Kinder gehören auf den Spielplatz – oder doch in den gesamten städtischen Raum? Wir sprachen mit Dirk Schelhorn, Landschaftsarchitekt und Experte für kindgerechte Gestaltung, und Dr. Renate Zimmer, Expertin für kindliche Bewegungsforschung, wie öffentlicher Raum gestaltet sein muss, damit sich dort auch Kinder wohlfühlen.
Was braucht es, um wirklich gute Räume für Kinder zu planen?
DS: Planer müssen wissen, wie die Kindheitsentwicklung funktioniert und was Kinder wirklich brauchen, um gesund und sicher aufzuwachsen. Das ist Grundwissen. Und dieses Grundwissen muss vernetzt werden. Es reicht nicht wenn der Landschaftsarchitekt das weiß, und es reicht nicht, wenn das Gartenamt das weiß. Die wesentlichen Entscheidungen zu einem gestalteten Raum, werden auf einer anderen Ebene getroffen. Auf der Ebene der Politik und Stadtplanung.
RZ: Für den Planungsprozess wäre es wichtig verschiedene Spezialisten direkt in die Kreation von Projekt mit einzubeziehen. Das gäbe zusätzliche Inspiration und direkte Rückmeldungen, ob Planungsideen Sinn machen und umsetzbar sind.
Frau Zimmer, hatten Sie schon einmal das Vergnügen bei einem interdisziplinär besetzten Projekt mitarbeiten zu dürfen?
RZ: Bei größeren bisher noch nicht. Momentan bin ich aber bei der Konzeption eines Spielraums für eine Behinderteneinrichtung in Südkorea dabei. Mit der Einrichtung hatte ich bisher über Fortbildungen zusammengearbeitet und nun bauen wir einen Fußballplatz in einen neuen Spielbereich um.
Spielplätze gibt es viele – und die sehen alle gleich aus. Woran liegt das?
RZ: Also entweder liegt es an den finanziellen Verhältnissen der Kommunen, dass sie sich nur einfallslose Spielplätze für Kinder leisten können oder es liegt daran, dass Firmen mit ihren Spielgeräten so unkreativ sind. Es gibt viele Initiativen, die versuchen auch den Raum außerhalb des Spielplatzes zu gestalten, aber da würde ich mir wünschen, dass ein bisschen kreativer mit Bewegungsideen umgegangen wird.
DS: Abprüfbare Qualitäten, wie wir sie bereits in der Spielleitplanung definiert haben, würden helfen. Kinderfreundlich ist eine Gemeinde nicht, wenn sie 13 Kindergärten hat. Das ist elternfreundlich. Kinderfreundlich ist aus der Perspektive der Kinder zu denken.
Wie müssten Städte gestaltet sein, damit sie auch Kinder ansprechen?
DS: Kinder sind in ihrem Tagesablauf wesentlich mehr auf Wegen unterwegs als auf Spielplätzen, etwa der Weg zur Schule oder zum Einkaufen. Wenn wir den öffentlichen Raum mal nach Qualitäten für Kinder abprüfen, dann fangen wir bei Wegesystemen und Plätzen zum Verweilen an. Warum gestaltet man den Raum nicht so, dass Kinder auch ihre Freude haben. Ich stelle mir eine Stadt, ein Quartier vor, wo Kinder nicht auf Spielplätzen sondern überall Dinge vorfinden, an denen sie sich betätigen können. Ein Raum muss ausstrahlen: Benutz mich!
RZ: Ich würde mir einen öffentlichen Raum mit sehr differenzierten Anspruchsformen vorstellen. Er muss Selbstständigkeit fördern und ganz unterschiedliche Schwierigkeitsstufen anbieten. Es muss anspruchsvolles geben, weil sich auch Zehnjährige richtig messen wollen, das Angebot darf aber auch ein dreijähriges Kind nicht total überfordern.
Nicht alle Städte haben Nachholbedarf in der kindgerechten Gestaltung ihres öffentlichen Raums. Welche Städte sehen sie als positive Vorreiter?
DS: Basel zum Beispiel. Basel hat eine Innenstadt mit ganz vielen Brunnen. Sobald es richtig warm ist, spielen die Kinder am und im Brunnen. Reutlingen ist auch ein gutes Beispiel. Dort werden wir auf einem Kulturplatz, eine ganze Bankreihe durch Schaukeln ersetzen – wo drei Leute nebeneinander sitzen können. Schaukeln ist immer Treffpunkt. Warum muss eine Schaukel immer nur auf einem Spielplatz stehen? Planer sollten Mut haben auch mal witzige Dinge zu tun.
