18.02.2021

Gesellschaft

Nord Stream 2 sucht Klimaschützer*in

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Eine Ostseepipeline, zwei Großmächte und ein deutscher Klimaschutzverein steuern aktuell in ein Szenario, das das Zeug zum Skandal hat. Was passiert eigentlich gerade in Mecklenburg-Vorpommern mit Nord Stream 2? Und was haben Klimaschützer*innen beim Pipelinebau verloren? Wir suchen nach Antworten.

Nord Stream kümmert sich um Umweltschutz und lässt Pflanzen am russischen Anlandebereich umsiedeln. Nur Fassade? © Nord Stream 2 AG / Agiteco

Deutsche Stiftung zwischen Großmächten

Es soll nicht mehr lange dauern, bevor endlich die Hähne aufgedreht werden können. Nachdem 2018 das erste Stück der zweiten Ostseepipeline, Nord Stream 2, verlegt wurde, fehlen heute noch etwa 150 von insgesamt mehr als 1 200 Kilometern Rohrleitung. Von der Narva-Bucht in Russland bis nach Lubmin an der deutschen Ostseeküste soll über die neue Pipeline schon bald das Erdgas nur so nach Europa sprudeln. Noch mehr, als bisher über nur Nord Stream 1 möglich.

Schon vor Baubeginn umstritten, entspinnt sich mit den aktuellen Ereignissen um Nord Stream 2 eine Art Krimi mit Verstrickungen nach Russland und in die USA. Und mittendrin: Deutschland und die von der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern ins Leben gerufene Stiftung Klima- und Umweltschutz MV.

Was die Sache so pikant macht? Anscheinend soll die Stiftung nicht vorrangig den Umweltschutz, sondern den Bau von Nord Stream 2 vorantreiben.

Stiftungszweck: Nord Stream 2

Ein Blick in die Satzung des Vereins offenbart unter dem Stiftungszweck zunächst elf allgemein umschriebene Maßnahmen, die unter anderem zugunsten des Klimaschutzes, der Sicherung der Artenvielfalt oder der „Verbesserung der ökologischen Situation“ „durchgeführt“ und „gefördert“ werden sollen.

Konkretere Informationen über den Stiftungszweck finden sich im zweiten Absatz, denn hier behält sich die Stiftung vor, einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb aufzubauen, und zwar explizit, um „sich damit vorrangig an der Vollendung von Nord Stream 2 [zu] beteiligen“.

An diesem zweiten Absatz entzündet sich ein großer Teil der Kritik an der Stiftung Klima- und Umweltschutz MV. Und die kommt nicht nur von Umweltorganisationen, die zum einen Umweltschäden durch den Bau der Pipeline kritisieren und zum anderen den Umweltvorteil in Frage stellen, der sich aus einem noch höheren Bezug von Erdgas als Energiequelle ergeben soll – insbesondere in Zeiten, in denen es weitreichender Konsens ist, dass eine Energiewende hinweg von fossilen Brennstoffen angestrebt werden sollte. Nicht nur NABU, BUND und WWF lehnen deshalb eine Zusammenarbeit ausdrücklich ab und bezeichnen die Stiftung Klima- und Umweltschutz MV als „Mogelpackung“.

Kritik nicht nur von Umweltschützer*innen

Auch andere Organisationen kritisieren die Stiftung. Transparency Deutschland bezeichnet deren Gründung als „politischen Missbrauch des guten Rufs von Stiftungen“. Hauptzweck der Stiftung seien kommerzielle Aktivitäten eines russischen Staatskonzerns. Hingegen erwarteten Bürger von Stiftungen politische Unabhängigkeit und den Dienst an gemeinnützigen Zwecken, so die Antikorruptionsorganisation.

