Positionspapier Innenstadt: Vom Versorgungs- zum Wohlfühlstandort
Corona wirkt als Brandbeschleuniger der Probleme, mit denen der stationäre Handel ohnehin kämpft: die Abwanderung der Kunden zum Online-Handel und damit einhergehende Umsatzrückgänge und schlimmstenfalls Geschäftsschließungen. Die Bundesstiftung Baukultur, der Deutsche Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung (DV), der Handelsverband Deutschland (HDE) und Urbanicom rufen deshalb in dem Positionspapier „Stoppt den Niedergang unserer Innenstädte“ zur Rettung der Innenstadt auf. Und machen gleichzeitig klar: Ohne politischen Willen und ein Rettungspaket des Bundes geht es nicht.
Die allgegenwärtigen Bilder verlassener Innenstädte rund um den Globus, von New York über Paris bis Hamburg und Berlin, ließen den Lockdown gespenstisch wirken. Wo sonst Menschenmassen flanieren: Leere. Stille. Und für die allermeisten Innenstadtakteur*innen: Angst vor der Zukunft. Doch mit beherztem, gemeinschaftlichem Handeln und politischen Maßnahmen lassen sich die Innenstädte, und mit ihnen urbane Lebensqualität, wirtschaftlicher Erfolg und soziales Miteinander, retten – anders als vorher, vielleicht aber sogar resilienter. Das hoffen zumindest die Bundesstiftung Baukultur, der DV, der HDE und Urbanicom. Sie haben dafür einen Sechs-Punkte-Plan zur Rettung der Zentren erarbeitet. So sollen Innenstädte zu „Wohlfühlorten mit Verweilqualität und attraktiven Anziehungspunkten“ werden, sagt Reiner Nagel, Vorsitzender des Vorstands der Bundesstiftung Baukultur. Denn das Konjunkturprogramm und die Mehrwertsteuersenkung des Bundes hätten in der Krise zwar geholfen, konnten viele Geschäftsaufgaben aber nicht verhindern.
Die sechs Maßnahmen würden nicht nur dem Einzelhandel helfen: Gastronomie, Hotellerie und Tourismus, Kultur, Freizeit und Sport, Events, Messen und Kongresse seien ebenso betroffen, wenn Innenstädte zu Geisterorten verkommen. Denn Tourist*innen, Geschäftsreisende und Kulturbesucher*innen fehlen dem Handel und der Gastronomie. Und Menschen, die im Homeoffice arbeiten, gehen weder mittags essen noch auf dem Nachhauseweg shoppen. Die größten Verlierer*innen der Krise sind nach aktuellen Umfragen Sortimente wie Bekleidung, Schuhe, Bücher, Sportartikel und Schmuck.
Positionspapier Innenstadt: Sechs Maßnahmen
Die Lösung, so die Bundesstiftung Baukultur, wäre, die Innenstädte konsequent umzugestalten – „vom reinen Versorgungsstandort zum attraktiven Wohlfühlstandort“. Dazu sind laut Positionspapier zur Innenstadt folgende sechs Maßnahmen nötig:
Multifunktionale und kreative Konzepte
Sie sollen über klassische Einzelhandels- und Zentrenkonzepte weit hinausgehen: Statt nur den stationären Handel zu stärken und zu modernisieren, müssen auch urbane Produktion und Handwerk, Gastronomie-, Freizeit- und Kulturangebote, neue Arbeitsformen wie Co-Working sowie soziale und Bildungsangebote einbezogen werden. Besondere Beachtung gilt kreativen Ideen und den kreativen und kulturwirtschaftlichen Akteur*innen.
Lokale Aktionsgruppen
Gemeinsam ist es leichter, die Innenstädte zu stärken – zu solchen Gruppen gehören neben den Innenstadtakteur*innen idealerweise auch Immobilieneigentümer*innen, mit denen sich über eine der Geschäftssituation angepasste und auf eine attraktive Nutzungsmischung ausgerichtete Mietenpolitik aushandeln ließe.
Konsequente planerische Steuerung
Kommunen sollten das ihnen zur Verfügung stehende planungs- und bodenrechtliche Instrumentarium zur Ansiedlungs- und Nutzungssteuerung und zum Umgang mit Leerständen konsequent anwenden und „zentrenschädliche“ Einzelhandelsstandorte und Überkapazitäten vermeiden.
Städtebauliche und architektonische Aufwertung
Gestalterisch attraktive Architektur und hochwertige öffentliche Räume sind die bauliche Grundlage für Verweilqualität und eine Wohlfühlatmosphäre. Dazu gehören unbedingt auch eine leistungsfähige, umweltfreundliche Mobilität und hochwertige Durchgrünung.
City- und Stadtteilmarketing
Angebote zur lokalen Beratung und Vernetzung von Unternehmer*innen, Gastronom*innen und Gewerbetreibenden mit dem Fokus auf Professionalisierung, Attraktivitätssteigerung und zukunftsfähiger Ausrichtung. Zur Überwindung des Bedeutungsverlusts der Innenstädte sollten vermehrt auch Kulturveranstaltungen gefördert werden.
Leistungsfähige Digitalisierung
Es gilt, online und offline geschickt zu verbinden, etwa durch lokale und landesweite Online-Plattformen mit smarten kooperativen Angeboten, Click&Collect und lokaler Logistik und dabei die Wettbewerbsintensität durch Anbieter*innenvielfalt auch online zu gewährleisten.
Positionspapier Innenstadt: Vier Forderungen an den Bund
Weil die Kommunen durch die in der Corona-Krise wegbrechenden Steuereinnahmen und steigenden Sozialleistungen kaum über ausreichend Budget verfügen, sehen die Verfasser*innen des Positionspapier Innenstadt den Bund in der Verantwortung: Er sollte Städten und Gemeinden helfen, ihre Zentren zukunftsfähig umzugestalten – besonders jenen, die schon vor der Pandemie strukturelle und demografische Schwierigkeiten hatten.
Als Maßnahmen fordern Baukulturstiftung und Co. im Positionspapier Innenstadt vor allem ein Sonderprogramm zur Innenstadtstabilisierung. Es sollte fünf Jahre lang jährlich mindestens 500 Millionen Euro betragen und innovative Konzepte, städtebauliche Aufwertungen und kleinteilige Maßnahmen sowie Beratungsangebote für innerstädtische Gewerbetreibende fördern. Daneben könne ein „Innenstadt-Innovationsprogramm“ des Bundes in ausgewählten Städten innovative Handlungsansätze als modellhafte Beispiele fördern und begleitenden Erfahrungsaustausch und Wissenstransfer organisieren. Mit einem breitangelegten Kulturfonds könnten Kommunen flexibel und niedrigschwellig alle Arten von Kultur-, Kreativ- und Freizeitaktivitäten in den Innenstädten stärken. Und es brauche ein optimiertes planungsrechtliches Instrumentarium, damit Kommunen Abwanderung und Leerstand gegensteuern können. Innenstädte könnten dabei in der kommunalen Satzung als Sonderzonen für Handel und frequenzbringende Funktionen festgesetzt werden. Außerdem sollten Kommunen besser über Entwicklungs- und Stabilisierungsmaßnahmen wie Steuerbefreiungen, Sonderförderungen und Beschränkungen entscheiden können.
Dieser Beitrag erschien in der G+L 11/20 zum Thema Innenstädte. Hier geht es zum Shop.
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