31.10.2022

Gesellschaft

Perspektiven zum Mikroklima

Wissenschaftlich ist der Klimawandel gelöst, kulturell noch lange nicht. Welchen Beitrag leistet hier die Landschaftsarchitektur-Forschung?
Wissenschaftlich ist der Klimawandel gelöst, kulturell noch lange nicht. Welchen Beitrag leistet hier die Landschaftsarchitektur-Forschung?

Wissenschaftlich ist der Klimawandel gelöst, kulturell noch lange nicht. Welchen Beitrag leistet hier die landschaftsarchitektonische Forschung?

In einem Briefwechsel zwischen den Akademikerinnen Sanda Lenzholzer, Alice Labadini und Sophie Holz von SINAI entspinnt sich eine Diskussion zwischen den Niederlanden, Deutschland und Italien über die Frage, wie Räume sowohl physikalisch als auch psychologisch das menschliche Wärmeempfinden prägen, über atmosphärische Exposition und das Erleben von Klimaphänomenen, über die Macht harter Fakten und die Eindrücklichkeit gebauter Orte.

Dieser Artikel ist in der gastkuratierten Printausgabe Anfang November 2022 erschienen und wurde aus dem Englischen übersetzt.

Von Wunder und Verunsicherung

Sophie Holz an Alice Labadini: Sehr geehrte Frau Labadini, in Ihrer Dissertation „Immaterial Landscapes: Formulating the Intangible in Northern Landscapes“ und in Ihrer Publikation „Providing a Stage for Atmospheric Encounters“ erforschen Sie das Potenzial gebauter Orte, um klimatische Prozesse und natürliche Kräfte auf menschlichen Maßstab zu erfahren. Solche Prozesse und Kräfte liegen normalerweise aufgrund ihrer Größe oder Entfernung außerhalb unserer Wahrnehmung. Sie vermuten, dass eine solche Begegnung zwischen Mensch und Natur das Potenzial hat, ein Nachdenken über Umweltprobleme anzuregen. Sie könnten sich dies als einen möglichen kulturellen Beitrag zum Umgang mit dem Klimawandel vorstellen.

Können Sie den Begriff „atmosphärische Begegnung“ (original: „atmospheric enconter“) bitte näher erläutern? Welches Potenzial sehen Sie in dem Konzept für einen landschaftsarchitektonischen Beitrag zum Umgang mit dem Klimawandel?

Dr. Alice Labadini forschte und lehrte an der Oslo School of Architecture and Design, an der Tromsø Academy of Landscape and Territorial Studies, an der TU München und bei Eurac Research in Bozen. Derzeit arbeitet sie in der Abteilung für Natur, Landschaft und Raumentwicklung der Autonomen Provinz Bozen.
Dr. Alice Labadini forschte und lehrte an der Oslo School of Architecture and Design, an der Tromsø Academy of Landscape and Territorial Studies, an der TU München und bei Eurac Research in Bozen. Derzeit arbeitet sie in der Abteilung für Natur, Landschaft und Raumentwicklung der Autonomen Provinz Bozen. Foto: Alice Labadini

schreibt …

Alice Labadini an alle:

Die Dringlichkeit, eine disziplinäre Antwort auf globale Umweltprobleme zu geben, zwingt Landschaftsarchitekt*innen dazu, einen zunehmend körperlosen Ansatz für die Landschaft zu wählen und Designprozesse mit strengen wissenschaftlichen Beweisen zu validieren. Zwar unterstützt dieser Ansatz gestalterische Maßnahmen, die einen positiven Beitrag zu ökologischen Kreisläufen leisten. Dennoch wird dabei viel Wert auf Objektivität und Fakten gelegt, was auf Kosten der menschlichen Werte und Erfahrungen geht. Dies birgt die Gefahr, die erkenntnistheoretische Trennung zwischen Subjekt und Objekt – Mensch und Natur – zu verstärken, die die eigentliche Ursache für die heutige Umweltzerstörung ist. Unter „atmosphärische Begegnung“ verstehe ich Erfahrungssituationen, die diese Trennung zwischen Subjekt und Objekt möglicherweise aufheben.

