14.09.2022

Gesellschaft

Mauerpark Berlin – Auf der Reise vom Tod zum Leben

Steinkreis Mauerpark © Frank Sleegers
Steinkreis Mauerpark © Frank Sleegers

„Die größte gestalterische Herausforderung ist das Schaffen eines leeren Raumes.“ Dieses Zitat von Gustav Lange bildet die Grundlage zum Verständnis eines seiner prominentesten Projekte, dem Berliner Mauerpark. Wie kaum ein anderes spiegelt der Mauerpark die Entwurfsphilosophie und die Haltung seines Schöpfers wider. Es war das Streben nach der Leere, dem Zwischenraum und dem Zufall, welches immer wieder deutlich wurde in Langes Planungen. Lange war bis zuletzt an der Realisierung des letzten Bauabschnitts, der 2020 eröffnet wurde, involviert. Gustav Lange ist am 7. März 2022 in seiner Schleswig – Holsteinischen Wahlheimat gestorben. Anlass genug, den Mauerpark als Gesamtwerk zu würdigen.

Vom Grenzraum zum Freiraum

Für Lange war es grundlegend, die Offenheit des ehemaligen „Todesstreifens“ innerhalb der geschliffenen Grenzanlagen der Berliner Mauer in seiner Entwurfsplanung zu erhalten. An der Schnittstelle zwischen den zwei ehemaligen politischen Systemen sollte somit eine Lichtung in der Stadt erhalten bleiben. Auf dem Weg „vom Grenzraum zum Freiraum“ sollte ein Ort zum Leben und Leben lassen entstehen. Die Verwandlung eines negativ besetzten Freiraumes in einen positiv besetzten, öffentlichen Park war dabei die zentrale Fragestellung. Die Besucher*innen hatten in Langes Entwurf die Schlüsselstellung dieser prozesshaften Transformation. Denn die Planung stellte lediglich den Rahmen für den ästhetischen Überbau und die materielle Bühne bereit. An dieser Stelle können sich Menschen entfalten, um den historischen Ort neu zu artikulieren und interpretieren.

Grenzraum Freiraum Mauerpark © Frank Sleegers
Gustav Lange erhielt die Offenheit des ehemaligen „Todesstreifens“, der so auch weiterhin lesbar war. An der Schnittstelle zwischen den zwei ehemaligen politischen Systemen sollte eine Lichtung in der Stadt erhalten bleiben und wurde “vom Grenzraum zum Freiraum“. © Frank Sleegers

Der Mauerpark von Nord nach Süd

Die kontaminierte Sandfläche des ehemaligen „Todesstreifens“ wurde abgetragen, durch Oberboden ersetzt und somit zur fruchtbaren Grundlage für einen weitläufigen „Rasenteppich“. Das historische Pflaster der „Schwedter Straße“ wurde freigelegt und zur zentralen Parkachse von Nord nach Süd gemacht. Am Eingang Eberswalder Straße begrüßt ein Hain aus Zitterpappeln und winkt freundlich mit den säuselnden Blättern im Licht: „Komm herein!“ Am anderen Ende fängt ein Birkenwäldchen den Wind und zitiert ferne sibirische Weiten. Dazwischen – ein leeres Feld und viel Himmel. In der Ferne kann man sogar den Berliner Fernsehturm am Alex erkennen.

Die Ostseite des Parks – ein zehn Meter hoher Hang aus Weltkriegstrümmerschutt. Hier blüht der Wilde Salbei unter Wildäpfeln. Oben steht die Hinterlandmauer, die schnell zur ständig wechselnden Graffitigalerie wurde. Dort warten fünf große Schaukeln und laden ein zum Flug in die Berliner Abendsonne. Weiter nordwärts findet sich in den Hang eingebettet ein Amphitheater. Im Schatten der säulenförmigen Eichen und Pappeln spielt die Musik – und das nicht nur zum sonntäglichen Karaoke. Kein anderer Ort im Park macht ein stärkeres Bekenntnis zur Offenheit und Toleranz – ein Treffpunkt der Kulturen und Generationen.

