01.09.2021

Aktuelles

Der Garten im 21. Jahrhundert

Private Gärten sind wichtigen Zufluchtsorten und Naturoasen.
Durch die besondere Lage in der Covid-19-Pandemie sind private Gärten zu wichtigen Zufluchtsorten und Naturoasen geworden. Foto: Kreuzschnabel

Der Garten ist in der Krise

Seit es ihn gibt, ist der Garten ein Symbol für Fruchtbarkeit und Lustgewinn. Historische Prachtgärten und repräsentative Hausgärten zeugen von den geordneten Bahnen, in denen der Mensch die Natur zu lenken vermag und erfreuen die Sinne. Ein moderner Garten muss überdies noch weitaus wichtigere Dinge leisten. Der wahrscheinlich bedeutendste Beitrag des Gartens unserer Zeit ist der zum Erhalt der Artenvielfalt.

Seit tausenden Jahren gehen aus den Zivilisationen dieser Welt Gärten hervor; manche als Lustgärten zur Bespaßung der Reichen und Mächtigen, andere als religiöse Orte der Spiritualität, wieder andere als Privatrefugien der einfachen Bürger*innen. Vermutlich schon vor über 12 000 Jahren begann der Mensch damit, Naturräume abzustecken, machte sich so eine frühe Form des Gartens zu eigen und legte damit auch den Grundstein für die Entwicklung der heutigen Gartenkunst und Landschaftsarchitektur.

In ihrer Funktion als Erholungsort gewannen Gärten in Deutschland durch die Covid-19-Pandemie an ungeahnter Bedeutung. Durch Lockdowns und Reisebeschränkungen wurden private Gärten – noch viel mehr, als sie es schon immer waren – zu Zufluchtsorten von Homeoffice-Geplagten und Leidtragenden von Ausgangssperren. Glücklich schätzte sich, wer sich während des Höhepunktes der Krise wenigstens noch im eigenen Garten bewegen und beschäftigen konnte.

Private Gärten sind wichtigen Zufluchtsorten und Naturoasen.
Durch die besondere Lage in der Covid-19-Pandemie sind private Gärten zu wichtigen Zufluchtsorten und Naturoasen geworden. Foto: Kreuzschnabel, CC BY-SA 3.0

Bedrohte Arten finden immer weniger Rückzugsflächen

Das zeigte sich auch in den Umsätzen von Gartenartikeln im Krisenjahr 2020. Hier flossen Reisebudgets in die Gartengestaltung, die Menschen deckten sich mit Gartenmöbeln, Grills, Pools und Pflanzen ein. Lagen die Umsatzzuwächse der Branche in den Jahren zuvor noch bei durchschnittlich einem Prozent, konnten sich Baumärkte und Gartencenter 2020 über ein Garten-Umsatzplus von satten 9,4 Prozent freuen.

Doch auch öffentliche Garten- und Grünanlagen wurden während der Pandemie zu begehrten Zielen für den kleinen Urlaub vor der Haustüre. Längst ist die Wichtigkeit urbanen Grüns – wie Sie sicher wissen und unter anderem bei uns in vielen Artikeln lesen können – auch in der Stadtplanung angekommen. Größere Neubauprojekte kommen heute kaum mehr ohne Dachgärten und andere Begrünungskonzepte aus. Städte wie Wien beispielsweise fragen ihre Bürger*innenschaft immer öfter nach Ideen, um die vorhandene Bebauung begrünen zu können. (Hier erfahren Sie mehr zu #wienbegrünen.)

Nicht nur im Sinne einer klimaresilienten Stadt kommt dem urbanen Garten heute eine wichtige Mehrfachaufgabe zu. Er bietet den Besucher*innen und Nutzer*innen einen schattigen und kühlen Ort in der aufgeheizten Stadt und dient bei Regen als Versickerungsfläche. Er kann aber auch Tier- und Pflanzenarten beherbergen, die nicht unbedingt nur Kulturfolge*innenr sind.

Verschiedene Arten kommen besser mit den Einflüssen des Menschen auf ihre Umwelt klar, als andere – sie nennt man Kulturfolger*innen. Ein klassisches Beispiel für eine urbane Kulturfolgerin ist die Stadttaube. Sie findet sich gut in den Bebauungen des Menschen zurecht. In den Städten profitiert die Stadttaube von ausreichend Nahrung und Nistmöglichkeiten und sucht sogar die Nähe zu menschlichen Siedlungen. Igel, Feldhase und Küchenschabe sind drei weitere Beispiele für kulturfolgende, wildlebende Tierarten in Deutschland.

