09.01.2023

Gesellschaft

Günter Beltzig und die Normen des Spielens

Günter Beltzig ist Ende Dezember 2022 verstorben. Der Industriedesigner beeinflusste maßgeblich Spielplatzgestaltung, Spielgerätenormen und schärfte mitunter das Verständnis von behindertengerechten Spielen sowie Kinderästhetik. Sein Stuhl „Floris“ findet sich im Moma New York und auf den Wunschlisten von Sammler*innen. Ein Nachruf


Der Designer Günter Beltzig mit 81 Jahren verstorben

Sie finden sich allerorts, egal ob in der Großstadt oder der ländlichen Gemeinde. Spielplätze, die der Fantasie eher hinderlich statt förderlich sind. Sie nutzen die ewig gleichen Standardelemente. Und verschenken damit die Chance, den Kleinsten eine angemessen lebhafte Umgebung für ihren jungen Entdecker*innengeist zu geben. Dabei sollte gerade hier der Vorsatz Günter Beltzigs gelten. „Keiner ist zu klein für gutes Design.“, sprach er einst und hielt sich zeit seines Lebens daran. Beltzig war Spielplatzdesigner. Er war Erfinder. Und Visionär. Wo andere den Normen folgten, überwand er diese. Und setzte mit seinen Ideen neue Standards. Am 26. Dezember des vergangene Jahres ist er mit 81 Jahren verstorben. Sein Werk bleibt für die Nachwelt erhalten. Der Weg, der ihn zu einem der bedeutendsten Designer der Branche machte, war nicht von Beginn an vorgezeichnet.


Vom Schlosser zum Designer

Geboren am 25. Juli 1941 in Wuppertal, begann Günter Beltzig seinen Werdegang mit einer Schlosserlehre. Im Anschluss absolvierte er den Studiengang Industriedesign an der Werkkunstschule Wuppertal mit Diplom. Seine erste Beschäftigung ab 1966 bei der Siemens AG in München, schien seiner Kreativität nicht gerecht zu werden. So gründete er gemeinsam mit seinen Brüdern zeitgleich eine eigene Kunststofffirma „Brüder Beltzig Design“. Sie entwickelten Inneneinrichtung und ausgefallene Stühle, teils Spielmöbel. Der größte Coup der Firma: der Floris-Stuhl. Rein aus ergonomischen Gründen entwickelte Beltzig 1968 dieses Sitzmöbel. Es scheint halb Gebrauchsgegenstand und halb Skulptur. Und es erhöhte den Bekanntheitsgrad der Firma „Beltzig Design“ schlagartig. Noch heute steht ein Exemplar im Museum of Modern Art in New York. Unter Sammler*innen ist er weltweit begehrt. Mit der Möbelserie endete Beltzigs Arbeit nicht. Sie veränderte sich jedoch ab den 80er Jahren.


Zwischen MOMA und Spielplatz

Die entscheidende Wendung nahm sein Werk im Jahre 1977. Damals kam es zu einer ersten Zusammenarbeit mit der Firma Richter Spielgeräte GmbH. Für ein Gutachten war diese an ihn herangetreten – und weckte im jungen Günter Beltzig die Leidenschaft für das Spielplatzdesign. Er arbeitete vermehrt als Berater und begann schließlich selbst, Spielmöbel zu entwickeln. Die Belange der Kinder waren für ihn stets wichtig und notwendig.


Beltzig und Richter Spielgeräte – Gemeinsame Projekte

Tulsa Gathering Place

Der Spielpark in Tulsa, Oklahoma ist das bislang größte Projekt bei Richter Spielgeräte und das größte, an dem Günter Beltzig mitgearbeitet hat. Nach seinem Entwurf entstanden die Türme und Hängebrücken sowie große Teile des Wasserspielplatzes.