„die Natur schaffe Kompositionen, die kein Mensch jemals kreieren könne“

Entlang der Schwedter Straße reihen sich zudem klar gesetzte kleine Plätze in geometrischen Grundformen. Als gekippte Rechtecke überlappen sie den Straßenraum. Die kreisförmige Bühne des Amphitheaters durchschneidet gar den Bordstein der Schwedter Straße und wird von den größeren Bögen der Sitzstufen umarmt. Spaltraue Granitblöcke verleihen dabei Fassung. In den großen Fugen zwischen den Blöcken ist trotzdem noch Raum für wild vagabundierende Pflanzen. Lange sagte hierzu, dass „die Natur Kompositionen schaffe, die kein Mensch jemals kreieren könne“.

Amphitheater Mauerpark © Frank Sleegers
Das Amphitheater am Hang versprüht eine mediterrane Atmosphäre und ist ein beliebter Ort für Aufführungen und Konzerte. © Frank Sleegers

Wettbewerb zum Mauerpark

Die Ursprünge des Mauerparks gehen auf die Zeit direkt nach dem Fall der Mauer zurück. Dieselben Bagger, die nach dem Gebietstausch 1988 an der Bernauer und Eberswalder Straße zum Einsatz kamen, nahmen die geraden errichteten Mauerelemente am 10. November 1989 wieder heraus. Ab Juni 1990 erfolgte dann der Abbau der Mauer. Der geharkte Sandstreifen zwischen Prenzlauer Berg und Wedding diente als Ort für Begegnung zwischen Ost und West und für spontane Aktivitäten.

Unter dem öffentlichen Druck, die Flächen auch zukünftig als öffentliche Freiflächen zu sichern, lobte der Senat Berlin im Rahmen der 2000er-Olympiabewerbung Anfang 1992 einen Wettbewerb „Sportstadt Berlin“ aus. Dieser umfasste den Mauerpark und die zukünftige Max-Schmeling-Halle neben dem Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark. Der in Hamburg tätige Landschaftsarchitekt Gustav Lange gewann in Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Schweger und Partner den landschaftsplanerischen Teilbereich. Schon 1993 wurde durch Mitfinanzierung der Allianz-Umweltstiftung mit den Baumaßnahmen auf der östlichen, sieben Hektar großen Teilfläche begonnen. Im Herbst 1994 konnte der erste Bauabschnitt eröffnet werden.

Mauerpark – alt und neu

Es dauerte lange, bis die Planungsmaßnahmen am westlichen, acht Hektar großen Teil des Mauerparks schließlich in Angriff genommen wurden. Ohne das bürgerschaftliche Engagement und Einflussnahme bei Politik und Verwaltung in den Jahren seit 2003 wäre die Fertigstellung des Parks nicht umgesetzt worden. Der entscheidende politische Beschluss im Jahr 2009 machte den Weg frei für die Überlassung des Grundstücks aus der Hand der Eigentümer*innen. Andernfalls wäre hier der Bau von hochwertigen Wohnungen zu Lasten des quartiersverbindenden Parks erfolgt. In den Jahren 2012 bis 2016 nahm Lange aktiv an der Bürgerwerkstatt „Mauerpark Fertigstellen” teil. Im Dialog mit den Beteiligten passte er seinen schon historischen Entwurf von 1993 an. Die Ansprüche der Nutzer*innen an einen öffentlichen Raum, die Entwicklung des etablierten Parks und auch die Einflussnahme der städtischen Institutionen waren eine Herausforderung.

