Mit „Jernbanebyen“ entsteht auf einem alten Bahngelände in Kopenhagen ein neues großes grünes innerstädtisches Viertel. 5 000 bis 10 000 Menschen sollen in dem supergrünen und autofreien Stadtteil künftig leben. COBE architects liefern dazu den Masterplan. Alles zum Projekt lesen Sie hier.
Mehr Wohnraum und mehr Grün in Kopenhagen
Auch Kopenhagen leidet unter Wachstumsschmerzen. In den letzten zehn Jahren gewann die dänische Hauptstadt 100 000 Einwohner*innen hinzu. Das entspricht folglich einem Wachstum von 19 Prozent. Prognosen sagen bis 2031 eine erneute Zuwanderung von 100 000 neuen Kopenhagener*innen voraus. (Zum Thema Flächendruck empfehlen wir die G+L 04/21 „Städtewachstum“.)
Gleichzeitig entstand in den letzten Jahren weniger Wohnfläche, als nötig gewesen wäre. Als Reaktion darauf explodierten, wie in vielen europäischen Städten, auch in Kopenhagen die Preise auf dem Immobilienmarkt. Dadurch stehen immer weniger Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf zu Verfügung.
Mit dem neuen Stadtentwicklungsplan kp19 will die Stadt dieses Problem angehen. Der Plan gibt der Stadt die Richtung über zwölf Jahre vor und will für die 100 000 prognostizierten Neuankömmlinge Raum schaffen. Konkret hat sich die Stadt vorgenommen, Raum für 60 000 neue Häuser zu sichern. Außerdem sollen 20 Prozent des Kopenhagener Wohnraums aus gemeinnützigen Wohnungen bestehen. Für neu gebauten Wohnraum liegt das Ziel noch höher, bei 25 Prozent.
Kopenhagens neuer Bezirk Jernbanebyen
Die Stadt möchte zudem sicherstellen, dass vielfältiger Wohnraum entsteht: für Junge, für Familien mit und ohne Kinder, Single-Haushalte, Senior*innen und sozial benachteiligte Menschen sowie für Menschen mit Beeinträchtigung.
Parallel zum neuen Wohnraum plant die Stadt, auch Freiräume zu entwickeln. Mit mehr Grün möchte Kopenhagen einerseits die Lebensqualität ihrer Bewohner*innen steigern, aber auch einen Beitrag zur Biodiversität leisten. Gleichzeitig spielen Grünräume ebenso eine wichtige Rolle in Kopenhagens Ambitionen, bis 2025 komplett CO2-neutral zu sein.
Dafür geht Kopenhagen seine Flächenreserven an. So etwa den stillgelegten Neuen Güterbahnhof, einer der letzten unbebauten Industriestandorte in der Innenstadt Kopenhagens. Dieser war im Jahr 2000, nach 99 Jahren Betrieb, stillgelegt worden, als die dänische Bahn DSB ihren Güterverkehr einstellte. Ab 2009 begann die DSB schließlich, verlassene Eisenbahngebäude an Bürogemeinschaften, Unternehmen und Kreative zu vermieten. Das Gebiet umfasst eine Gesamtfläche von etwa 555 000 Quadratmetern, rund 175 000 werden von der dänischen Bahn immer noch genutzt.
Jernbanebyen: der grünste Stadtteil Kopenhagens?
Gemeinsam mit der staatseigenen Immobilienentwicklerin Freja Ejendomme möchte die dänische Bahn nun einen Teil des Gebiets zum Stadtbezirk Jernbanebyen (zu Deutsch: Eisenbahnstadt) weiterentwickeln. Mit der Verabschiedung des Stadtentwicklungsplan kp19 steht dieser Entwicklung nun nichts mehr im Weg. Im November 2020 schrieben die beiden Grundstückeigentümerinnen DSB und Freja Ejendomme einen Masterplanwettbewerb aus. Fünf interdisziplinäre Teams beteiligten sich daran, darunter Snøhetta, BIG und SLA, Vandkunsten und Holscher Nordberg, WERK Arkitekter sowie COBE. Sämtliche Teams kommen aus Kopenhagen und erhielten für die Teilnahme ein Honorar in Höhe von 600 000 Dänische Kronen. Der Betrag entspricht etwa 80 700 Euro.
