin zum Detail und zur Materialwahl sensibel machen für Themen wie alternative Mobilität, klimaangepasste Gehölze, Hitzeinseln und Verdunstung. „Ich möchte den Berufsstand ermuntern, die gesellschaftlich-politische Situation zu sehen und die Chance zu ergreifen“, konstatiert sie. Denn der Rahmen ist gesetzt: Die EU-Kommission postuliert, dass Europa bis 2050 klimaneutral sein soll. Die Kommunen brauchen also zukunftstaugliche Konzepte. Selten war die Chance so gut wie heute, die Klimawende aktiv mitzugestalten. 

Der Klimawende ist nur eine der vielen Herausforderungen, mit denen sich die Planung auseinandersetzen muss. Hier lesen Sie, womit Planer*innen in Zukunft sonst noch fertig werden müssen.

Diese Artikel erschien in der G+L 01/21 zum Thema Zukunft Planung.

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