Linie der Ungleichen Dinge

Der Ort stellte sich zum einen Teil als Industriebrache dar, wurde zum anderen Teil aber auch durch erhaltungswürdige Zwischennutzungen geprägt. Dazu gehörten die interkulturellen Gemeinschaftsflächen der Mauergärten im nördlichen Bereich des Parks, die Biergärten an der Eberswalder Straße und der wöchentliche Flohmarkt. Auch wurden Flächen für Kinderspiel eingeplant und ein zukünftiges Kulturzentrum am kleinen Industriebau „Kartoffelhalle“ einbezogen. Insgesamt sollte die Erweiterung des Parks als Gegenpol zum regen genutzten, östlichen Teil gelten und zusätzliche Räume für ruhigere Nutzungen anbieten. Auch dies war der direkt angrenzenden Wohnbebauung geschuldet.

Bei unterirdischen Bauarbeiten am Stauraumkanal an der Eberswalder Straße wurden zudem Artefakte der Berliner Mauer und eines Fluchttunnels gefunden. Im Winter 2017/2018 wurde daher auch der Eingangsbereich an der Eberswalder Straße umgeplant und Teil der „Gedenkstätte Berliner Mauer“. Der Bestandsverlauf des Mauerabschnittes aus den Jahren 1961 bis 1989 wurde im Park an der Schnittstelle von „altem“ und „neuem“ Park, der von Lange bezeichneten „Linie der Ungleichen Dinge“, markiert. Für die Ausführungsplanung und die Bauüberwachung wurde das Berliner Büro BBS beauftragt, während Gustav Lange weiterhin für die künstlerische Oberleitung verantwortlich war.

Mauergärtner © Frank Sleegers
Die Mauergärtner im nördlichen Bereich des Parks definieren sich als interkulturelle Gruppe. Für sie ist der Mauerpark ein „Mitmachpark“ der für Vielfalt und Integration einsteht. © Frank Sleegers

Ein Park für alle

Im Erweiterungsteil des Mauerparks setzt sich Langes formbetonte Entwurfssprache etwas dezenter fort. Eine Ausnahmestellung hat hier der Quartierstreffpunkt am Steinkreis. Unter einem Hain aus den brandenburgischen Kiefern und Wildkirschen findet gerne auch mal spontan ein Kindergeburtstag statt. Der mit doppelseitiger Granitbank gefasste Kreis markiert dabei die Kreuzung zwischen Wedding und Prenzlauer Berg. Die weiter nördlich gelegenen Wiesenquadrate mit den kleinen Spielflächen sind ein beliebter Treffpunkt für lokale Yogaklassen im lockeren Schatten der Birken geworden. Auch die Mauergärtner haben einen hier ihren Platz gefunden. Der neue Parkteil wirkt insgesamt kleinteiliger, was nicht nur ein Ergebnis der diversifizierten Planungskultur ist. Es ist eine behutsame Melange aus Spuren des ehemaligen Güterbahnhofes mit Gleisresten und Grosssteinpflaster Patchwork und robusten Ruderalgehölzen.

Die vierreihige Platanenpromenade nimmt die 30- bis 40-jährigen, krummgewachsenen Ahornbäume wie selbstverständlich auf. Die Allee schafft eine Verbindung vom Eingang an der Bernauer Straße bis an die „Kartoffelhalle“ und streift die multifunktional genutzte, asphaltierte Fläche des Flohmarkts. Dort kann man unter dem weiten Raster aus Sophoren Basketball spielen oder Runden mit den Rollerblades drehen. Der Spielplatz wurde in Zusammenarbeit mit Kindern entwickelt, doch von anderer Hand geplant. Eingegrenzt mit einem Funktionszaun und bestückt mit glänzenden Edelstahlgeräten, strahlen sie einen gänzlich anderen Charakter aus.  „Freiheit gegen Ordnungsvision – Schafft das Design ab“, postulierte Journalist Niklas Maak und kritisierte, dass die Freiheit mit Dingen und Räumen immer mehr zum Ausnahmefall in der Gestaltung von Städten wird.

