Cornelia Hahn Oberlander: ein Vorbild
Cornelia – immer zwei Schritte voraus! Cornelia Hahn Oberlander verstarb Ende Mai 2021 im Alter von 99 Jahren – einen Monat vor ihrem 100 Geburtstag. Die kanadische Landschaftsarchitektin mit deutschen Wurzeln galt als „Grande Dame der Landschaftsarchitektur“. Ein Nachruf.
Nur einen Monat vor ihrem 100 verstarb Cornelia Hahn Oberlander am 22. Mai 2021 in Vancouver im Alter von 99 Jahren. Diejenigen, die sie liebevoll bei ihrem Vornamen nannten, drückten damit ihren immensen Respekt für das aus, was sie als weltbekannte Landschaftsarchitektin erreicht hat. Zugleich würdigten die Menschen um sie stets ihre Großzügigkeit, ihr Interesse daran, Menschen zu treffen und zu verbinden und ihre Fähigkeit ihren Reichtum an Wissen mit anderen zu teilen.
Cornelia Hahn Oberlander war über 70 Jahre lang eine der wichtigsten Persönlichkeiten der internationalen Landschaftsarchitektur. Sie wurde in Harvard von einigen der angesehensten Planer*innen des 20. Jahrhunderts ausgebildet – darunter Walter Gropius. Nach ihrem Abschluss lernte sie bei den Meistern der Landschaftsarchitektur, James Rose und Dan Kiley. Als sechste Frau, die in Harvard Landschaftsarchitektur studierte, ebnete Cornelia Hahn Oberlander den Weg für zahlreiche Frauen der Profession. Sie ging als Vorbild voran, vermittelte Selbstvertrauen und Unterstützung für Frauen in einem Beruf, der bis dahin noch von Männern dominiert war.
Stets ihrer Zeit voraus
Cornelia Hahn Oberlander war eine Landschaftsarchitektin, die in Gestaltungsprozessen höchste Standards vorlebte. Sie recherchierte entsprechend jedes Projekt sorgfältig. Wie und mit welcher Strenge kann man in Susan Herringtons Buch „Cornelia Hahn Oberlander: Making the Modern Landscape“ nachlesen. Sie war dem aktuellen Diskurs stets zwei Schritte voraus, beschäftigte sich Mitte des 20. Jahrhunderts bereits mit Partizipationsprozessen bei der Gestaltung von Wohnaußenbereichen, entwickelte unterschiedliche Matrizes, also Bewertungskriterien für Spielplatzprogramme, damit Spielplätze durch Designelemente und sanfte Bodenmodellierung und Geländeeinstufungen für Kinder und Eltern gleichermaßen ansprechender wurden.
Einsatz für indigene Völker
Bei der Gestaltung des UBC Anthropology Museums in den späten 1970er-Jahren diskutierte sie zusammen mit dem Architekten Arthur Erickson die Anerkennung und respektvolle bauliche Integration der Traditionen der First Nations, der Nord-Amerikanischen Ureinwohner. Gemeinsam gingen beide Planer*innen sowohl in der Form des Baukörpers als auch in der Pflanzenverwendung auf die Traditionen der indigenen Völker in Kanada ein. Cornelia Hahn Oberlander brachte allen voran mit heimischen Pflanzen in einer sanft abgestuften Landschaft damit die Heilung des Landes zum Ausdruck.
Beispielsloses Gestaltungstalent
In den letzten Jahren arbeitete Cornelia Hahn Oberlander viel im Nordwesten Kanadas. Sie wurde dort von indigenen Völkern eingeladen, Landschaften für Schulen und öffentliche Gebäude zu gestalten. Hier integrierte sie landschaftsarchitektonische Interventionen, die umsichtig auf das lokale Klima, den Klimawandel und die Menschen reagieren. In Gesprächen mit ihr drückte sie stets ihre tiefe Zuneigung und Dankbarkeit gegenüber den „Northwest Territories“ und ihrer Arbeit dort aus. Cornelias sensibles Gestaltungstalent, das sie immer wieder auf allen Maßstabsebenen bewies, ihr Verständnis für das Lokale und die Menschen vor Ort, sind bislang beispielslos. Zudem galt Cornelia Hahn Oberlander im Rahmen ihrer 70-jährigen Karriere stets als Vorreiterin der zeitgenössischen und zukunftsorientierten Planung.
