09.12.2021

Gesellschaft

4-Tage-Woche: „Machen ist wie Wollen, nur krasser“

Tancredi Captatie (l.) und Matthias Staubach haben in ihrem Büro capattistaubach urbane landschaften die 4-Tage-Woche eingeführt. (Foto: © Dan Zoubek)

Tancredi Captatie (l.) und Matthias Staubach haben in ihrem Büro capattistaubach urbane landschaften die 4-Tage-Woche eingeführt. (Foto: © Dan Zoubek)

Gleitzeit war gestern – in letzter Zeit macht ein neues Arbeitszeit-Modell von sich reden: die 4-Tage-Woche. Sie beruht auf dem Prinzip, dass die gleiche Arbeit in weniger Zeit erledigt werden kann. Entsprechend reduzieren Arbeitgeber*innen die Wochenarbeitszeit ihrer Mitarbeitenden um mehrere Stunden – bei gleich bleibendem Gehalt. Die Ziele: eine bessere Work-Life-Balance, gesündere Mitarbeitende und nicht zuletzt einen Vorteil gegenüber Wettbewerber*innen. Verschiedene Studien, etwa in Island, suggerieren, dass die 4-Tage-Woche funktioniert. Und zwar ganz ohne Produktivitätseinbussen. Genauso war es auch beim Planungsbüro capattistaubach urbane landschaften. Tancredi Capatti und Matthias Staubach führten in ihrem Büro vor über einem Jahr die 4-Tage-Woche ein. Heute sagen sie: mit vollem Erfolg. Wir haben die beiden Bürogründer gesprochen und gefragt, wie Kund*innen darauf reagieren, wie sie mit Wettbewerbsabgaben umgehen und welche Tipps sie anderen Büros geben würden.

Tancredi Capatti (l.) und Matthias Staubach haben in ihrem Büro capattistaubach urbane landschaften die 4-Tage-Woche eingeführt. (Foto: © Dan Zoubek)

4-Tage-Woche: reduzierte Wochenarbeitsstunden um sieben Prozent

G+L: Herr Capatti, Herr Staubach, Sie haben vor einem Jahr in Ihrem Büro die 4-Tage-Woche eingeführt. Was hat Sie dazu inspiriert?

Tancredi Capatti: Wir erleben bereits seit längerer Zeit einen kollektiven Bedarf an neuen Partituren, die Arbeit und Freizeit gleichermaßen gerecht werden. Monotone Arbeitssymphonien waren gestern. Vielmehr beobachten wir, dass immer mehr Bewerbungen und auch einzelne Mitarbeiter*innen kürzere und intensivere Intervalle favorisieren. Als Arbeitgeber wollten wir uns diesem Ansinnen gegenüber weiter öffnen.

Matthias Staubach: Zudem haben wir uns ausführlich mit den Konzepten von „new work“ beschäftigt. Unserer Kenntnis nach gibt es in der Architekturbranche noch kein Büro, welches sich an die 4-Tage-Woche herangewagt hat. Das war für uns die Motivation, eine Tür aufzustoßen. Zusätzlich glauben wir, dass die 40-Stunden-Woche auf kurz oder lang ohnehin ein Auslaufmodell ist. Interessant erschien uns die Idee, in kürzerer Zeit mit größerer Effizienz zum selben Ergebnis gelangen zu können und damit eine Win-Win-Situation zu generieren. Ein Experiment, eingebettet in flankierende Maßnahmen wie den Innovation Friday oder Strategien zum digitalen Arbeiten. Machen ist wie Wollen, nur krasser!

G+L: 36 Stunden Wochenarbeitszeit oder sogar weniger? Wie sieht bei Ihnen die Umsetzung der 4-Tage-Woche konkret aus?