Nahe am Zeitgeist

Gustav Lange hingegen verfolgte eine Entwurfsphilosophie, die in einem formgebenden und lesbaren Rahmen prozessorientierte Offenheit ermöglichte. Dies ist im Mauerpark auch auf der Detailebene lesbar. Grobe Fugen, flexible Zwischenräume, rohe Granitblöcke, stellenweise macht sich der Eindruck des Unfertigen breit. Die über Jahre mangelhafte Pflege des Parks verstärkt diesen Eindruck bisweilen. Doch ist es Ausdruck für sich wandelnde Momente und Motivation für selbstbestimmtes, spontanes Handeln und wechselnde Aktionen nahe am Zeitgeist. In gewisser Hinsicht verkörpern Lange und der Mauerpark damit einen lebendigen, lustvollen Widerstreit zwischen Formalem und Zufälligem.

Steinkreis Kindergeburtstag Mauerpark © Frank Sleegers
Der Steinkreis im neuen Parkteil steht für das Zusammenwachsen der beiden Stadtteile Prenzlauer Berg und Wedding. Hier wird auch mal spontan ein Kindergeburtstag gefeiert. © Frank Sleegers

Restaurierung des Mauerparks

Jetzt, da der letzte Bauabschnitt fertiggestellt ist, konzentriert sich die Stadt auf die Restaurierung des „alten“ Mauerparks. Der Maßnahmenkatalog wurde in einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert und er beschränkt sich nicht nur auf das Nachpflanzen aller ursprünglich geplanter Bäume, der Instandsetzung der schon seit länger Zeit defekten Schaukeln oder ein nach aktuellen Richtlinien behindertengerecht zugänglicher Hang. Dies sollte auch für die handwerklichen Qualitäten der Steinarbeiten gelten, die Lange als gelernter Steinmetz immer eingefordert hat und die im Erweiterungsteil nicht immer erfüllt waren.

Die Balance zwischen dem ausgeführten Originalentwurf von 1993 und den Transformationen durch Menschen und Pflanzen im Park verlangen nach einer Wertung und Lesbarkeit der einzelnen Bedeutungsschichten und einer Haltung im Sinne des Entwurfsverfassers Gustav Lange. Es ist zu hoffen, dass hier mit Augenmaß vorgegangen wird und der Freigeist und die Offenheit des Ortes nicht einem inadäquaten Perfektionismus geopfert wird. Autor David Wagner in seiner Liebeserklärung an den Park: „Ach Mauerpark, ich liebe deine Wiese, die jetzt, im Spätsommer gar keine Wiese mehr ist, englischer Rasen sieht anders aus. Mauerpark, du bist eine kleine Steppe, ein Stück Berlin-Prärie, sieht aus, als ob Büffelherden über dich hinweg getrampelt wären.“

Unter dem Schirm eines formgeprägten und klarlesbaren Gestaltungsgerüsts brauchte es Brüche, Fugen und Zwischenräume für Spontanes, Prozesshaftes – sei es Vegetation oder menschliche Aneignung.

Ich bedanke mich bei Susanne Brehm, Jan Gustav Fiedler und Bernd Krüger für ihre Anregungen und die kritische Durchsicht.

Referenzen:

Niklas Maak, „Freiheit gegen Ordnungsvision: Schafft das Design ab!“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.01.2020, https://headtopics.com/de/freiheit-gegen-ordnungsvision-schafft-das-design-ab-10543421

David Wagner, „Jede Woche Woodstock. Krähen, Kinder, Kiffer und natürlich Karaoke: Eine Liebeserklärung an den Mauerpark.“, Der Tagesspiegel, 01.09.2012, https://www.tagesspiegel.de/themen/umziehen-nach-berlin/mauerpark-jede-woche-woodstock/7083406.html

Die ehemalige GSW-Hauptverwaltung soll eine neue Fassadengestaltung erhalten. Lesen Sie mehr dazu bei unseren Kolleg*innen von BAUMEISTER: Rocket Tower Berlin

Außerdem: Was es im Berliner Mauerpark mit den sogenannten „Acoustic Shells“ lesen Sie hier.

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