Indem das menschliche Subjekt der beeindruckenden Kraft von etwas ausgesetzt wird, das ihm fremd ist und dessen Sinn es nicht unmittelbar erfassen kann, zwingen diese Begegnungen das Subjekt dazu, eine Position einzunehmen, die dem nahe kommt, was der Anglist Timothy Morton eine „Zero-Person-Perspective“[1] nennt. Eine Zero-Person-Perspective ist eine Perspektive, aus der der Mensch nicht frontal und distanziert auf die Landschaft blickt, sondern sich leiblich in die Landschaft begibt und sie zurückschauen und auf sich wirken lässt. Aus der Zero-Person-Perspective löst sich die Trennung zwischen Mensch und Landschaft – Subjekt und Objekt – in eine Beziehung der Intimität auf, die vor allem die Wirksamkeit der Landschaft in den Vordergrund stellt, das heißt ihre Fähigkeit, unabhängig von ihrem eigenen Willen auf den Menschen einzuwirken und ihn zu beeinflussen. Für Morton ist eine Zero-Person-Perspective auch die einzig „wirklich ökologische Sichtweise“[2].

Ich trete für eine Landschaftsarchitektur ein, die in der Lage ist, „atmosphärische Begegnungen“ zwischen Menschen und Orten zu schaffen; eine Landschaftsarchitektur, die eine Beziehung zwischen Mensch und Landschaft herstellt, die sich dem totalitären Impuls einer subjektzentrierten ästhetischen Erfahrung entzieht.

schreibt …

Sophie Holz an Alice Labadini:

Wie kann die Landschaftsarchitektur eine „atmosphärische Begegnung“ durch eine konkrete Gestaltung eines Ortes fördern?

schreibt …

Alice Labadini an alle:

In meiner Dissertation schlage ich vor, dass die Landschaftsarchitektur diese Art der Begegnung zwischen Besucher*innen und Ort fördern könnte, indem sie sich mit den lokalen Naturkräften auseinandersetzt, sie in die Gestaltung einfließen lässt, und so den Besucher*innen sinnlich und letztlich auch intellektuell näher an die Umweltbedingungen des Ortes heranführt. Wenn man den gestalteten Ort auf eine existentielle Art und Weise betrachtet, sollte man über die Topografie nachdenken.

Ihre Gestaltung könnte ein Weg sein, Besucher*innen lokale Naturkräfte näher zu bringen. Diesen Aspekt untersuche ich kritisch anhand des Opernhauses in Oslo und der Strandpromenade von Brattøra in Trondheim. Bei beiden Projekten ist der Boden als kahle, fast geologische Topografie angelegt: eine Topografie, deren Dimensionalität und Ausmaß sich nicht unmittelbar erschließt. Eine Person, die eine Landschaft betritt, die nicht mehr sinnliche Verankerung bietet als eine Stütze für die Körperhaltung, ist gezwungen, ihren Platz und ihre individuelle existenzielle Sphäre in unvermittelter Beziehung zu den Phänomenen zu verhandeln, die sich zufällig zu dieser Zeit und an diesem Ort in der Landschaft befinden: Klang, Licht, Wärme, Geruch, Feuchtigkeit, Wetter. Die ungewöhnliche Erfahrung des bloßen, unpersönlichen und gleichgültigen „Stattfindens“ dieser Phänomene verbindet diese Person mit einer Dimension von Entitäten und Kräften, die über die Zeit und den Maßstab des Hier und Jetzt hinausgehen. In diesem Sinne schlage ich das Konzept der „atmosphärischen Begegnungen“ vor, um auch einen möglichen Beitrag zu einer landschaftsarchitektonischen Antwort auf den Klimawandel zu liefern.

Das Dach des Opernhauses in Oslo, November 2011
Das Dach des Opernhauses in Oslo, November 2011, Foto: Alice Labadini

Der Klimawandel ist ein Paradebeispiel für das, was Timothy Morton als „Hyperobjekte“[3] bezeichnet.  „Hyperobjekte“ sind Objekte, die so groß und langlebig sind, dass sie sich dem menschlichen Zeit- und Raumverständnis entziehen.