Matthias Staubach: Die Bandbreite reicht von der „echten“ 4-Tage-Woche, also 32 Stunden, bis hin zu 40 Stunden an 4 Tagen, wobei dieses Modell nur marginalen Zuspruch fand. Konkret arbeitet derzeit nur ein Mitarbeiter 40 Stunden an 4 Tagen. Wir als Arbeitgeber präferieren in der Startphase der ersten Jahre das 36-Stunden-Modell, um modellbedingte Kapazitätsengpässe noch gut ausbalancieren zu können. Mit Einführung der 4-Tage-Woche wurden die zur Verfügung stehenden Wochenarbeitsstunden des Büros um immerhin rund sieben Prozent reduziert. Das musste sorgfältig geplant und eingetaktet werden. Die durch Corona erzwungene Produktivitäts-„Delle“ hat da anfänglich sicher auch gut gepasst. Mittlerweile sind wir aber längst wieder auf dem Vor-Corona-Niveau angelangt und bisher ganz zufrieden.

Das mit der verkürzten Arbeitszeit verknüpfte geringere Gehalt versuchen wir abzufedern. So haben wir eine neue Gehaltsstruktur gewissermaßen als Haustarif etabliert, die sich am Niveau der Gehaltstabelle des VDA-Architekten orientiert. Zusätzlich zahlen wir einen Treubonus für langjährige Unternehmenszugehörigkeit und last not least eine Umsatzbeteiligung, wenn wir auf ein gutes Jahr zurückblicken können.

Vier Tage powern, drei Tage frei

Tancredi Capatti: Natürlich steht uns nun insgesamt weniger Zeit zur Verfügung. Hier versuchen wir, aktiv gegenzusteuern durch einen hohen Grad an Struktur und guter Organisation. Als flankierende Maßnahme der 4-Tage-Woche haben wir zur Absicherung der Produktivität zudem zwei Instrumente eingeführt: Erstens den Innovation Friday, der alle unser Mitarbeiter*innen an einem Freitag im Monat für vier Stunden zusammenbringt, um einerseits im Sinne eines Think-Tanks an zukunftsgewandten Themen der Profession in Arbeitsgruppenatmosphäre gemeinsam zu arbeiten. Andererseits aber auch – mindestens genauso hoch gewichtet – um Standards und Vorlagen des Büros auf den neuesten Stand zu bringen. Um die Säge zu schärfen, kann man sagen.

Zweitens haben wir ein Feiertagsagreement vereinbart, um die durch die 4-Tage-Woche bereits reduzierten Kapazitäten nicht noch weiter herunterzufahren. Dies bedeutet konkret, dass ein in der 4-Tage-Woche liegender Feiertag wie der Ostermontag etwa durch einen zusätzlichen Tag ausgeglichen wird, so dass in der Regel immer vier Arbeitstage zur Verfügung stehen.

Und ganz klar: Das Modell lebt auch vom Enthusiasmus unseres Teams. Vier Tage powern, drei Tage frei.

4-Tage-Woche eignet sich pauschal nicht für alle Mitarbeitenden

G+L: Mussten Sie Ihr Team von der Idee erst überzeugen?

Matthias Staubach: Das war bei allen recht unterschiedlich. Es gibt Kolleg*innen, die das Modell begeistert mitgetragen haben, wiederum andere, die zunächst skeptischer waren. Ohnehin arbeiten einige Kolleg*innen auch weiterhin in der 5-Tage-Woche. Aus zumeist familiären oder anderweitigen individuellen Gründen, um zum Beispiel nachmittags dem Sport oder anderen Freizeitaktivitäten nachzugehen. Die Konzentration auf nur vier Tage ist pauschal dann doch (noch) nicht für alle Lebenslagen geeignet.

Tancredi Capatti: Überzeugungsarbeit war durchaus gefordert. Am Anfang standen viele Fragen. Wir haben das Modell auch nicht von jetzt auf gleich umgestellt. Dem Ganzen gingen über einen längeren Zeitraum mehrere Diskussionsabende im Team voran. Hier haben wir das Für und Wider abgewogen und auch die Bedenken besprochen. Uns war vor allem wichtig, dass wir diese Umstellung gemeinschaftlich tragen. Alle sollen sich gehört und mitgenommen fühlen, nur so führen wir Dinge zum Erfolg. Trotz aller Überlegungen im Vorfeld ­– ins kalte Wasser gesprungen sind wir dann gemeinsam.

