22.09.2020

Projekt

„Wir dürfen Bahnhöfe nicht allein als Ein- und Aussteigerort begreifen.“


„Bahnhöfe sollten größere oder kleinere Dienstleistungszentren mit Angeboten sein, die über die Funktion als Haltepunkt hinausgehen.“

Die Hochrheinstrecke ist die schnellste Schienenverbindung zwischen Basel (CH) und Schaffhausen (CH) und die einzige Schienenverbindung der deutschen Gemeinden entlang des Hochrheins. Jedoch ist sie heute nur mit Dieselzügen befahrbar. Das Projekt „Elektrifizierung der Hochrheinstrecke“, das von der IBA Basel 2020 labelisiert wurde, will das ändern und ist damit nicht nur aus verkehrlicher Sicht von grenzüberschreitender überregionaler Bedeutung. Die Elektrifizierung schafft den Lückenschluss zwischen Singen (D) und Basel (CH) und die Kompatibilität der Bahnsysteme. Sie ist Voraussetzung sowohl für die Durchbindung über das «Herzstück» nach Basel SBB als auch für den Knoten Waldshut (D) Richtung Zürich / Winterthur (CH). Wir haben uns mit Marion Dammann, Landrätin des Landkreises Lörrach, und Martin Kistler, Landrat des Landkreises Waldshut, über das Projekt unterhalten.

 

Bis 2027 soll die Elektrifizierung der Hochrheinstrecke umgesetzt sein. Marion Dammann, Martin Kistler, was wird sich dann ändern? Was sind Ihre Visionen?
Marion Dammann: Durch die Elektrifizierung wird in der Region am Hochrhein ein attraktives, grenzüberschreitendes Mobilitätsangebot für die Menschen beiderseits des Rheines realisiert werden. Hierzu ist es nötig, aus der aktuell bestehenden „Dieselinsel“ Hochrheinbahn eine attraktive und zukunftsfähige Strecke des Schienenpersonennahverkehrs in der Region zu schaffen, die die Zentren Basel, Lörrach, Rheinfelden, Bad Säckingen und Waldshut ideal miteinander verbindet. Durch die Elektrifizierung bieten sich für die verkehrliche Anbindung der Region künftig attraktive Möglichkeiten, wie etwa einer Durchbindung von Basel nach Konstanz oder St. Gallen, für die bislang Umstiege notwendig sind. Außerdem werden drei neue Haltepunkte eingerichtet, ohne dass die Fahrtzeit sich verlängert. Das Projekt gewinnt aber nicht nur in verkehrlicher Hinsicht. Die Gemeinden und die Deutsche Bahn haben die Chancen des Projektes erkannt und auch die Aufwertung der Haltestellen an der Strecke forciert. Teilweise soll in Kommunen mit Haltestellen langfristig das gesamte Bahnhofsumfeld aufgewertet und besser in die Ortsmitten eingebettet werden. Die Region wird dadurch an vielen Stellen ein neues, zeitgemäßes Gesicht erhalten.
Insgesamt soll, was in der Vergangenheit auf der Wiesentalstrecke Basel-Lörrach-Zell gelungen ist, jetzt auch für den Hochrhein erreicht werden: Ein besseres Verkehrsangebot, ein attraktiverer Schienenpersonennahverkehr, eine Aufwertung der Haltepunkte zu barrierefreien, modernen Mobilitätshubs und der Einsatz zeitgemäßer, zuverlässiger Fahrzeuge. Zusammengefasst wird die Region durch dieses Projekt schneller und besser erreichbar, attraktiver und dazu ausgestattet mit Zügen, die zuverlässig, zeitgemäß und zukunftsfähig sind.