Die Landschaftsarchitektur berücksichtigt weitgehend die Belange des Klimawandels. Betrachtet man die von ihr gestalteten Orte, ist die Landschaftsarchitektur noch immer von den beruhigenden und politisch korrekten Vorstellungen von Vergnügen und Komfort geprägt. Eine andere mögliche Antwort auf die Dringlichkeit des Klimawandels könnte darin bestehen, das Risiko einzugehen, die Besucher*innen mit stark beunruhigenden Situationen und Momenten der Entfremdung herauszufordern, um sie auf das aufmerksam zu machen, auf das, was am Ort des Geschehens nicht sichtbar ist, und auf die auftauchenden sensiblen Hinweise der „Hyperobjekte“, die unsere Umwelt im gegenwärtigen Zeitalter des Anthropozän durchdringen.

schreibt …

Sanda Lenzholzer an Alice Labadini:

Sehr geehrte Frau Labadini, ich stimme mit Ihrem Ansatz überein, sowohl die subjektive als auch die objektive Erfahrung der menschlichen mikroklimatischen Umgebung zu berücksichtigen. Marialena Nikolopoulou hatte diese Dichotomie als Erste aufgegriffen[4] und in meiner Dissertation mit dem Titel „Designing atmospheres“[5] behandelt. Ich habe dies durch die Einbeziehung des phänomenologischen Konzepts der „Atmosphäre“ vertieft: Ich untersuchte Faktoren wie Proportionen, Materialität und Farben städtischer Räume anhand der Wahrnehmung des Mikroklimas und anhand von Messdaten.

Diese Forschungen zeigten, dass die „Konditionierungen“, die Menschen aufgrund ihrer Erfahrungen besitzen, oft ein guter Prädikator für das Mikroklima sind. Es gibt aber auch „Konditionierungen“, die sie in die Irre führen können.

Im Einklang mit diesem „Atmosphären“-Ansatz erstellen wir Gestaltungsrichtlinien, die auf subjektiven und objektiven Realitäten beruhen und darauf abzielen, komfortable Räume zu schaffen, denn unsere Städte brauchen diese dringend.

Die von Ihnen vorgeschlagene gestalterische Antwort auf die „Atmosphäre“ ist anders (mit Ähnlichkeiten zum „Erhabenen“ [6]). Sie setzt Menschen beunruhigenden Situationen und Entfremdung aus.

Die Auswirkungen des Klimawandels sind derzeit sehr disruptiv und verunsichernd, zum Beispiel durch Hitzewellen, Dürre, Waldbrände, schnell zurückweichende Gletscher oder Überschwemmungen. Welchen anderen „atmosphärischen Begegnungen“ würden Sie die Menschen heute aussetzen, um sie zu sensibilisieren?

Prof. Dr. Sanda Lenzholzer ist Professorin und Lehrstuhlinhaberin des Lehrstuhls „Landscape Architecture“ an der Universität Wageningen.
Prof. Dr. Sanda Lenzholzer ist Professorin und Lehrstuhlinhaberin des Lehrstuhls „Landscape Architecture“ an der Universität Wageningen. Foto: Sanda Lenzholzer

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Alice Labadini an Sanda Lenzholzer:

Sehr geehrter Frau Lenzholzer, ich verstehe, dass die Beschleunigung der zerstörerischen Ereignisse durch den Klimawandel in den letzten Jahren unsere Fähigkeit, sie zu verarbeiten, übersteigt. Auch als Reaktion auf diese Beschleunigung müssen wir die Aufgaben der Landschaftsarchitektur in Richtung eines Konzepts der Handlungsfähigkeit (original: „agency“) [7] und der Schaffung von Räumen erweitern, die in der Lage sind, den Menschen die Umwelt näherzubringen. In einer unruhigen Welt könnten die „atmosphärischen Begegnungen“, die wir uns wünschen, mit einem Konzept des „Wunders“[8] kontextualisiert werden: Wunder als Effekt einer plötzlichen Konfrontation mit etwas Außergewöhnlichem, aber auch als eine Kraft, die den Menschen dazu bringt, die Welt zu hinterfragen. In seiner Theorie des Wunders untersucht Philip Fisher die Ästhetik des Wunders im Verhältnis zum Gewöhnlichen und Alltäglichen sowie zum Gegenteil, der Angst.[9] Ich glaube, dass das Konzepts des Wunders dazu beitragen könnte, die Gestaltung der Verunsicherung in der Landschaftsarchitektur im Hinblick auf die beunruhigenden Auswirkungen des Klimawandels zu verdeutlichen.

schreibt …

Sanda Lenzholzer an Alice Labadini:

Sie sagen, dass „ein großes Gewicht auf Objektivität und Fakten gelegt wird“. In Anbetracht der Tatsache, dass die menschliche Erfahrung bei den meisten Mikroklimaforschungen berücksichtigt wird (es gibt sogar eine VDI-Richtlinie dafür) – wie stehen Sie zu diesem Thema?

schreibt …

Alice Labadini an Sanda Lenzholzer:

Die zerstörerischen Auswirkungen des Klimawandels erfordern eine kulturelle Antwort, nicht nur in Bezug auf das Sensibilisieren und den Klimaschutz, sondern auch in Bezug auf die Anpassung. Während der Diskurs in der Landschaftsarchitektur über die Abschwächung des Klimawandels ein starkes Gewicht auf faktische und wissenschaftliche Erkenntnisse legt, sehe ich einen wertvollen Beitrag der Mikroklimaforschung zu einer Anpassungsantwort, die auf menschlichen Werten und Erfahrungen beruht.

Sophie Holz ist studierte Dipl.Ing. Landschaftsplanung (TU Berlin) und Partnerin bei SINAI. Foto: © SINAI

Mikroklima als Energieströme

Sophie Holz an Sanda Lenzholzer:

Sehr geehrte Frau Lenzholzer, in Ihren Publikationen „Exploring outdoor thermal perception-a revised model“ und in „Thermal Experience and Perception of the Built Environment in Dutch Urban Squares“ beschäftigen Sie sich mit der Wahrnehmung des städtischen Mikroklimas.

Sie argumentieren, dass psychologische Faktoren – einschließlich räumlicher Merkmale wie Raumabmessungen oder die Farbe von Materialien – die menschliche Wärmeempfindung beeinflussen. Ihre Arbeit ist ein wichtiger Beitrag zum Konzept der „thermischen Behaglichkeit“ (original: „thermal comfort“) und hat das Potenzial, bestehende Simulierungsmodelle zu revolutionieren.

Um mehr über dieses Forschungsprojekt zu erfahren: Was ist „thermische Behaglichkeit“? Wie ergänzt Ihre Forschung die bestehenden Modelle?

schreibt …

Sanda Lenzholzer an alle:

„Thermische Behaglichkeit“ ist ein Konzept, das versucht, den Zustand der Zufriedenheit mit der thermischen Umgebung zu beschreiben. Das Konzept wurde ursprünglich für Innenräume entwickelt, später aber auch auf das Empfinden von (Mikro-)Klimabedingungen im Freien ausgedehnt.

In letzter Zeit wurde diese Verwendung des Begriffs kritisiert, weil er den Zustand der Unbehaglichkeit, der vor allem im Freien recht häufig vorkommt, nicht angemessen berücksichtigt. Infolgedessen wurde der neutralere Begriff „thermische Wahrnehmung“ (original: „thermal perception“) eingeführt.

Die thermische Wahrnehmung kann in zwei Bereiche unterteilt werden: den physikalisch-physiologischen Bereich und den psychologischen Bereich. Ersterer wird auch mit dem Begriff „Wärmeempfindung“ (original: „Thermal Sensation“) ausgedrückt und hängt stark von äußeren physikalischen Reizen ab: Die Lufttemperatur und der Einfluss lang- und kurzwelliger Strahlung bestimmen das Wärmeempfinden in hohem Maße.

