15.07.2020

Projekt

„Am Zoll Lörrach Riehen wollen wir aus Verkehrsraum Lebensraum schaffen“

Mobilität und Umwelt in der Gemeindeverwaltung Riehen (von links) © Stadt Lörrach.

Unter dem Namen „Am Zoll Lörrach Riehen“ entsteht im Zuge der IBA Basel ein neues, modellhaftes Quartier zwischen Deutschland und der Schweiz. Das Planungsverfahren? Komplex. Als Projektareal an einer EU-Außengrenze müssen sich die Projektverantwortlichen mit übergeordneten Abhängigkeiten, unterschiedlichen Planungssystemen sowie Grundstücksverhältnissen auseinandersetzen. Wir haben uns mit Monika Neuhöfer-Avdić, Bürgermeisterin in Lörrach, und Ivo Berweger, Abteilungsleiter Bau, Mobilität und Umwelt in der Gemeindeverwaltung Riehen, über die Herausforderungen des Projekts unterhalten.

Den 16. März 2020 wird in der Region Basel wohl niemand so schnell vergessen. Dort, wo sonst rund 35 000 Grenzgängerinnen und Grenzgänger täglich die Zölle passieren, kommt am besagten Montag der Grenzverkehr zum Erliegen. So auch am Zoll Lörrach Riehen, einem Projektort der IBA Basel. Hier entsteht im Zuge der Internationalen Bauausstellung ein neues Modellquartier – zwischen den Gemeinden Lörrach (D) und Riehen (CH). Mit diesem möchten die verantwortlichen Gemeinden neue Alltagsorte für die Bevölkerung des Zollquartiers beiderseits der Grenze schaffen sowie mit der Aufwertung der Basler Straße und der Verbindung der beiden wichtigen trinationalen Naherhohlungsräume Tüllinger Berg und Maienbühl hochwertige Freiräume und neue Lebensqualität erzeugen. Außerdem ermöglicht die angedachte Konzeption der Basler Straße die spätere Einführung einer Tram und den Ausbau des Bahnhofs Lörrach-Stetten zu einer binationalen Mobilitätsdrehscheibe.

Das Planungsverfahren hierzu ist komplex. Das Projektareal liegt an einer EU-Außengrenze, und ist somit unterschiedlichen Planungssystemen sowie Grundstücksverhältnissen unterworfen. Die Vielzahl der beteiligten Akteure sowie die unterschiedlichen Interessenlagen machen das Projekt zur Herausforderung. Außerdem ist das Projekt Teil des Förderprogramms „Nationale Projekte des Städtebaus“ des Bundesministeriums des Inneren, für Bau und Heimat (BMI). Entsprechend hoch sind die Ambitionen hinsichtlich Gestaltungs- und Prozessqualität. Man merkt: Alles in allem keine leichte Aufgabe. Doch zwischen beiden Kommunen hat sich im Zuge der IBA Basel in den vergangenen Jahren eine gute Zusammenarbeit etabliert, die die integrierte Projektentwicklung beflügelt hat. Wir haben uns mit den verantwortlichen Projektenträgern Monika Neuhöfer-Avdić, Bürgermeisterin in Lörrach, und Ivo Berweger, Abteilungsleiter Bau, Mobilität und Umwelt in der Gemeindeverwaltung Riehen, über ihre Zusammenarbeit und künftige Herausforderungen unterhalten.

„Das gemeinsame IBA-Projekt am Zoll hat dazu geführt, dass enger über die gemeinsame Grenze hinaus zusammengearbeitet wurde.“

Monika Neuhöfer-Avdić, Ivo Berweger: Seit mehr als zehn Jahren setzt sich die IBA Basel aktiv für grenzüberschreitende Zusammenarbeit ein. Hat die IBA Basel ihre beiden Gemeinden näher zusammengebracht?