Martin Kistler: Ich kann meiner Kollegin nur zustimmen: Mit der Elektrifizierung der Hochrheinstrecke werden wir eine neue Strecke mit bautechnischer und baulicher Infrastruktur (Bahnhöfe) und Qualität haben, die den Anforderungen eines attraktiven Nahverkehrs gerecht wird. Modernes Zugmaterial, Barrierefreiheit, eine enge Vertaktung, ein zuverlässiger und pünktlicher Verkehr und neue Durchbindungen werden die Bürgerinnen und Bürger diesseits und jenseits der Grenze vom Nahverkehr weiter überzeugen. Das wird sich in guten Nutzerzahlen zeigen. Ohne leistungsfähige Anbindungen geht es zukünftig außerhalb von Ballungsgebieten nicht mehr. Die schnelle und zuverlässige Anbindung, möglichst umweltfreundlich, an die Zentren ist der Standortfaktor der Zukunft. Gute Verbindungen führen auch dazu, dass der grenzüberschreitende Arbeitsmarkt eröffnet wird. Die Anbindung nach Basel, Schaffhausen und in den Schweizer Raum ist wichtig. Grenzlandkreise haben grundsätzlich bezogen auf den „Halbkreis“ ein national geringeres Entwicklungspotenzial. Wir begreifen die Grenze jedoch als Chance: Der Grenzraum muss über die Grenze nutzbar und durchlässig sein, die Region lebt und entwickelt sich ohne nationale Grenzen. Der Entwicklungsraum ist grenzüberschreitend zu verstehen. Auch die Schweiz hat ein immenses Interesse daran, dass diese deutsche Strecke und die gesamte Infrastruktur ertüchtigt wird. Sie bringt sich deshalb auch finanziell mit ein, es kommt auch den Nutzern aus der CH nach D und zwischen den Zentren zu Gute.

 

 

Sieben Bahnhöfe sollen sich im Zuge des IBA Basel Projekts zu attraktiven und lebendigen Bahnhofsquartieren unter anderem mit idealen Umstiegsbeziehungen vom Zug auf andere Verkehrsmittel mausern. Ganz schön ambitiös. Wo stehen wir hier aktuell?
Marion Dammann: Für die Landkreise stehen der Ausbau der Bahnsteige und die Elektrifizierung der Hochrheinbahn im Fokus. Das ist ein sehr spannendes Projekt mit vielen Beteiligten. Mehrfach überquert die Hochrheinbahn die Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz. Für Ingenieure und Planer, wie auch für uns als Finanzierende stellt dies eine Herausforderung dar. Getrennt behandelt wird die Arbeit am Bahnhofsumfeld. Hier liegen die Zuständigkeiten anders; die Planungshoheit der Gemeinden wird respektiert.
Als Folge einer IBA Hochschularbeit und auch aus der entsprechenden Arbeitsgruppe heraus setzt sich der Impuls des Projektes „Aktive Bahnhöfe“ in den Kommunen fort. Diese wollen sich durch eine bessere Einbindung ihrer Haltepunkte an die Stadtmitte zur Hochrheinbahn öffnen. Insbesondere auf die Projekte „Neue Mitte Grenzach“ und „Rheinfelden Baden 2022 (vom historischen Stadtzentrum zum modernen Mobilitätszentrum im Agglomerationsraum Basel)“ ist hier zu verweisen. Beide Projekte wollen die Bahnhofsareale durch die integrierte Planung von Städtebau, Verkehr und Freiraum zu einem neuen Stadtquartier und attraktiven Mobilitätszentrum umgestalten.
Die Realisierung dieser Stadtentwicklungsprojekte folgt dabei dem Wunsch und den Möglichkeiten der jeweiligen Gemeinde. Wichtig ist und war für uns, sich in den Jahren der IBA Basel auf ein gemeinsames Ziel hinbewegt zu haben. Als Folge dieses gemeinsamen Ansinnens haben die Städte und Gemeinden nun die Chance, den Schwung für weitere Stadtentwicklungsprojekte mitzunehmen. Beim dauerhaften Prozess der Stadtentwicklung geht es nicht ums „Rennen“, sondern ein stückweises „Ankommen“.

Martin Kistler: Wir müssen die Bahnhöfe zukünftig nicht nur als Ein-und Aussteigeort begreifen. Bahnhöfe sollten größere oder kleinere Dienstleistungszentren mit Angeboten sein, die über die Funktion als Haltepunkt hinausgehen. Im Rahmen der Hochrheinelektrifizierung können wir mit dem barrierefreien Ausbau erste Voraussetzungen für eine gute Anbindung schaffen, die dann in Zusammenarbeit mit den Gemeinden durch Park & Ride- und Bike & Ride-Anlagen weiter verbessert wird. Je mehr Nutzer, je mehr der Bahnhof Anlaufpunkt ist, umso eher siedeln sich dort auch Dienstleistungsangebote an, die wir für ein modernes Dienstleistungs- und Kommunikationszentrum benötigen. Über die teilweise begrenzten Aktivitäten der Bahnhofsbetreiberin, der Deutschen Bahn, muss es über intelligente kommunale oder private Lösungen gemeinsam gelingen, einen Mehrwert und Nutzen zu schaffen. Hier sind wir auf einem guten Weg, der größere Bahnhöfe schon erreicht hat, aber auch kleinere Bahnhöfe müssen entsprechend nachziehen. Jedes leerstehende Bahnhofsgebäude, jeder Bahnhof, der nur zum Ein- und Ausstieg genutzt wird und nicht attraktiv ist, ist zu wenig und ein Gebäude zu viel, welches nicht zum attraktiven Anlaufpunkt wird.