Beide Strahlungsarten sind in Außenräumen sehr ausgeprägt und können dem Menschen ein Gefühl von Wärme vermitteln. Ein typisches Beispiel für die Erfahrung der kurzwelligen Strahlung ist im Freien zu spüren, wenn wir von einem sonnigen Ort mit hoher kurzwelliger Sonnenstrahlung in den Schatten gehen. Auch die langwellige Strahlung, die von Materialien ausgeht, kennen wir aus unserer Erfahrung, etwa wenn wir nach Sonnenuntergang vor einer Wand sitzen, die den ganzen Tag der Sonne ausgesetzt war. Auch wenn die Lufttemperatur gesunken ist, wird unser Körper durch die Wärmestrahlung der Wand gewärmt.

Das Empfinden von kurzwelliger und langwelliger Strahlung ist nicht zu verwechseln mit dem Empfinden der Lufttemperatur, die wir alle kennen. Auch die Windempfindung ist für das physikalische Mikroklimaerlebnis sehr wichtig: ob wir der kühlenden Wirkung des Windes ausgesetzt sind oder nicht. Der zweite Bereich umfasst die psychologischen Faktoren, die in gewissem Maße auch die thermische Wahrnehmung beeinflussen.

Frühere Forschungsarbeiten befassten sich bereits mit den psychologischen Faktoren und konzentrierten sich auf die momentanen Aspekte der Wärmewahrnehmung, wie zum Beispiel die Anwesenheit in angenehmer Gesellschaft oder eine bestimmte momentane Stimmung, als die Wärmewahrnehmung gemessen wurde. Meine Forschung hat die bestehenden psychologischen Faktoren der Wärmewahrnehmung im Hinblick auf die räumlich-zeitlichen Dimensionen erweitert: die langfristigen Auswirkungen der gebauten und natürlichen Umwelt, wie Raumproportionen, Materialität und Farben. Die Entwicklung dieses Ansatzes wurde stark von Ideen aus der Phänomenologie und dem Konzept der „Allästhesie“ beeinflusst: wie multisensorische Wahrnehmung funktioniert, wenn der Wärmesinn in Verbindung mit anderen Sinneswahrnehmungen, zum Beispiel visuellen Reizen, beteiligt ist. Es wurde auch von den Konzepten der „mentalen Schemata“ aus der Psychologie inspiriert: wie Menschen automatisch bestimmte Anhaltspunkte wie die räumlichen Konfigurationen im Hinblick auf das erwartete Mikroklima eines Ortes interpretieren.

schreibt …

Sophie Holz an Sanda Lenzholzer:

Was bedeutet die enge Beziehung zwischen „thermischer Behaglichkeit“ und städtischem (Mikro-)Klima für die Gestaltung von Außenräumen?

schreibt …

Sanda Lenzholzer an Sophie Holz:

Die physischen Aspekte der gestalteten Umgebung beeinflussen stets das lokale Mikroklima. Die Anordnung von dreidimensionalen Objekten (Gebäude, Sträucher und Bäume, Bodenrelief) schafft Bereiche, die der kurzwelligen Sonnenstrahlung ausgesetzt sind, und weniger exponierte, schattige Bereiche. Ihr Volumen bestimmt auch die Windströme und damit die Bereiche, die vor Wind geschützt sind, die belüftet werden oder sogar Windbelästigung oder -gefahr ausgesetzt sind. Die Art der von uns verwendeten Materialien hat einen starken Einfluss auf die langwellige Strahlung. Die Lufttemperatur kann durch die kumulative Anordnung von grüner Infrastruktur reguliert werden. Im Grunde wirkt sich alles, was wir gestalten, auf das Mikroklima aus, ob dies nun beabsichtigt ist oder nicht. In Anbetracht der Probleme, mit denen wir angesichts des Klimawandels konfrontiert sind und an die wir uns anpassen müssen, sollten wir sicherstellen, dass unsere landschaftsarchitektonischen Eingriffe das Mikroklima und das Stadtklima im größeren Maßstab sehr bewusst zum Besseren beeinflussen.