Foto: © Daniel Perales

Von Fehlern bei der Spielplatzgestaltung

Der traditionelle Spielplatz war für ihn „rausgeschmissenes Geld“. Um den Bedürfnissen der Kinder auf die Spur zu kommen, bediente er sich ethnologischer Forschungsmethoden. Durch genaues Beobachten und die direkte Auseinandersetzung mit den Nutzer*innen selbst, versuchte er stets zu erspüren, was für den Ort eine angemessene gestalterische Antwort wäre. Ein Patentrezept für einen guten Spielplatz wollte er nie geben. „Wenn Sie mich fragen, wie ein mustergültiger Spielplatz aussieht, ich wüsste keinen. Aber ich weiß, was man alles falsch machen kann.“ Viel zu oft ähnelten Spielplätze „Kinderbewahranstalten“, sagte er einmal. Durch Standardspielgeräte sei Langeweile vorprogrammiert. Auch durch den Wunsch mancher Eltern nach Kontrolle und Übersichtlichkeit würde die Gestaltung eingeschränkt. Beltzigs Spielplätze sind keine unsicheren Orte. Er legte stets großen Wert auf Sicherheit und Ergonomie. Dabei gelang es ihm jedoch, etwas Geheimnisvolles zu bewahren, das entdeckt werden konnte. Auch Rückzugsorte spielen eine wichtige Rolle. Und die Möglichkeit selbst gestalterisch tätig zu werden.


Vision einer kindgerechten Welt

Ironischerweise war Beltzigs Vision eine, die seinen eigenen Berufsstand abgeschafft hätte. Er hielt an der Erkenntnis fest, dass der öffentliche Spielplatz eigentlich hinfällig sei, wäre die gesamte Umwelt kindgerechter gestaltet. „Der öffentliche Spielplatz ist eigentlich eine Krücke, die wir wegschmeißen könnten, wenn wir eine kindgerechtere Welt hätten.“, betonte er. Der Spielplatzbau unterliegt strengen Auflagen und die Ausstattung muss bestimmten Sicherheitsvorschriften genügen. Deshalb wandelt sich die Planungsbranche in dieser Hinsicht nur langsam. Umso bedeutsamer ist Beltzigs Werk, das sich innerhalb der sicherheitstechnischen Normen bewegt und gleichzeitig vieles anders als gewohnt macht. Man sieht seinen Projekten an, mit welcher Ernsthaftigkeit er das Thema betrachtete. Für ihn war der Spielplatz ein hochkomplexer sozialer Funktionsraum. Und diesen wollte er einer möglichst diversen Gruppe eröffnen. So vertiefte sich Beltzig auch in die Konzeption behindertengerechter Spielflächen. Er veröffentliche außerdem mehrere Bücher, war an der Erarbeitung von Spielgerätenormen beteiligt und lehrte zu seinen Themen an zwei Fachhochschulen.

Video: Impressionen über die Person Beltzig und seine Ansichten vermittelt ein Mitschnitt des Bayrischen Rundfunks von 2008.


An Grenzen gehen

Günter Beltzigs starke Stimme wird in der Branche fehlen. Das Spielen war für ihn das Ausprobieren aller Möglichkeiten. Es bedeutete an Grenzen zu gehen. Weiterhin alle Arten von Erfahrungen zu sammeln. Und aus diesen zu lernen. Es handelt sich demnach nicht allein um eine Aktivität, die Kindern eigen ist. Sondern um Prozesse, die alle Menschen täglich erleben – nur eben auf verschiedene Arten. Eine Auseinandersetzung mit dem Spiel ist demnach nicht nur von gestalterischer, sondern auch von gesellschaftlicher Relevanz. Günter Beltzig hat dies sein Leben lang beherzigt. Einst erklärte er seine eigene Motivation und die seiner Frau mit den Worten: „Wir wollten die Welt verbessern und haben gedacht: Fangen wir doch mit den Kindern an.“ Dies ist ihm in zahlreichen Fällen gelungen.

 

Mehr zu inklusiven Spielräumen lesen Sie in unserer Märzausgabe 2021.

 

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