In der südchinesischen Küstenstadt Shenzhen wurden noch bis 1980 Fische gezüchtet und Reis angebaut. Doch dann entstand, in unmittelbarer Nähe zu Hong Kong, Chinas erste Sonderwirtschaftszone. Die gesamte Zone wurde in kürzester Zeit bebaut, und auch das Umland urbanisierte sich – allerdings trotz zahlreicher Masterpläne informell und ungeplant. Heute, nicht mal dreißig Jahre nach Gründung der Sonderwirtschaftszone, zählen Shenzhen und die angrenzenden Städte im südchinesischen Perlflussdelta zu den größten und am schnellsten wachsenden urbanisierten Regionen der Welt.


Transformation der Landschaft

Dieser Urbanisierungsprozess veränderte die Morphologie und die Wassersysteme der ursprünglichen Landschaft drastisch. Flüsse wurden kanalisiert und unter die Oberfläche verlegt, das hügelige Terrain eingeebnet. An der Küste und zur Grenze Hong Kongs drängen sich die Gebäude dicht an dicht. Weil es keine bebaubaren Flächen mehr gibt, wurde an der Küste Land aufgeschüttet. Steigende Wohnungspreise treiben diese Entwicklung immer weiter voran. Schon lange können die natürlichen Flussläufe den Wasserbedarf der Städte im Perlflussdelta nicht mehr decken. Niederschläge gäbe es genug, doch die Wasserqualität der Flüsse ist zu schlecht. Daher wurden an den Ausläufern der großen, noch bestehenden Berge große Wasserreservoirs gebaut, um die Menschen mit ausreichend Trinkwasser zu versorgen.

Städtebaulicher Wandel

In den Stadtteilen Bao’an und Longgang prägten zunächst kleinere Fabriken und sogenannte Urban Villages das Stadtbild. Häuser stehen dort so dicht, dass man auch von „Handshake-Buildings“ spricht. Nur selten findet man in diesen Vierteln unbebaute Restflächen, auf denen Platz für einen Baum oder zumindest eine Palme wäre. Je nach Entwicklungsstatus der Villages fehlt den Bewohnern jeglicher Komfort. Viele der Wohnungen sind schlecht belüftet, bieten wenig Licht und sind überbelegt. Da das Kanalsystem nicht ausreicht, stehen die Viertel bei Starkregen sofort unter Wasser. Bisher sind die Urban Villages daher fast ausschließlich Wohnort der Armen, der Wanderarbeiter, die ihr Geld für ihre Familien in der Heimat benötigen. Häufig leben in den Urban Villages größere Gruppen von Menschen, die aus dem gleichen Dorf stammen. Die Urban Villages sind zwar die erste Anlaufstelle, doch aufgrund der Lebensverhältnisse meist nur als Übergangslösung vorgesehen. Zu den Vierteln selbst bestehen nur selten Bindungen, stattdessen wünscht man sich den sozialen Aufstieg und eine Wohnung in einem der neuen Wohnhochhäuser.

Trend: Gated Communities

Diese neuen Wohntürme mit fünfzehn bis fünfzig Stockwerken, findet man überall in der Stadt. Meistens sind mehrere Türme zu einer Gated Community zusammengeschlossen – große, unzugängliche Inseln der Mittelschicht. Während ältere Gebiete durch Mauern vom Stadtraum abgeschottet sind, stehen neuere auf erhöhten Erdgeschossplatten, die neben der Tiefgarage bei entsprechend guter Lage auch Supermärkte und Restaurants bieten. Derartige Gated Communties und hochwertige Wohnhochhäuser entstanden in Bao’an und Longgang erst nach 2005. Doch seitdem entstehen sie überall. Zeitgleich werden die Stadtstraßen ausgebaut. Zog Shenzhen zuvor vor allem Wanderarbeiter an, hat sich die Stadt mittlerweile zu einem wichtigen Standort für große Firmen entwickelt, die gut ausgebildetes Fachpersonal benötigen. Für die Mittelschicht bietet die Innenstadt der ersten Sonderwirtschaftszone nicht mehr genügend bezahlbaren Wohnraum. Große Immobilienentwickler drängen immer stärker in die bisherigen Randlagen. Urban Villages und Fabriken werden zugunsten von Großprojekten abgerissen, man schafft Platz für neue Gated Communities und neue Vehrkehrsachsen. Weil die Gated Communities privaten Rückzugsbereiche sind, verkommt der verbleibende Freiraum zu rein funktionalen Bereichen ohne eigene Qualität.

Viele der Fabriken wandern in günstigere Randlagen oder in Nachbarländer ab. Wenn aber Urban Villages abgerissen werden, hat das zugleich einen Verlust günstigen Wohnraums zur Folge. Haus- oder Wohnungsbesitzer erhalten zwar in einem der neuen Wohntürme eine Ersatzwohnung und werden finanziell entschädigt. Die Mieter jedoch, die Wanderarbeiter, werden aus dem Stadtteil verdrängt. Viele haben inzwischen einen Job in Restaurants, in einer der zahlreichen Shopping Malls oder bei den Immobilienentwicklern. Sie werden lange Pendelwege auf sich nehmen müssen. Denn sie werden immer weiter an den Stadtrand gedrängt, während die Mittelschicht in den neuen Wohnkomplexen lebt. Der Stadtumbau führt letztendlich zu einer Segregation der Stadtgesellschaft.

Gegentrend: Erhalten

Doch es gibt einen Gegentrend: das Urban Village Restoration Programm. Urban Villages sind zu einer Eigenart Shenzhens geworden, die durch die Tabula-Rasa-Planungen verlorengeht. Dynamisch gewachsene Strukturen wie die der Urban Villages ermöglichen ein punktuelles Um- und Anbauen, weil sie im Gegensatz zu den Typologien der großen Wohnungsbauunternehmen kleinteilig und erweiterbar sind. Sie bieten auch kleinen selbstständigen Betrieben gute Geschäftslagen. Auf lange Sicht könnten sie sich in beliebte Viertel wandeln. Beispiele dafür sind der studentische Global Schindler Award 2015 oder der Urban Regeneration Masterplan of Sungang and Qingshuihe von KCAP. Auch Projekte der Shenzhen Bi-City Biennale of Urbanism/Architecture zeigen unter dem Motto „Re-Living the City“, dass ein Umbau ressourcenschonender ist als Neubau und nach Jahren des Wachstums nun vor allem der Bestand aufgewertet werden muss. Das ist ein wichtiger Schritt, damit die Stadt eine Art von Permanenz entwickeln kann und ihre historischen Schichten ablesbar bleiben. Auch den alten Dorfkernen in Shenzhen, die heute oft unbeachtet verfallen, könnte bald schon wieder zu neuer Prominenz verholfen werden. Durch behutsame Erneuerungsprojekte im Bestand und Nachverdichtungsmöglichkeiten in ehemaligen Fabrikarealen kann Shenzhen eine stärkere Eigenart entwickeln als bisher, die eine eigene Form von Urbanität hervorbringt.

Mehr zum Thema lesen Sie in Garten+Landschaft 11/2016 – Planen mit Regenwasser.

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