schreibt …

Sophie Holz an Sanda Lenzholzer:

Welche Methoden haben Sie verwendet, um Ihre These zu belegen, dass räumliche Merkmale die Wärmewahrnehmung beeinflussen?

schreibt …

Sanda Lenzholzer an Sophie Holz:

Meine Doktorand*innen und ich haben eine Reihe verschiedener Methoden verwendet, die sowohl die „physikalischen“ als auch die „psychologischen“ Faktoren berücksichtigen. Die physikalischen Faktoren wurden mit regelmäßigen Messreihen in verschiedenen städtischen Gebieten sowie mit Mikroklimasimulationen unter Verwendung des Envi-met-Modells untersucht. Die psychologischen Faktoren wurden durch Beobachtungen des Nutzerverhaltens und Tausenden von Interviews mit Personen, die diese Außenbereiche nutzen, und das Zeichnen von „mentalen Karten“ ihrer langfristigen Mikroklima-Erfahrungen erfasst.

Physikalische Parameter der Wärmewahrnehmung
Physikalische Parameter der thermischen Wahrnehmung, Abbildung: Lenzholzer, S. (2015). Weather in the City – How Design Shapes the Urban Climate. Rotterdam: nai010 publishers
Psychologische Parameter der thermischen Wahrnehmung
Psychologische Parameter der thermischen Wahrnehmung, Abbildung: Lenzholzer, S., & de Vries, S. (2019). Exploring outdoor thermal perception—a revised model. International Journal of Biometeorology 64:293–300

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Alice Labadini an Sanda Lenzholzer: 

Sehr geehrte Frau Lenzholzer, mit der zunehmenden Erkenntnis, dass sich unser Klima rasch verändert, hat die Umwelt, in der wir leben, eine zentrale Bedeutung erlangt. Während Umweltbelange zunehmend Eingang in die Debatten der Landschaftsarchitektur gefunden haben, scheint der Umfang dessen, was ein auf die „Umwelt“ aufmerksamer Entwurf sein könnte, noch nicht in seiner ganzen Breite behandelt worden zu sein. [10]

Der Begriff der „thermischen Wahrnehmung“ erweitert die Umweltbelange der Landschaftsarchitektur auf die Gestaltung des Umfelds als unser eigenes individuelles Lebenserhaltungssystem: die Luftbedingungen und das Mikroklima, in dem wir leben. Mit dem Begriff der „thermischen Wahrnehmung“ wird das Problem des Klimawandels angegangen, ausgehend von der menschlichen Verfassung und der Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen.

Der Klimawandel hat uns bewusst gemacht, dass unsere „Umwelt“ notwendigerweise auch eine gemeinsame ist – wir sind alle in ihr, und es gibt kein Außen, auch wenn jeder von uns sie anders wahrnimmt. In ähnlicher Weise wird die Erfahrung des öffentlichen Raums und – im weiteren Sinne – seines Mikroklimas notwendigerweise durch unsere räumlichen Beziehungen zueinander beeinflusst und verhandelt.

Wie könnte eine menschen- und wahrnehmungszentrierte Gestaltung, die auf ihre Auswirkungen auf das Mikroklima achtet, dazu beitragen, neue Formen der kollektiven Verantwortung angesichts der globalen Klimakrise zu entwickeln?

schreibt …

Sanda Lenzholzer an Alice Labadini:

Sehr geehrter Frau Labadini, es erfordert einen anderen Ansatz, aber eine auf das Mikroklima abgestimmte Gestaltung für den menschlichen Komfort kann auch zur Bekämpfung der Klimakrise beitragen, indem sie die CO2-Emissionen senkt. Wir haben einen neuen Ansatz auf der Grundlage des Konzepts der „Energieströme“ in der städtischen Umwelt entwickelt: Die städtische Umwelt hat viele Energieströme, die heute Probleme verursachen, wie zum Beispiel die Sonneneinstrahlung, die zu erhöhten Temperaturen führt, und störende Windströme. Gleichzeitig sind diese Energieströme auch eine Quelle für erneuerbare Energie und können somit zur Senkung der CO2-Emissionen beitragen.