Mit ihrem Masterplan für ein grünes Stadtviertel konnten COBE Architects die Grundeigentümerinnen DSB und Freja Ejendomme überzeugen.
Fünf Strategien für Jernbanebyen
Sie lieferten einen ehrgeizigen Entwurf: Jernbanebyen soll der grünste Stadtteil Kopenhagens werden. Der Bezirk soll autofrei, grün, gesund, nachhaltig, klimabewusst sowie innovativ sein. Gleichzeitig wollte COBE einen robusten, flexiblen und vor allem umsetzbaren Masterplan liefern.
Dafür beginnen die Planer*innen von COBE mit den Grünräumen. Diese sollen die Aufteilung und Abgrenzung der Stadtteile bestimmen.
Zwischen die grünen Freiflächen weben sie die Infrastruktur: grüne Straßen, Gassen und Verbindungen, die im autofreien Jernbanebyen ganz auf Radfahrer*innen und Fußgänger*innen ausgelegt sind. Dafür schafft COBE einen eigenen Begriff: Infranatur.
Zwischen die Grünräumen und die Infranatur setzt COBE punktuelle und lokale Lösungen („Perlen“), um Lärmmanagement zu betreiben. Diese Perlen können Spaliers von grünen Fassaden sein, transparenten Screens, Wohngebäude mit lärmgeschützten Fluren, strategisch günstig gelegenen Parkplätzen und Gewerbegebäuden und mehr.
Der Bezirk wird sich in sechs Quartiere aufteilen, die durch die Grünräume begrenzt werden. Sie sollen sich individuell entwickeln lassen und einen eigenen Charakter haben. So lässt sich Jernbanebyen in einzelnen Etappen fertigstellen. Gleichzeitig spricht der Bezirk unterschiedliche Bevölkerungsgruppen an.
Außerdem ehrt der Masterplan die Geschichte der ehemaligen industriellen Produktionsstätte: COBE sieht vor, dass in Jernbanebyen Produkte entwickelt, produziert und lokal verkauft werden. Die historischen und denkmalgeschützten Werkstätten werden in Standorte für Kreativunternehmen und Start-ups transformiert.
Wohntürme ermöglichen größere Grünflächen
Als Kernthema sieht COBE die Anbindung an die umliegenden Quartiere. Nur wenn diese gelingt, ist Jernbanebyen als Teil von Kopenhagen erfolgreich. Sie soll über ein grünes Delta erfolgen, das sich in die Umliegenden Viertel erstreckt.
Der Masterplan von COBE stellt Grünräume an die Spitze der Stadtteilhierarchie. Sie sollen die Quartiere gliedern und vereinen. Um den Grünanteil möglichst hoch zu halten, plant COBE im östlichen Teil von Jernbanebyen fünf Wohntürme mit einer Höhe von 40 bis 70 Metern. Sie tragen dazu bei, die Dichte zu senken. Allgemein sollen im Bezirk viele verschiedene Wohntypologien zu finden sein: von Reihenhäusern, Stadthäusern, Hochhäusern über Langhäuser, Anbauten sowie Umgestaltungen von bestehenden Gebäuden. Deren Standorte sind aber noch nicht exakt definiert, um die Flexibilität und Machbarkeit des Masterplans zu gewährleisten.
Erster Spatenstich für Jernbanebyen in 2022/2023
Mit der Entwicklung eines stillgelegten Güterbahnhofs reiht sich Kopenhagen in eine lange Reihe europäischer Städte ein. So entwickelte etwa Basel in den letzten Jahren das Erlenmattquartier (mehr dazu in der G+L 09/2020) oder Paris das Modellquartier Ordener-Poissonniers (wir berichteten in der G+L 04/2021). Nachdem der Masterplanwettbewerb nun abgeschlossen ist, steht als nächstes die Erstellung des Gesamt- und des Ortsplans an. Der erste Spatenstich soll 2022/2023 erfolgen.
Mehr zu Dänischer Planung lesen Sie in der G+L 02/21: Dänemark.