Mikroklima als Energieströme
Sophie Holz an Sanda Lenzholzer:
Sehr geehrte Frau Lenzholzer, in Ihren Publikationen „Exploring outdoor thermal perception-a revised model“ und in „Thermal Experience and Perception of the Built Environment in Dutch Urban Squares“ beschäftigen Sie sich mit der Wahrnehmung des städtischen Mikroklimas.
Sie argumentieren, dass psychologische Faktoren – einschließlich räumlicher Merkmale wie Raumabmessungen oder die Farbe von Materialien – die menschliche Wärmeempfindung beeinflussen. Ihre Arbeit ist ein wichtiger Beitrag zum Konzept der „thermischen Behaglichkeit“ (original: „thermal comfort“) und hat das Potenzial, bestehende Simulierungsmodelle zu revolutionieren.
Um mehr über dieses Forschungsprojekt zu erfahren: Was ist „thermische Behaglichkeit“? Wie ergänzt Ihre Forschung die bestehenden Modelle?
schreibt …
Sanda Lenzholzer an alle:
„Thermische Behaglichkeit“ ist ein Konzept, das versucht, den Zustand der Zufriedenheit mit der thermischen Umgebung zu beschreiben. Das Konzept wurde ursprünglich für Innenräume entwickelt, später aber auch auf das Empfinden von (Mikro-)Klimabedingungen im Freien ausgedehnt.
In letzter Zeit wurde diese Verwendung des Begriffs kritisiert, weil er den Zustand der Unbehaglichkeit, der vor allem im Freien recht häufig vorkommt, nicht angemessen berücksichtigt. Infolgedessen wurde der neutralere Begriff „thermische Wahrnehmung“ (original: „thermal perception“) eingeführt.
Die thermische Wahrnehmung kann in zwei Bereiche unterteilt werden: den physikalisch-physiologischen Bereich und den psychologischen Bereich. Ersterer wird auch mit dem Begriff „Wärmeempfindung“ (original: „Thermal Sensation“) ausgedrückt und hängt stark von äußeren physikalischen Reizen ab: Die Lufttemperatur und der Einfluss lang- und kurzwelliger Strahlung bestimmen das Wärmeempfinden in hohem Maße.
Beide Strahlungsarten sind in Außenräumen sehr ausgeprägt und können dem Menschen ein Gefühl von Wärme vermitteln. Ein typisches Beispiel für die Erfahrung der kurzwelligen Strahlung ist im Freien zu spüren, wenn wir von einem sonnigen Ort mit hoher kurzwelliger Sonnenstrahlung in den Schatten gehen. Auch die langwellige Strahlung, die von Materialien ausgeht, kennen wir aus unserer Erfahrung, etwa wenn wir nach Sonnenuntergang vor einer Wand sitzen, die den ganzen Tag der Sonne ausgesetzt war. Auch wenn die Lufttemperatur gesunken ist, wird unser Körper durch die Wärmestrahlung der Wand gewärmt.
Das Empfinden von kurzwelliger und langwelliger Strahlung ist nicht zu verwechseln mit dem Empfinden der Lufttemperatur, die wir alle kennen. Auch die Windempfindung ist für das physikalische Mikroklimaerlebnis sehr wichtig: ob wir der kühlenden Wirkung des Windes ausgesetzt sind oder nicht. Der zweite Bereich umfasst die psychologischen Faktoren, die in gewissem Maße auch die thermische Wahrnehmung beeinflussen.
Frühere Forschungsarbeiten befassten sich bereits mit den psychologischen Faktoren und konzentrierten sich auf die momentanen Aspekte der Wärmewahrnehmung, wie zum Beispiel die Anwesenheit in angenehmer Gesellschaft oder eine bestimmte momentane Stimmung, als die Wärmewahrnehmung gemessen wurde. Meine Forschung hat die bestehenden psychologischen Faktoren der Wärmewahrnehmung im Hinblick auf die räumlich-zeitlichen Dimensionen erweitert: die langfristigen Auswirkungen der gebauten und natürlichen Umwelt, wie Raumproportionen, Materialität und Farben. Die Entwicklung dieses Ansatzes wurde stark von Ideen aus der Phänomenologie und dem Konzept der „Allästhesie“ beeinflusst: wie multisensorische Wahrnehmung funktioniert, wenn der Wärmesinn in Verbindung mit anderen Sinneswahrnehmungen, zum Beispiel visuellen Reizen, beteiligt ist. Es wurde auch von den Konzepten der „mentalen Schemata“ aus der Psychologie inspiriert: wie Menschen automatisch bestimmte Anhaltspunkte wie die räumlichen Konfigurationen im Hinblick auf das erwartete Mikroklima eines Ortes interpretieren.
schreibt …
Sophie Holz an Sanda Lenzholzer:
Was bedeutet die enge Beziehung zwischen „thermischer Behaglichkeit“ und städtischem (Mikro-)Klima für die Gestaltung von Außenräumen?
schreibt …
Sanda Lenzholzer an Sophie Holz:
Die physischen Aspekte der gestalteten Umgebung beeinflussen stets das lokale Mikroklima. Die Anordnung von dreidimensionalen Objekten (Gebäude, Sträucher und Bäume, Bodenrelief) schafft Bereiche, die der kurzwelligen Sonnenstrahlung ausgesetzt sind, und weniger exponierte, schattige Bereiche. Ihr Volumen bestimmt auch die Windströme und damit die Bereiche, die vor Wind geschützt sind, die belüftet werden oder sogar Windbelästigung oder -gefahr ausgesetzt sind. Die Art der von uns verwendeten Materialien hat einen starken Einfluss auf die langwellige Strahlung. Die Lufttemperatur kann durch die kumulative Anordnung von grüner Infrastruktur reguliert werden. Im Grunde wirkt sich alles, was wir gestalten, auf das Mikroklima aus, ob dies nun beabsichtigt ist oder nicht. In Anbetracht der Probleme, mit denen wir angesichts des Klimawandels konfrontiert sind und an die wir uns anpassen müssen, sollten wir sicherstellen, dass unsere landschaftsarchitektonischen Eingriffe das Mikroklima und das Stadtklima im größeren Maßstab sehr bewusst zum Besseren beeinflussen.
schreibt …
Sophie Holz an Sanda Lenzholzer:
Welche Methoden haben Sie verwendet, um Ihre These zu belegen, dass räumliche Merkmale die Wärmewahrnehmung beeinflussen?
schreibt …
Sanda Lenzholzer an Sophie Holz:
Meine Doktorand*innen und ich haben eine Reihe verschiedener Methoden verwendet, die sowohl die „physikalischen“ als auch die „psychologischen“ Faktoren berücksichtigen. Die physikalischen Faktoren wurden mit regelmäßigen Messreihen in verschiedenen städtischen Gebieten sowie mit Mikroklimasimulationen unter Verwendung des Envi-met-Modells untersucht. Die psychologischen Faktoren wurden durch Beobachtungen des Nutzerverhaltens und Tausenden von Interviews mit Personen, die diese Außenbereiche nutzen, und das Zeichnen von „mentalen Karten“ ihrer langfristigen Mikroklima-Erfahrungen erfasst.