11 000 Arten in Deutschland bestandsgefährdet

Andere Arten kommen nicht so gut mit den Auswirkungen des Menschen auf die Natur zurecht. Das wird beim Blick auf die immer länger werdenden Roten Listen der gefährdeten Arten in Deutschland deutlich. Von den mehr als 32 000 bewerteten heimischen Tier-, Pflanzen- und Pilzarten sind fast 11 000 in ihrem Bestand gefährdet. Weitere fünf Prozent sind bereits ausgestorben.

Im Gegensatz zu anderen Lebewesen ist die Dunkle Erdhummel nicht bestandsgefährdet. Foto: Holger Uwe Schmitt, CC BY-SA 4.0

Der deutsche Garten: schon heute ein Refugium der Biodiversität

Selbst innerhalb einer einzigen Tiergattung gibt es unter Umständen Arten, die verschieden gut mit menschlichen Einflüssen umgehen können. Ein Beispiel für eine solche Gattung sind die Hummeln. Die Dunkle Erdhummel ist die wohl bekannteste der Hummelarten mit ihren typischen gelben Streifen und dem weißen Hinterleib. Als polylektische Ubiquistin nimmt sie mit einem breiten Angebot an Nahrungspflanzen vorlieb und stellt keine hohen Ansprüche an ihre Nistplätze. Sie nistet auf Wiesen ebenso wie an Wegesrändern, in Gärten, Parks und auch Scheunen und Schuppen. Ihr Bestand ist durch den Menschen nicht gefährdet. Im Gegenteil: Der Mensch nutzt ihre Bestäubungsdienste sogar kommerziell.

Andere Hummelarten meiden Kultur- und Urbanflächen jedoch. Die Eisenhuthummel zum Beispiel fliegt fast ausschließlich die Blüten des Gelben und Blauen Eisenhuts an. So ist diese auch nur noch in der Nähe größerer Eisenhutvorkommen in den Alpen zu finden.

Der Einfluss des Menschen fördert demnach gewisse Arten, während er andere benachteiligt. Was die langfristigen Folgen einer solchen Umgewichtung sind, kann heute noch niemand absehen. Die gute Nachricht ist aber: In deutschen Gärten findet die Artenvielfalt offenbar ein Rückzugsgebiet.

Bereits 2008 kam der Bundesverband Deutscher Gartenfreunde e.V. (BDG) in einer Studie zur Biodiversität der Kulturpflanzen in deutschen Kleingärten zu der Erkenntnis, dass die Pflanzenvielfalt in Kleingärten signifikant höher ist, als in anderen Flächen. In den 83 untersuchten Standorten wurden insgesamt 2094 Pflanzenarten gefunden, davon 253 Arten, die der menschlichen Ernährung dienen. Nach Einschätzung der Urheber*innen der Studie übertreffen sie damit andere urbane Grünräume wie Stadtparks deutlich in ihrer Biodiversität.

Über 80 Prozent der deutschen Fläche ist aus Sicht der Biodiversität relativ verarmt und bietet nur noch angepassten Kulturfolgern eine Lebensgrundlage. Foto: Rosa-Maria Rinkl, CC BY-SA 4.0

Krefelder Studie bescheinigt Insektensterben

Das erscheint umso wichtiger, als dass die Fläche der Gärten in Deutschland im Vergleich zu anderen Flächen fast verschwindet gering erscheint. Auf etwa 2 Prozent der bundesweit zur Verfügung stehenden 357 581 Quadratkilometer wird die Fläche der Gärten inklusive der Kleingärten geschätzt. Demgegenüber stehen über 50 Prozent, die landwirtschaftliche Flächen ausmachen, sowie mehr als 30 Prozent Wälder, die zum größten Teil forstwirtschaftlich genutzt werden. Diese über 80 Prozent der deutschen Fläche ist aus Sicht der Biodiversität relativ verarmt und bietet nur noch angepassten Kulturfolger*innen eine Lebensgrundlage. Und das scheint seit etwa dreißig Jahren ein immer größeres Problem für die Insekten in Deutschland zu werden.