Nach einem Bericht des NDR hat die Gründung der Stiftung auch den Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern auf den Plan gerufen. Er wurde offenbar trotz frühzeitiger und wiederholter Anfragen nicht in den Gründungsprozess miteinbezogen. Ein Vorgang, der der Behauptung von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig widerspreche, die behauptet habe, die Gründung sei „transparent“ verlaufen.

Deutsch-Russische Partnerschaft

Wer der Adresse der Stiftung Klima- und Umweltschutz MV folgt, stößt schnell auf den Verein Deutsch-Russische Partnerschaft, der sich, wie ebenfalls vom NDR berichtet, nicht nur Büroräume und Briefkasten mit der Stiftung teilt. Ebenso teilen sich Verein und Stiftung mit Erwin Sellering, ehemaligem Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, den Vorstandsvorsitzenden, und die Geschäftsführerin des Vereins baue im Rahmen einer anscheinend aus dem Vereinsvermögen bestrittenen Nebentätigkeit die Stiftung auf. Für Erwin Sellering sei diese Personalunion kein Problem. Der Bund der Steuerzahler kritisiere indes unter anderem eine „Quernutzung von Mitteln“.

Klar ist: Der russische Staatskonzern Gazprom hegt erhebliches finanzielles Interesse am Betrieb von Nord Stream 2, denn er ist alleiniger Eigentümer der verantwortlichen Nord Stream 2 AG. Er ist über die Nord Stream 2 AG außerdem mit 20 Millionen Euro am Kapital der Stiftung Klima- und Umweltschutz MV beteiligt, während das Land Mecklenburg-Vorpommern 200 000 Euro beisteuert. „Bild“ fasst dieses Konstrukt so zusammen: „‚Stiftung Klima- und Umweltschutz MV‘ zu 99 Prozent Kreml-finanziert“.

Sollen US-Sanktionen umgangen werden?

Im vorher angesprochenen zweiten Absatz der Satzung der Stiftung Klima- und Umweltschutz MV lässt sich auch folgendes Detail finden:

„[Die Stiftung] kann im Rahmen ihres wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes insbesondere auch […] Werkzeuge und Maschinen erwerben, übernehmen, verwalten, halten, zur Verfügung stellen und vermieten.“

Angesichts drohender Sanktionen aus den USA im Zusammenhang mit dem Bau von Nord Stream 2 gegenüber beteiligten Unternehmen könnte die Stiftung so also als Käuferin für Werkzeuge und Maschinen in Erscheinung treten, falls Bauunternehmen, die diese benötigen, davor zurückschrecken würden. Zweifelhaft ist, ob sich US-Sanktionen durch diesen Schachzug tatsächlich austricksen ließen. Die Tatsache aber, dass sich die Stiftung diese Tür offen hält, befeuert zusätzlich die Vermutung, dass sie lediglich vordergründig als Umweltschutzorganisation, tatsächlich jedoch als Vehikel zur Erleichterung des Pipelinebaus im Spannungsfeld zwischen USA und Russland dienen soll.

Mehr als nur Naserümpfen

Nun sucht also genau diese Stiftung in großformatigen Anzeigen nach „engagierten Klimaschützern“. Inwiefern diese tatsächlich innerhalb der Stiftung für einen effektiven Klimaschutz tätig werden können ist mit Kenntnis der vorliegenden Informationen zumindest fragwürdig.

Was nach der Recherche für diesen Artikel bleibt, ist ein ganz schlechter Nachgeschmack. Eine von einem Bundesland gegründete Stiftung, zum überwältigenden Teil von einem russischen Staatskonzern finanziert, die sich in ihren Statuten der Durchsetzung der Interessen dieses Konzerns verschreibt, aber oberflächlich den Pelz de Klimaschützerin trägt? Kein Wunder, dass allerorten Warnsignale aufschrillen und mehr als nur die Nasen gerümpft werden. Denn die Umstände, die die Gründung der Stiftung Klima- und Umweltschutz MV umgeben, stinken – ganz so, wie das im Erdgas vorrangig enthaltene Methan – regelrecht zum Himmel.

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