28.10.2022

Gesellschaft

Nachruf auf Mike Davis

Mike Davis, 1946 bis 2022
Mike Davis, 1946 bis 2022, Foto: archinect.com via Wikimedia Commons CC BY-SA 4.0

Mike Davis schrieb „City of Quartz“, eines der wichtigsten Bücher über die Stadtgeschichte von Los Angeles. Nun ist der kalifornische Urbanist und Marxist im Alter von 76 Jahre gestorben.

In Amerika gibt es wenige echte Linke, aber Mike Davis war einer von ihnen. Der Mann mit dem weißen Bart, der aussah wie ein Trucker, formte das Image seiner Heimatstadt Los Angeles durch sein Buch „City of Quartz“. Nun starb er mit 76 Jahren in San Diego an Krebs. Als er von seiner Erkrankung erfuhr, sagte er, er bereue es, dass er im Bett sterben werde und nicht auf der Barrikade. Er hinterlässt seine fünfte Frau Alessandra Moctezuma und vier Kinder aus zwei Ehen.

Mike Davis – Autor und Aktivist

Davis war eine Ausnahmeerscheinung unter US-Autor*innen, nicht eitel, nicht an dem Literaturzirkus interessiert, sondern an der Sache. Der politischen Sache. Er wurde in einer Stahlarbeiterstadt im ländlichen Kalifornien geboren. Die Familie war von der Armut der Großen Depression geprägt, als seine Mutter Milch stahl, um die Kinder zu ernähren. Sein Vater starb früh, und Davis arbeitete als Teenager in der Großschlachterei seines Onkels. Danach hatte er verschiedene Jobs als LKW- und Busfahrer.

Während der Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre studierte er an der University of California in Los Angeles, wo er sich dem SDS (Students for a Democratic Society) anschloss. Er protestierte gegen den Vietnamkrieg und wurde einmal auf einer Demo verhaftet und mit dem Polizeilastwagen ins Gefängnis gebracht. Er trat damals auch der kommunistischen Partei von Kalifornien bei und führte deren Buchladen.

Mike Davis sah früh Zusammenhänge, die heute Allgemeingut sind

Von der intellektuellen Linken aber wandte er sich bald ab. Einmal gefragt, warum es in Amerika keine echte Linke gebe, sagte er: „Die gibt es; es sind die Afro-Amerikaner. Die werden nur von der Gesellschaft nicht wahrgenommen.“ Er selbst sah die anders: Er lud schwarze Gangmitglieder der Crisp in sein Haus ein. Und als 1992 das schwarze Ghetto von South Central LA brannte, fuhr er hin und sprach mit den Aufständigen.

In den siebziger Jahren lebte er eine Zeitlang in Großbritannien und Irland. Zurück in L.A. fing er wieder an, als Lastwagenfahrer zu arbeiten, schrieb aber gleichzeitig an „City of Quartz“, das 1990 erschien. Unglaublich detailreich ist das Buch, es hatte ihn selbst gewundert, dass es so viele Leser*innen fand. „City of Quartz“ ist fast 500 Seiten lang, voll mit Details über Superblocks, reiche und arme Nachbarschaften und deren Beziehungen, mit marxistischen Referenzen (Herbert Marcuse hatte großen Einfluss auf ihn) und den Namen derer, die Macht haben in L.A.; Developer, Politiker*innen, Polizeichefs. Er schrieb auch über die de-fakto-Apartheid, die L.A. in schwarz und weiß, arm und reich trennt. Und er sah schon früh Zusammenhänge, die erst heute Allgemeingut sind.

Liebesbriefe an L.A.

L.A. blieb die Stadt, von der er zeitlebens besessen war. Sein Buch „Set the Night on Fire“ (zusammen mit Jon Wiener) handelt von den Rassenkrawallen in der kalifornischen Metropole in den sechziger Jahren. Das war gefolgt von „Ecology of Fear: Los Angeles and the Imagination of Disaster“. Davis warnt darin nicht nur vor Umweltkatastrophen – Fluten, Erdbeben, Seebeben, Dürren, gewaltigen Waldbränden –, sondern auch vor Pandemien. Heute wurde er bestätigt; damals wurde ihm vorgeworfen, zu übertreiben und L.A. zu hassen. Er hingegen hielt seine Bücher für Liebesbriefe an die Stadt.

Davis forderte in „Ecology of Fear“ auch dazu auf, die Villen der Reichen in Malibu und auf den Hügeln um L.A brennen zu lassen, anstatt öffentliche Gelder zum Schutz von Palästen zu verwenden, die – ignorant oder willentlich – in Tornado- oder Waldbrand-Gebieten gebaut wurden. Auch das brachte ihm Attacken des Establishments ein.

Mike Davis veröffentlichte seine Bücher bei dem britischen Verleger Verso. Seiner Zeit im Großbritannien verdankt sich auch das Buch „Late Victorian Holocaust“, das von den Völkermorden des britischen Imperiums handelt, von Indien bis Irland, auch das ein Bestseller. Er wehrte sich darin gegen die oft vertretene Ansicht, dass es in irgendeinem Land Millionen von Hungertoten geben könne, weil eine Naturkatastrophe stattgefunden hatte. Dahinter, versicherte er, steckten immer politische Entscheidungen.

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