Der Entomologische Verein Krefeld hat 2017 mit einer weltweit aufsehenerregenden Studie den dramatischen Rückgang von Fluginsekten in Zahlen gegossen und somit greifbar gemacht. Falls Sie sich nicht mehr ganz daran erinnern können, hier nochmal das Ergebnis in Kurzfassung: Zwischen 1989 und 2016 ist die Biomasse an Fluginsekten in 63 deutschen Naturschutzgebieten um mehr als 75 Prozent zurück gegangen. Lassen Sie sich das einmal für einen Moment auf der Zunge zergehen: Offenbar hat es der Mensch also hingekriegt, in nicht einmal 30 Jahren drei Viertel aller fliegenden Insekten, also Bienen, Wespen, Käfer, Fliegen, Mücken, Schmetterlinge und andere, auszumerzen.

Zwar weisen die Autor*innen der “Krefelder Studie” selbst darauf hin, dass die zugrundeliegenden Methoden in Ihrer Aussagekraft begrenzt sind, zwischenzeitlich herausgekommene Übersichtsstudien (zum Beispiel die von Francisco Sánchez-Bayo, 2019zeigen aber einen klaren Trend für die Anzahl der Insekten auf der Erde. Und der geht steil nach unten. Dieses stille Massensterben der Insekten hat nicht nur Auswirkungen auf die Bestäubung unserer Agrar- und Kulturpflanzen. Ganze Ökosysteme mit Wirbeltieren an der Spitze bauen auf das Vorhandensein von Insekten als Nahrungsquelle auf.

Der zeitgemäße Garten

Der zeitgemäße Garten leistet hiergegen einen Beitrag zur Biodiversität. Der Garten von heute kann und muss mithelfen, Gegenpole zur Monokultur zu schaffen und so das Artensterben zu verlangsamen. Idealerweise vereint er die Eigenschaften als Erholungs-, Natur- und Nutzraum gleichermaßen und lässt unnötigen Schnickschnack weg. Durch Naturnähe gewinnt er gleichzeitig an Attraktivität sowie an Erholungswert. Durch das Aufzeigen komplexer Zusammenhänge biologischen Gleichgewichts kann er außerdem als Lehrgarten dienen. Er bietet unter anderem magere Bereiche, die sich weitestgehend unkontrolliert entwickeln können und lässt der Natur großzügige Bereiche zur freien Entfaltung.

Pflanzen, die sowohl Pollen und Nektar als auch Früchte liefern, verleihen ihm einen weiteren Mehrfachnutzen. Dabei ist die Wahl der einheimischen Pflanzen so beschaffen, dass eine möglichst große Vielfalt entsteht und über die gesamte Saison Blüten im Garten zur Verfügung stehen. Die Bepflanzung mit Neophyten wird in ihm vermieden. Zeitgemäße Gärtner*innen lassen auch sogenannten Schädlingen wie Blattläusen Raum, denn sie wissen, dass sich ohne sie auch keine Population von Nützlingen einstellen kann. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist im zeitgemäßen Garten minimal und erfolgt, nur wenn unbedingt nötig, auf biologischer Basis. Insektenhotels und stehengelassene Stängel bieten den Nützlingen im modernen Garten zahlreiche Nistgelegenheiten, während Smart Gardening helfen kann, Arbeit einzusparen und den Verbrauch von Wasser und Düngemitteln zu optimieren.

Obst nur noch für Reiche

„Wenn die Bienen verschwinden, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben; keine Bienen mehr, keine Pflanzen, keine Tiere, keine Menschen mehr.“ Dieses, oft fälschlicherweise Albert Einstein zugeschriebene, Zitat ist vielleicht nicht ganz richtig. Wenn es mit dem Untergang der Biodiversität aber so weitergeht wie bisher, werden die Folgen vermutlich dennoch drastisch werden. Obst und Gemüse gibt es dann vielleicht nur noch für Reiche, während manche Expert*innen Hungersnöte befürchten.

Es hat sich gezeigt, dass ein Teil der Artenvielfalt mittlerweile auf Grünräume wie Gärten angewiesen ist und dort einen der letzten Rückzugsräume findet. Es liegt an uns, wie weit wir einer vielfältigen Natur in der Gestaltung unserer Gärten entgegenkommen wollen. In unserem besten Interesse läge es jedenfalls.

Die Landesgartenschau Neuenburg 2022 möchte die Verbindung zwischen der Stadt um dem Fluss Rhein stärken. Mit welchem Konzept das gelingt lesen Sie bei uns.

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