„Man muss auch mal Wettbewerbe ziehen lassen.“

G+L: Bietet sich die 4-Tage-Woche für Planungsbüro besonders an?

Tancredi Capatti: Die Frage ist weniger, ob die Branche sich eignet, sondern wie sie sich eignen kann. Aus unserer Perspektive ist es vor allem eine Frage des Mindsets und von Struktur und guter Organisation, die 4-Tage-Woche zu realisieren. Ein Stück weit hat uns auch Corona in die Hände gespielt. Mit der Zunahme an Videokonferenzen entfällt oftmals eine lange Anreise. Das ist ein Zeitgeschenk, das natürlich im Büro ganz anders genutzt werden kann. An solche punktuellen Optionen wie der Digitalisierung von Büroprozessen beispielsweise müssen wir anknüpfen und die Mittel der Zeit strategisch nutzen.

Matthias Staubach: Darüber hinaus muss man reduzierte Kapazitäten auffangen. Unser Bedarf an engagierten, erfahrenen Mitarbeiter*innen ist gewachsen. Wenn wir durch das Arbeitszeitmodell der 4-Tage-Woche neue Leute gewinnen können, ist unsere Idee einmal mehr aufgegangen.

G+L: Wie gehen Sie mit intensiven Phasen, etwa vor einer Wettbewerbsabgabe, um?

Tancredi Capatti: Was wir zuallererst feststellen ist, dass wir nicht weniger erfolgreich sind als in der landläufigen 5-Tage-Woche. Die Anzahl der erfolgreichen Wettbewerbsergebnisse ist vergleichbar. Das bestärkt. Schon immer war unser Ziel, Wettbewerbe rechtzeitig einzutakten und frühzeitig fertigzustellen. Das gelingt uns mal mehr, mal weniger. Das Problem ist nicht die Deadline, sondern der Anfang.

Matthias Staubach: Gute Planung ist alles. Einem hohen Zeitdruck waren wir auch schon zuvor ausgesetzt. Am Ende des Tages muss man auch mal einen Wettbewerb ziehen lassen und sich ausschließlich auf die big points fokussieren, die die Zukunftsfähigkeit des Büros garantieren. Auch wenn es natürlich immer in den Fingern juckt.

„Freitags stehen wir in Notfällen zu Verfügung“

G+L: Wie reagieren Klient*innen darauf, dass Sie einen Tag weniger verfügbar sind?

Tancredi Capatti: Grundsätzlich haben wir interessierte neugierige Rückmeldungen erfahren, teils auch ungläubige Reaktionen. Zum Beispiel, ob wir nicht heimlich anwesend sind und nur nicht ans Telefon gehen, um uns einen Tag Ruhe zum konzentrierten Arbeiten zu verschaffen. Tatsächlich gibt es Kolleg*innen die freitags im Büro sind. Wenn es also wirklich einmal brennt, sind wir auch reaktionsfähig.

Matthias Staubach: Nach einem Jahr ist bei langjährigen Partner*innen unser Zeitmodell bekannt und wir erleben einen hohen Grad an Akzeptanz. Auch bei neuen Partner*innen stoßen wir auf prinzipielle Aufgeschlossenheit dem Arbeitszeitmodell gegenüber. Summa summarum hat sich der wesentliche Teil damit arrangiert, dass wir freitags nur in Notfällen zur Verfügung stehen. Diese Flexibilität und das Vertrauen schätzen wir sehr. Und es birgt ja umgekehrt auch einen Vorteil, denn Abgabeschluss ist bei uns schon der Donnerstag.

„Für Gewöhnung hatten wir noch keine Zeit.“

G+L: Kritiker*innen vermuten, dass die erste produktive Phase nach Einführung der 4-Tage-Woche nach einer Gewöhnungszeit abnimmt. Sie arbeiten seit einem Jahr mit dem neuen Modell. Haben Sie diese Motivationsabnahme beobachtet?