Monika Neuhöfer-Avdić: Ganz klar: Ja. Fakt ist, dass mit dem Beginn der IBA Basel 2020, also seit rund zehn Jahren, eine stärkere Verzahnung der Region sowohl auf politischer, vor allem aber auf fachlicher Ebene untereinander und miteinander Realität geworden ist. Wir haben uns und unsere Bedürfnisse, Sichtweisen und Systeme über die IBA noch besser kennengelernt. Sich zu kennen ist die Basis, sich zu vertrauen und genau dieses Vertrauen ist die Grundvoraussetzung für eine gute Kooperation. Mittlerweile begleiten wir die grenzüberschreitenden Planungsprozesse ganz selbstverständlich Seite an Seite. Genau diese Selbstverständlichkeit ist das Besondere unserer speziellen Region. Daran hat die IBA einen ganz großen Verdienst.

Die IBA Basel ist eine IBA der Prozesse. Haben Sie in Ihren Verwaltungen die Prozesse in den letzten Jahren umgestellt? Lässt sich eine Transformation feststellen?

Monika Neuhöfer-Avdić: Umgestellt haben wir unsere eigenen Prozesse nicht. Aber wir haben unsere Prozesse und vor allem unser Denken um die ständige Teilnahme der Kolleginnen und Kollegen aus den anderen projektbeteiligten Kommunen erweitert, die, wie im Fall von Lörrach und Riehen, nicht nur durch eine Landesgrenze, sondern durch eine EU-Außengrenze getrennt werden. Für deutsche Kommunen ist der Begriff der „Kommunalen Planungshoheit“ elementar. Dass wir die Mitsprache aber nicht mehr nur auf das eigene kommunale Planungsgebiet beschränken, sondern auch die angrenzenden Kommunen einbeziehen, ist die größte Transformation, die wir erfahren haben. Fachlich ist dies genau der richtige Weg. Denn, wenn man Lörrach und Riehen zusammen betrachtet, ergibt sich das Bild einer einzigen Stadt, zu welcher auch Basel gehört. Und diese Lörrach-Riehen-Basel-Stadt sollten wir auch gemeinsam planen.

Ivo Berweger: Das gemeinsame IBA-Projekt am Zoll hat dazu geführt, dass enger über die gemeinsame Grenze hinaus zusammengearbeitet wurde. Dies wiederum führte meines Erachtens zu größerem Verständnis der unterschiedlichen Planungsentscheidungsprozesse, die doch unterschiedlich sind. In der Schweiz sind Planungsentscheide referendumsfähig und müssen dann schnell mal in einer Volksabstimmung bestehen.

Ist die IBA Basel Ihrer Meinung nach an irgendwas gescheitert?

Ivo Berweger: Die IBA Basel war im Vergleich mit anderen IBAs sehr anspruchsvoll, weil drei Länder mit teilweise sehr unterschiedlichen Planungskulturen und Planungsrechtssystemen zusammengebracht werden mussten. Diese Ausgangslage machte die Projektabläufe teilweise komplexer und anspruchsvoller. Das Projekt am Zoll war dafür ein gutes Beispiel: Es waren beispielsweise Zollbehörden von Deutschland und Zollbehörden aus der Schweiz einzubeziehen, die Deutsche Bahn AG wie auch die SBB; und natürlich auch die Planungsvertreter sowie politische Vertreter von Lörrach und Riehen, nebst Vertretern der IB und des Agglomerationsprogramms Basel, des Landkreises Lörrach sowie des Kantons Basel-Stadt. Dies ergab dann insgesamt eine Vielzahl von Akteuren beidseits der Grenze, die einzubeziehen waren.

„Und genau davon träume ich, wenn ich an das Zollquartier denke.

Wenn Sie heute nochmal in die IBA starten würden, was würden Sie anders machen?

Monika Neuhöfer-Avdić: Wenn ich noch einmal neu starten dürfte, dann würde ich Wert darauflegen, dass durch kleine Projektverwirklichungen auch ganz frühzeitig ein solcher Prozess für alle Beteiligten und vor allem für die Bevölkerung sichtbar wird und schnell Mehrwerte entstehen. Durch positive Projektresonanzen entstehen auch positive Prozessresonanzen, die wichtig sind, wenn man wie wir, einen Planungsmarathon absolviert.

Ivo Berweger: Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, im Raum Basel gibt es fast zu viele grenzüberschreitende Gremien, was zur Folge hat, dass es viele zusätzliche Schnittstellen gibt. Da war es für die IBA vielleicht nicht einfach, einen neuen Schwung für die grenzüberschreitende Planung einzubringen. Man müsste meiner Meinung nach versuchen, diese Kräfte zukünftig besser zu bündeln.