RZ: Es gibt schon gute Beispiele, aber viele Räume könnte noch ein bisschen aufgepeppt und interessanter gestaltet werden, damit alle Altersstufen sich gemeinsam betätigen können.
DS: Ein weiteres Vorzeigeprojekt ist „alla hopp!“. Die Stiftung des SAP-Gründers Dietmar Hopp hat im Rahmen dieser Aktion 19 Kommunen in der Metropolregion Rhein-Neckar Bewegungsparks gestiftet. In enger Zusammenarbeit mit drei weiteren Büros setzen wir diese nun Schritt für Schritt um. Vier konnten wir auch schon fertig stellen.
Herr Schelhorn, Sie sagten, es sollte Richtwerte geben. Was genau würden Sie sich wünschen?
DS: In der Spielleitplanung haben wir bereits vor 15 Jahren verbindliche Qualitäten einer Raumgestaltung und Stadtentwicklung zu Gunsten von Kindern definiert. Die DIN 18034 spiegelt das auch wider. Sie hat den gleichen Wert wie die Gerätenorm, die DIN 1176. Aber wenn eine Sicherheitsüberprüfungen vor Ort gemachen wird, dann nimmt jeder die Gerätenorm, aber keiner überprüft den Stadtteil nach der DIN 18034.
Was steht in der DIN 18034?
DS: Sie spricht von einem kalkulierbaren Risiko. Da steht drin, dass wir bei der Planung für Kinder verpflichtet sind, kalkulierbares Risiko anzubieten – zur Förderung.
RZ: Gefahren müssen für Kinder erkennbar und einsehbar sein. Aber sie sind nötig, damit ein Gefahrenbewusstsein und eine Risikokompetenz aufgebaut und geübt werden kann.
DS: Die Norm findet aber leider wenig Anwendung und ist am Rahmen der Stadtgestaltung wenig bekannt. Bei der Stadtplanung ist sie eigentlich auf keinem Schreibtisch.
Wie kommt das?
DS: Keine Ahnung. Vollzugsdefizit, kein Wissen in der Ausbildung, nicht bekannt gegeben. Das Bundesland Vorarlberg in Österreich ist da momentan am vorbildlichsten. Dort gibt es ein Spielraumgesetz, an dem wir vor Jahren mitgewirkt haben. Mit Beratung aber auch konkreten Projekten.
Wenn Städte mehr in kindgerechten Raum investieren würden, welche Chancen würden sich bieten?
DS: Die Chancen sind natürlich riesig: Wir würden wesentlich mehr gesunde Kinder haben. Wir würden aber auch wesentlich weniger Geld in Bildung aus zweiter Hand ausgeben müssen, weil Kinder durch ihr Spielen – elf bis zwölf ist hier die Grenze – ganzheitlich gebildet werden. Die interessantesten, die abenteuerlichsten Dinge, die lernt man auf der Straße, im Wald und oft da, wo Erwachsen nicht davon ausgehen, dass man sie dort lernen kann. Die Chance einer kindgerechten Gestaltung hat aber auch einen generationsübergreifenden Effekt.
Wir müssen also für Kinder und Erwachsene planen?
RZ: Ja, über die Interaktion von Eltern und Kindern im öffentlichen Raum bahnt sich auch so was wie ein aktiver Lebensstil an, der sich auf die Kinder überträgt. Kinder sehen wie Eltern mit dem öffentlichen Raum umgehen. Ob sie hasten, um zum nächsten Termin zu kommen, oder ob sie sich auch mal Zeit nehmen.
DS: In einer kindgerechten Gestaltung haben auch Erwachsene ihren Platz. Der generationsübergreifende Aspekt hat nichts damit zu tun, dass Mutti irgendwas auf dem Walker macht und das Kind 20 Meter weiter im Sandkasten spielt. Sondern eine kindgerechte Gestaltung hat auch immer Platz für beobachtende Erwachsene – für teilnehmende Erwachsene. Sich freuen zu können am Kinderlachen, das ist vor allem für alte Leute sehr wichtig. Oder Kinder können mal Erwachsene beobachten. Wenn Kinder an einer Baustelle stehen bleiben, weil da drei Bagger fahren, dann ist das schon generationsübergreifende Teilhabe.
RZ: Ich würde sogar noch weiter gehen – Spielplätze für Ältere. Das ist ein Thema, das überhaupt noch nicht richtig weiter gedacht wurde.
Mit dem Thema „kindgerechte Gestaltung des öffentlichen Raums“ beschäftigen wir uns auch in Garten + Landschaft 05/2016 – der Platz, das Gefühl und wir.