40 Meter Platz reicht nicht
Im Zweiten Weltkrieg wurde die Innenstadt von Rotterdam bei Luftangriffen in den Jahren 1940, 1942 und 1943 annähernd vollständig zerstört. Umso wichtiger erscheint es, die wenigen erhalten gebliebenen Baudenkmäler zu schützen und zu erhalten.
Ein einzigartiges Industriedenkmal ist die 1878 erbaute Koningshaven-Brücke, über die bis 1993 Züge in und aus dem Hauptbahnhof rollten. Sie führt vom Noordereiland über den Koningshaven in den Stadtbezirk Feijenoord. Die Brückenpfeiler stammen aus dem Jahr 1878. Die Mitte war ursprünglich als Drehbrücke ausgeführt, was sich aber als Hindernis für die Schifffahrt erwies. Nachdem am 2. November 1918 das deutsche Schiff Kandelfels die Drehbrücke von ihrem Stützpfeiler gerammt hatte, wurde die Dreh- durch eine Hubbrücke ersetzt. Bis zu 40 Meter kann der Mittelteil in die Höhe gefahren werden, um großen Schiffen Platz zu machen.
Jeff Bezos Superyacht versus Rijksmonument
Seit dem Jahr 2000 ist die Brücke als Rijksmonument denkmalgeschützt. De Hef, wie die Brücke liebevoll genannt wird, durfte als Industriedenkmal stehenbleiben. Die Stadt versprach sogar, dass sie niemals abgebaut würde. Doch nun droht ein schwerer Eingriff, denn die neue Superyacht die derzeit im Auftrag von Jeff Bezos in Alblasserdam bei Rotterdam gebaut wird, passt mit ihren drei gewaltigen Masten auf dem Weg zum Meer nicht unter dem Bauwerk hindurch. Um den 127 Meter langen Dreimaster ins Meer überführen zu können, soll nun die Brücke für die Durchfahrt des Schiffs teilweise abgebaut werden.
Wirtschaftliche Interessen gegen Denkmalschutz?
Der Schiffbauer Oceanco, der das geschätzte 430 Millionen Euro teure Schiff in seiner Werft fertigstellt, hat bei der Stadt ein entsprechendes Gesuch eingereicht. Die Kosten dafür wollen die Werft und Jeff Bezos tragen. Er gilt mit geschätzten 176 Milliarden Dollar als zweitreichster Mann der Welt. Werden sich hier also wirtschaftliche Interessen gegen den Denkmalschutz durchsetzen? Nach der Durchfahrt soll De Hef wieder in den Originalzustand versetzt werden. Die Stadt hat das Ansinnen laut niederländischen Medien offenbar bereits bewilligt. Bei der Bewilligung spielten ökonomische Überlegungen offenbar eine wichtige Rolle.
Das Projekt stößt auf Widerstand
„Aus der Perspektive der Wirtschaft und dem Bewahren von Arbeitsplätzen ist dies ein wichtiges Projekt“, so Marcel Walravens, der bei der Stadt für die Brücke zuständig ist. Zudem seien in Rotterdam als erklärter europäischer Hauptstadt der Schifffahrt der Bootsbau und alle maritimen Aktivitäten wichtige Säulen der Gemeinschaft. Das Projekt stößt jedoch auf Widerstand, schließlich steht die Brücke unter Denkmalschutz.
Der temporäre Abbau von Jeff Bezos geht vielen Rotterdamer*innen zu weit
Der temporäre Abbau geht vielen Rotterdamer*innen zu weit. Ton Wesselink von der Rotterdam Historical Society sagt: „Arbeitsplätze sind wichtig, aber es gibt Grenzen dafür, was man unserem Erbe antun kann.“ Die Brücke wurde im Zweiten Weltkrieg durch deutsche Fliegerbomben schwer beschädigt. Sie war zudem eines der ersten in Rotterdam wiederaufgebauten Bauwerke. Bei der Werft wirbt man damit, dass die Brücke ja keinen Schaden nehme, aber von nicht unerheblicher Bedeutung dürfte es auch sein, dass man in dem Amazon-Gründer und Bootsliebhaber einen wichtigen Geschäftspartner sieht, den man nicht verärgern darf.
Auch interessant in diesem Zusammenhang: Amazon verspricht mit The Climate Pledge bis 2040 CO2-neutral zu werden und fordert andere Firmen auf, gleichzuziehen. Pflichtgefühl oder Marketing? Mehr dazu hier: Amazon.