03.12.2018

Projekt

Natur für ein Naturmuseum?

Natur für ein Naturmuseum ist ähnlich herausfordernd, wie eine Architektur für die Präsentation von Architektur zu entwerfen. Wie stellt man sich also der Aufgabe, eine Landschaftsarchitektur für ein Museum zu schaffen, das zum Ziel hat, die Vielfalt der Naturgeschichte darzustellen und die Zusammenhänge zu erklären? Ein Annäherungsversuch am Beispiel des Parks für das Naturmuseum St. Gallen von Studio Vulkan Landschaftsarchitektur.

Bereits im 2009 ausgelobten Wettbewerb für den Neubau eines Naturmuseums, der von der Arbeitsgemeinschaft Armon Semadeni Architekten GmbH mit Michael Meier, Marius Hug Architekten AG umgesetzt wurde, war die Landschaftsarchitektur Teil des Wettbewerbsbeitrags. Es ist per se ein Paradoxon, Architektur oder in diesem Fall Natur ausstellen zu wollen. Denn was wir als Landschaft wahrnehmen, besteht in Wahrheit aus einer komplexen Überlagerung von verschiedenen Ebenen, sei es die Natur an sich, die funktionale und kulturgeschichtliche Prägung oder die eigene Interpretation. Wo die Einordnung in klare Begrifflichkeiten durch das Fehlen eindeutiger Grenzen im Zusammenwachsen von Stadt und Land schwierig wird, bewegen wir uns zunehmend in einer Übergangsphase zwischen Natur, natürlicher Künstlichkeit und künstlicher Natürlichkeit. Der Standort offenbart ein zusätzliches, typisches Paradoxon der Schweizer Landschaft: Infrastrukturen und Stadtraum verweben sich auf engstem Raum. Somit findet die Bauaufgabe, die Gestaltung eines Parks, direkt über einem Autobahntunnel, umgeben von heterogenem Zwischenstadtraum statt. Wie kann also Natur an einem solchen Ort aussehen? Bestimmt nicht wie ein museumspädagogisch linear verlaufender didaktischer Lehrpfad …

Das Paradoxon der Aufgabe liegt in der Gestaltung eines Parks zum Thema Naturgeschichte über einem Autobahntunnel zwischen Sportanlagen, Wohnsiedlungen und Ausfallstraße. ©Jean-Claude Jossen
Im Park verteilte Fragmente der Naturgeschichte wecken die Neugier. © Das Bild
Übergroße Trittsteine aus Beton bilden eine Spur durch den Park. © Das Bild
Der formbare Beton zeigt sich, neben einer natürlich-wilden Erscheinung auch mit Mustern menschlicher Herkunft. © Das Bild / Studio Vulkan
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Findlinge nehmen Bezug auf die eiszeitlichen Gletscher, die sie ins Mittelland transportierten. © Das Bild
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Dialog zwischen den Welten

Als Abschirmung zum gewachsenen Umfeld, aber auch als Synonym zum schnelllebigen Alltag wird eine natürliche Sichtbarriere als eine Art Filterzone zwischen den Welten mit einheimischen Pflanzen – Hainbuchen, Farnen und Stauden – geschaffen. 75 Prozent der Bepflanzung stammt aus heimischen Gewächsen. Für die restlichen 25 Prozent fiel die Wahl zum Beispiel auf exotische Hortensien. Irgendwann könnten die aufgrund des Klimawandels auch in hiesigen Klimazonen heimisch werden. Auch die Nachbarschaft eines Ginkgobaums zu einer Lärche gehört zu den Rätseln der Natur. Die Pfarrkirche St. Maria Neudorf setzt einen städtebaulichen Akzent, auf den sowohl die Architektur als auch die Landschaftsgestaltung Bezug nimmt. Weniger in der Festlegung von Bezugskanten, sondern auf einer philosophischen Ebene: Der Dialog zwischen den zwei Theorien zur Entstehung der Welt wird auf einer poetisch-sakralen und wissenschaftlichen Ebene geführt und funktioniert über Trittsteine, die zugleich als Informationsträger der weltlichen und religiösen Zitate dienen.

Katalysator für die Vorstellungskraft

Unabhängig von der Materialität der Fassade des Naturmuseums wurde auch im zugehörigen Park der Werkstoff Beton eingesetzt. Als artifizielles Produkt steht der Beton in gewolltem Kontrast zu dem für die Ostschweiz bekannten Naturwerkstein Nagelfluh. Die Trittsteine wirken als Katalysator für die Vorstellungskraft. Sie sind mit Artefakten aus der Naturgeschichte bis zu Bearbeitungsspuren von Menschen mit Mustern von Jute, Dränplatten oder Dachlatten versehen. Und noch einmal werden Sehgewohnheiten auf die Probe gestellt: Anstelle elegant an der Fassade von Kirchen oder Sehenswürdigkeiten zu wirken, findet sich der grünliche Ostschweizer Sandstein grob geschottert wieder. Da es keine Wegeführung gibt, ist man frei, sich seinen eigenen Zugang zum Ort, aber auch zur Gedankenwelt zu suchen. Damit schließt sich der Kreis zum Naturmuseum wieder.

Ein Interview mit Lukas Schweingruber vom Studie Vulkan finden Sie in der Dezemberausgabe 2018 der G+L. 

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