 Tancredi Capatti: Nein, das können wir so nicht bestätigen. Zumal wir ja auch dafür sorgen tragen, dass Planung, Organisation und Struktur langfristige Perspektiven für optimierte Abläufe bieten und nicht einzig über den Workload der Mitarbeiter*innen abgefedert werden. Vielleicht ist es aber auch ein bisschen wie mit der Liebe. Nach der ersten Zeit der Verliebtheit, erleben wir eine große Verbundenheit dem Büro gegenüber, die wir gemeinsam feiern. So steht am Donnerstag oft der gemeinsame Wochenausklang als ein kleines Highlight der Woche. Überdrüssig sind wir jedenfalls noch lange nicht.

Matthias Staubach: Ja, unsere Augen leuchten noch. Es ist ja auch so: Genauso wenig, wie wir über Nacht die 4-Tage-Woche eingeführt haben, stehen wir nun vor einem starren Konstrukt. Wir sind natürlich immer noch dabei, die Rundungen zu feilen. Das geschieht im fortwährenden Austausch und Dialog mit dem Team. Für Gewöhnung hatten wir noch keine Zeit.

Vor- und Nachteile der 4-Tage-Woche

G+L: Wo sehen Sie die größten Vor- und Nachteile der 4-Tage-Woche?

Matthias Staubach: Der Zugewinn an freier Zeit ist ein unbedingter Vorteil. Mit der 4-Tage-Woche leisten wir einen relevanten Beitrag zur Work-Life-Balance unseres Teams. Es bleibt mehr Zeit zur Regeneration und Selbstverwirklichung abseits des Büros, die im besten Fall auch wieder dem Büro zu Gute kommt. Nicht zuletzt glauben wir an einen langfristigen Effekt auf die Gesundheit. Insgesamt ergibt sich ja auch ein geringeres Potenzial für Überstunden. Der 4-Tage-Woche zum Opfer gefallen hingegen ist unsere Idee der Freitags-Bar, aber wahrscheinlich auch dies mit einem langfristigen Effekt auf die Gesundheit.

Tancredi Capatti: Was wir nicht wollen, sind ausgebrannte Mitarbeiter*innen, sondern ein Team, das für die Sache brennt. Jedes Feuer braucht Luft zum Atmen und die 4-Tage-Woche verschafft uns diese Luft.  Auf der anderen Seite arbeiten wir in einer Branche, wo händeringend nach qualifizierter Unterstützung gesucht wird. Mit der 4-Tage-Woche leisten wir diesem Bedarf noch ein Stück weit Vorschub. Umso mehr glauben wir, nicht ganz uneigennützig, dass wir mit unserem Modell auch die Neugierde auf uns lenken können.

Tipp für Büros: Einfach mal anfangen.

G+L: Was würden Sie anderen Büros raten, die diesen Schritt wagen möchten?

Tancredi Capatti: Stark organisieren, gut vorbereiten und noch mehr aufbauen auf Standards und definierten Abläufen. Wir selbst hatten und haben eine lange Beta-Phase der 4-Tage-Woche. Im Vorfeld hätten man sicherlich noch intensiver Vorausdenken können, um etwaige Unstimmigkeiten vorwegzunehmen. Zudem bedarf es ein hohes Maß an Kommunikation: Ohne einen offenen, transparenten Dialog im Team geht es nicht. Dafür sollte man sich die Zeit nehmen.

Matthias Staubach: Andererseits anfangen. Schön ist alle Theorie, doch erst die Praxis beweist, ob es funktioniert. Klar, sollte man die Konditionen vorab für alle geklärt haben. Doch Prozesse, die bis dahin nicht optimal waren, fliegen einem in der 4-Tage-Woche vielleicht um die Ohren. Wir arbeiten täglich daran, besser zu werden.

Sie haben mehr Interesse an der Arbeit von capattistaubach urbane landschaften? In der G+L 10/21 stellen wir ein Projekt des Büros vor: den Dachgarten auf dem geplanten AERA-Bürogebäude in Berlin. Hier finden Sie die Ausgabe bei uns im Shop.

Außerdem eventuell auch interessant: Wie das Landschaftsarchitekturbüro Horeis + Blatt die Work-Life-Balance seiner Mitarbeitenden fördert, erfahren Sie hier im Interview.

Und apropos Gehalt: Haben Sie schon den Brutto-Netto-Rechner für Architekten bei New Monday entdeckt?

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