Cornelia Hahn Oberlander im Zentrum bahnbrechender Projekte
Cornelia Hahn Oberlander erhielt sämtliche prestigeträchtigen Preise und Auszeichnungen, die es auf lokaler, nationaler und globaler Ebene gibt, um Landschaftsarchitekt*innen zu ehren. Sie verfügte über viele Ehrendoktortitel, sowie die höchsten zivilen Auszeichnungen von Kanada, British Columbia und kürzlich den selten verliehenen „Freedom of the City Award“ von Vancouver. Sie arbeitete außerdem mit einigen der prominentesten Architekt*innen dieses und des letzten Jahrhunderts zusammen. Zudem war sie für zahlreiche bahnbrechende Projekte verantwortlich, darunter komplexe und zukunftsweisende Technologien im Bereich der Dachbegrünung, Spielplatzgestaltung, Gestaltung öffentlicher Freiflächen, Bepflanzungsgestaltung und insbesondere die Verwendung einheimischer Pflanzen.
Landschaftsarchitektur als ihr Vehikel
Abgesehen von ihren beeindruckenden Entwürfen war sie außerdem sehr großzügig mit ihrer Zeit für Studierende, Fachleute und Forscher*innen. Noch bis vor kurzem teilte Cornelia ihre Weisheit mit unseren UBC-Studenten. Sie erläuterte ihre Projekte vor Ort, schaute bei Studiobesprechungen vorbei und ermutigte die Student*innen mit ihren konstruktiven Kritiken. Cornelia Hahn Oberlander besuchte die meisten der an der School of Architecture and Landscape Architecture angebotenen Fachvorträge und präsentierte ihre Projekte in Vorlesungen unseren Studierenden. Cornelia lebte die Landschaftsarchitektur. Landschaftsarchitektur war schließlich ihr Vehikel, um sich zu verbinden, Leidenschaft zu wecken, Gespräche anzustoßen und auch politischen Aktivismus zu initiieren, um Natur und Umwelt und Menschen in Kanada und weltweit zu schützen.
Starke und inspirierende Persönlichkeit
Cornelia floh mit ihrer Mutter und ihrer Schwester zwei Wochen nach der „Reichskristallnacht“ aus Nazi-Deutschland. Dies war eine Erfahrung, die stets tief in ihrem Bewusstsein verwurzelt war. In zahlreichen Gesprächen sprachen wir über die Ereignisse. Ich bin selbst Deutsch-Kanadier und entsprechend für das Thema sensibilisiert. Ich empfand Demut als ich hörte, wie sehr sie die deutsche Kultur, Sprache und Verbundenheit am Leben hielt, obwohl ihre Familie aus dem Land fliehen musste. Wir genossen es, immer wieder Deutsch zu sprechen und teilten zudem den Humor der deutschen Sprache.
Ihre Weisheit muss weitergegeben werden
Cornelia strahlte Positivität aus. Sie begeisterte zudem jeden, der ihr begegnete, für Landschaftsarchitektur, Geschichte, die Umwelt, aber vor allem dafür, wie Menschen sich mit der Umwelt auseinandersetzen können. Jedes Mal, wenn ich also ihr Haus verließ, oder nachdem wir zusammen zu Abend gegessen hatten, oder sie an meinen Festen teilnahm oder wir in ihrem Garten saßen und die Pflanzen und die sanften Bodenmodenmodellierungen ihres Gartens genossen (sie sagte immer: „Bodenmodellierung ist wichtiger als das Pflanzen“ und ich stimmte zu), ging ich gestärkt und inspiriert. Mit ihr zusammen zu sein, zuzuhören, zu beobachten und zu lernen war folglich ein Geschenk, das sich nicht leicht in Worte fassen lässt. Cornelias Geschenk an uns alle ist ihre Liebe zur Landschaftsarchitektur. Es ist also unsere Pflicht, ihre Weisheit an die kommenden Generationen von Landschaftsarchitekt*innen und darüber hinaus weiterzugeben.
Mehr zu Daniel Roehr und Cornelia Hahn Oberländer hier bei den Kolleg*innen von topos magazine.