Die Realisierung der Stadtentwicklungsprojekte im Zuge der Elektrifizierung der Hochrheinstrecke folgen den Wünschen und Möglichkeiten der jeweiligen Gemeinde. Foto: Deutsche Bahn
Eine Herausforderung für Ingenieure, Planer und Finanzierende: Mehrfach überquert die Hochrheinbahn die Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz. Foto: Deutsche Bahn
Jeder Bahnhof, der nur zum Ein- und Ausstieg genutzt wird, ist kein attraktiver Anlaufpunkt. Die Gemeinden und die Deutsche Bahn haben die Chancen des Projektes „Elektrifizierung der Hochrheinstrecke“ erkannt und forcieren eine Aufwertung der Haltestellen an der Strecke. Foto: Deutsche Bahn
Die Hochrheinstrecke ist die schnellste Schienenverbindung zwischen Basel (CH) und Schaffhausen (CH). Foto: Lothar Mantel

 

2020 endet die IBA Basel. Einen konkreten Fahrplan, wie es danach weitergehen soll, gibt es noch nicht. Was wäre das Worst-Case-Szenario? Welche Fehler darf man jetzt nicht machen?
Marion Dammann: Wichtig ist für uns vor allem, dass für die begonnenen Projekte ein Lead-Partner benannt ist, der die kommenden Schritte mit allen Beteiligten weitergeht. Dazu soll für jedes IBA-Projekt ein verantwortlicher Projektträger gefunden werden, der die weitere Entwicklung betreut und steuert.
Sollte sich für ein Projekt kein Partner dazu bereit erklären, die Verantwortung zu übernehmen, haben wir die komfortable Situation, dass es in unserer Grenzregion viele passende Gefäße gibt, die geübt darin sind, Partner über Grenzen hinweg zu koordinieren und Projektmanagement zu betreiben. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Agglo Basel, TEB, Regio Basiliensis oder die Hochrheinkommission.
Für das gemeinsame Projekt Hochrheinelektrifizierung fühlen wir uns „gut aufgegleist“. Das Ende der IBA wird die Fortführung des Vorhabens nicht behindern oder ins Stocken bringen. Alle Partner haben sich darauf geeinigt, dass beim Projekt Hochrheinelektrifizierung bis auf weiteres der Landkreis Waldshut den Lead hat.

Martin Kistler: Auch wenn die IBA, die das Projekt Ausbau und Elektrifizierung der Hochrhein-Strecke unterstützt hat, endet, ist das Projekt so gut aufgegleist, dass es weitergehen wird. Der Zug fährt im übertragenen Sinne schon, das Signal steht auf grün. Ende des Jahres werden wir bzw. unsere Auftragnehmerin, die Deutsche Bahn, den Planfeststellungsantrag stellen, damit dann das Baurecht erlangt werden kann. Es wird immer wieder Fragen oder auch Probleme geben, ich bin mir jedoch sicher, dass wir diese lösen können. Das Projekt wird verwirklicht werden, dies die Botschaft, da gibt es kein Zurück mehr.

 

Marion Dammann studierte ebenso Rechtswissenschaften und war zunächst von 1989 bis 1990 als Justiziarin bei der Stadt Erlangen tätig.1990 wechselte sie zur Stadt Lörrach, wo sie erst als stellvertretende Rechts- und Ordnungsamtsleiterin arbeitete und ab 2001 die Leitung des Fachbereichs Grundstücks- und Gebäudemanagement übernahm. Im Jahr 2005 erfolgte die Wahl zur Ersten Bürgermeisterin der Stadt Lörrach. Im Februar 2012 wurde sie als erste Frau im Landkreis Lörrach zur Landrätin gewählt und im Dezember 2019 mit 52 von 59 Stimmen im Amt bestätigt.

Martin Kistler studierte ebenso Rechtswissenschaften in Basel und Freiburg im Breisgau und war vor seiner Wahl zum Landrat als Rechtsanwalt in Waldshut-Tiengen tätig. Seit September 2014 ist Martin Kistler Landrat des Landkreises Waldshut, seit Dezember 2019 zudem Verbandsvorsitzender des Regionalverbandes Hochrhein-Bodensee.

Warum wir eine IBA-Basel-Serie gestartet haben? Das lesen Sie hier.

Sämtliche Beiträge zur IBA Basel 2020 finden Sie hier.

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