Was ist Ihre Vision für das Projekt „Am Zoll Lörrach/Riehen“?

Monika Neuhöfer-Avdić: Das IBA Projekt Zollquartier ist eine wunderbare Zukunftsaufgabe. Damit meine ich eine Aufgabe, die überall in Zukunft anstehen wird, nämlich: Aus der allerorts verfügbaren Ressource „Verkehrsraum“, Lebensraum zu schaffen. Unser Wettbewerbsverfahren aus dem vergangenen Winter hat nun erste Bilder erzeugt, die alle eine gute Zukunft für dieses Quartier zeigen. Und genau davon träume ich, wenn ich an das Zollquartier denke. Ein anderer Traum ist, dass uns andere Kommunen folgen und diese Flächenschätze heben. Dann haben wir mit diesem Projekt Strahlkraft erzielt, die für ein IBA Projekt auch wichtig ist.

Ivo Berweger: Ich hoffe, dass das Entwicklungspotenzial beidseits der Grenze aufgrund der Bilder so umgesetzt werden kann, dass Bebauungen und Quartiere entstehen, die eine gute Lebensqualität für die Bevölkerung aufweisen und dass für sie die Grenze keine Rolle spielt.

„Für ein gutes Gelingen des gemeinsamen Lebensraumes ist und wird die Zusammenarbeit aller erforderlich sein.“

Mit welchen Herausforderungen kämpfen Sie bei der Umsetzung?

Monika Neuhöfer-Avdić: Auf deutscher Seite werden wir damit zu kämpfen haben, einen anscheinend fertig gebauten Raum, umgestalten zu dürfen. Damit meine ich die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen, vor allem das Personal, durch die Politik. Der öffentliche Raum ist leider der, den wir als Planerinnen und Planer am meisten verteidigen müssen, wenn der Gürtel enger geschnallt wird. Dabei sind es die Zukunftsorte unserer Gesellschaft, Orte, an denen man sich treffen kann in einer Gesellschaft, deren Hauptkrankheit der Zukunft die Einsamkeit sein wird.

Ivo Berweger: Auf Riehener Seite ist die Entwicklung des angrenzenden 17 Hektar großen Stettenfelds eine Herausforderung. Die Bebauung von bisher wenig genutzten Flächen war in der jüngsten Vergangenheit bei der Bevölkerung von Riehen jeweils umstritten.

Wie geht es nach der IBA mit dem Projekt weiter? Welchen Herausforderungen muss sich die Region mit ihrem Abschluss stellen?

Monika Neuhöfer-Avdić: Im Alltäglichen sind wir eine überaus vernetzte Region. Denken Sie an die vielen Pendlerinnen und Pendler, sei es im Arbeits-, Wohn- oder Handelssektor. Anders herum ist es aber immer noch nicht jedem in der Region klar, wie sehr für ein gutes Gelingen unseres gemeinsamen Lebensraumes unser aller Zusammenarbeit erforderlich ist und sein wird. Leider bemerken wir auch in unserer Region, dass das Kirchturmdenken zunimmt. Dies ist auf der anderen Seite aber auch Ansporn, sich immer wieder unterzuhaken. Denn eins ist klar: Gemeinsam gestalten wir unsere Zukunft noch besser. Und dabei ist die IBA weit mehr als die Summe ihrer Projekte.

Ivo Berweger: Eine gemeinsame Gestaltung der Zukunft ist auch aus meiner Sicht selbstverständlich und wichtig, denn die Grenze ist räumlich immer weniger spürbar. Für mich ist die wichtigste gemeinsame Infrastruktur die Regio-S-Bahn, dessen Ausbau aufgrund der Grenzlage mit drei Ländern, drei involvierten Bahngesellschaften und drei Rechtssystemen leider nur sehr schleppend vorankommt. Der weitere Ausbau der Regio-S-Bahn wäre für mich für die Agglomeration Basel von hoher Priorität.

Warum wir eine IBA-Basel-Serie gestartet haben? Das lesen Sie hier.

Sämtliche Beiträge zur IBA Basel 2020 finden Sie hier.

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