18.01.2016

Projekt

Kunst der Balance

Vielfalt und Demokratie – hehre Ziele, die sich Amsterdam und Rotterdam gesetzt haben. In der Realität verdrängt vor allem in Amsterdam die Sanierungspolitik einkommensschwache Bevölkerungsgruppen. Rotterdam macht es anders. Die Stadt investiert gezielt in öffentliche Räume und fördert die Diversität der Stadtbewohner.

Amsterdam und Rotterdam wollen Orte sein, an denen Gleichheit, Vielfalt und Demokratie gelten. Beide Städte wachsen. Und beide konzentrieren ihre Anstrengungen vor allem darauf, wohlhabende und gebildete Bewohner anzuziehen. Eine Politik, die zu Lasten von Gruppen mit niedrigem Einkommen geht. Gerade Amsterdam richtet sich als Stadt an Wohlhabende mit hohem Bildungsstand.

Dieser Trend lässt sich an den steigenden Preisen für Häuser und Wohnungen ebenso ablesen wie an der wachsenden Zahl an Cafés, Gin Bars, Boutiquen und gehobenen Restaurants. Für Einwohner mit niedrigem Einkommen wird es immer schwerer, sich ein Leben in der holländischen Hauptstadt zu leisten.

Ein Spaziergang durch eines der traditionellen Arbeiterviertel führt die gegenwärtige Entwicklung lebhaft vor Augen: Der Stadtteil Van der Pek liegt nur sieben Fußminuten von der Fähre entfernt, mit der man das Ij überquert, wenn man zum Amsterdamer Hauptbahnhof will. Das Viertel gilt als problembehaftet und unsicher. Amsterdam setzte deshalb ein Stadterneuerungsprogramm auf, das sowohl soziale Maßnahmen als auch
die Renovierung von Häusern vorsieht.

Zum Sanierungsprogramm gehört auch, die Bewohnerschaft stärker zu diversifizieren. Der übliche Weg in Amsterdam, um das zu erreichen, besteht darin, Wohnmöglichkeiten in anderen Stadtteilen anzubieten und so Platz für neue Bewohner zu machen. Ungefähr 200 Familien sind bereits umgezogen. Es dauerte nicht lange, bis sich an der Van der Pekstraat Latte-Macchiato-Cafés und schicke Designerläden ansiedelten. Die Gentrifizierung ist in vollem Schwung. Die Mieten steigen. Weitere Bewohner werden das Viertel oder sogar Amsterdam verlassen. Ist das wirklich eine gerechte Stadt?

Hat Rotterdam bald die Nase vorn?

Für Van der Bek bedeutet der Zuwachs an Wohlhabenden zunächst eine Verbesserung der Statistik: weniger Arbeitslosigkeit, ein größerer Anteil an gebildeten Bürgern, ein höherer Grad an politischer Partizipation sowie ein höherer Einkommensdurchschnitt. Betrachtet man allerdings die Verhältnisse jenseits der Stadtgrenzen, so wird schnell klar, dass sich die Probleme nur verlagert haben. Amsterdam selbst wird immer reicher – durch den Zuzug wohlhabender Bürger und steigendes Engagement von Investoren. Doch auf lange Sicht könnte Amsterdam gegenüber Rotterdam das Nachsehen haben.

Rotterdam bietet einkommensschwachen und benachteiligten Gruppen für einen sozialen Aufstieg die besseren Möglichkeiten. Statistiken zeigen, dass gerade Gruppen mit niedrigem Einkommen zum Beispiel selbstständig und selbstorganisiert Pflegeleistungen für Bedürftige erbringen. In schwierigen Zeiten hilft man sich. Auch Statistiken für das Viertel Van der Pek in Amsterdam bestätigen das. Pflegeleistungen, die über Eigeninitiative und Ehrenamt erbracht werden, stehen derzeit bei Politikern hoch im Kurs.

Angesichts der Kosten für Pflegeleistungen ist die Regierung zunehmend darauf angewiesen, dass die Bürger hier selbst aktiv werden. Doch wenn Gemeinschaften auseinandergerissen werden, wie dies in Van der Pek passiert, dann zerfallen auch die gut funktionierenden privat organisierten Initiativen zur Pflege kranker und alter Menschen – und die von der Stadt zu tragenden Pflegekosten steigen wieder. […]

Was die Sanierungspolitik in Rotterdam für Auswirkungen auf Amsterdam und die Kreativszene haben könnte, lesen Sie in Garten+Landschaft 02/2016.

Welche Sanierungskonzepte die Landschaftsarchitekten von West8 für Rotterdam haben, sehen Sie hier:

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