Der Ansatz beinhaltet verschiedene Eingriffe in die städtische Struktur. So können wir beispielsweise an Orten, an denen sich die Menschen im Sommer im Freien aufhalten, unter schattenspendenden „Solardächern“ lokal Sonnenenergie gewinnen. Wir können auch den Wind in der warmen Jahreszeit dorthin lenken, wo er zur Belüftung benötigt wird, und ihn in der kalten Jahreszeit auf Turbinen leiten, um Windenergie zu erzeugen (zum Beispiel mit Windtürmen, die von iranischen Modellen inspiriert sind).

Ich könnte noch mehr Beispiele nennen, aber ich möchte mich jetzt auf einen anderen Aspekt konzentrieren: Sie fragen auch nach der kollektiven Verantwortung in Bezug auf die Gestaltung des Mikroklimas. Es sollte eine kollektive Verantwortung sein, so schnell wie möglich Maßnahmen auf privaten und öffentlichen Flächen umzusetzen und dafür eine breite gesellschaftliche Unterstützung zu schaffen. Dabei ist die Sensibilisierung aller städtischen Akteure für die Themen (städtisches) Mikroklima und Klimawandel der Ausgangspunkt, worauf Sie in Ihrer Arbeit sehr zu Recht hinweisen.

Ein nächster Schritt besteht darin, allen Akteur*innen Verantwortung zu übertragen, beginnend mit kleinen Aktionen, ergänzt durch größere Maßnahmen, deren Kosten kollektiv und gerecht getragen werden, und sicherstellen, dass auch die am meisten gefährdetsten Personen von diesen Maßnahmen profitieren. Möglicherweise müssen wir diesen Ansatz auf globaler Ebene ausweiten, denn die energieintensiven Maßnahmen der westlichen Länder wirken sich nun auch auf die Schwächsten im globalen Süden aus.

[1] Morton, Timoty. “Zero Landscapes in the Time of Hyperobjects,” Zero Landscape: Unfolding Active Agencies of Landscape, Graz Architecture Magazine 07 (2011), 78–87.

[2] Ibid.

[3] Morton, Timothy. Hyperobjects: Philosophy and Ecology After the End of the World. Minneapolis: University of Minnesota Press, 2014.

[4] Nikolopoulou, M., N. Baker, and K. Steemers, Thermal comfort in outdoor urban spaces: Understanding the human parameter. Solar Energy, 2001. 70(3): p. 227-235.

[5] Lenzholzer, S., Designing atmospheres: research and design for thermal comfort in Dutch urban squares. 2010, Wageningen University: Wageningen.

[6] Roncken, P.A., et al., Shades of sublime : a design for landscape experiences as an instrument in the making of meaning. 2018, Wageningen University: Wageningen.

[7] Ich verwende den Begriff „agency“ mit besonderem Bezug auf die in den Büchern beschriebene Anwendung: Diana H. Coole and Samantha Frost, New Materialisms: Ontology, Agency, and Politics (Durham, NC: Duke University Press, 2010); Jane Bennett, Vibrant Matter: A Political Ecology of Things (Durham: Duke University Press, 2010).

[8] Labadini, A. (2017) Immaterial Landscapes. Formulating the Intangible in Northern Landscapes. Oslo School of Architecture and Design, Oslo, Norway, p. 276.

[9] Philip Fisher, Wonder, the Rainbow, and the Aesthetics of Rare Experiences (Cambridge, Mass: Harvard University Press, 1998)

[10] Unter anderem hat die Architekturhistorikerin und -theoretikerin Alessandra Ponte darauf hingewiesen, dass Designer*innen sich eingehender mit Umwelttheorien befassen müssen, wenn sie sich mit Designfragen von umweltbezogener Natur und Größenordnung auseinandersetzen wollen. Cf.: Alessandra Ponte, The House of Light and Entropy (London: AA Publications, 2014), 213.

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