23.08.2016

Projekt

“Die Prozesse sind kompliziert”

Die städtischen Dächer in städtische Gründächer zu verwandeln ist ein langwieriger Prozess. In Berlin ist unter anderem Brigitte Reichmann von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt daran beteiligt, Gewissheit zu schaffen, Netzwerke zu fördern und Methoden zu entwickeln. Wir sprachen mit ihr über die Entwicklungen in Berlin.

Die deutschen Städte wollen mehr Gründächer. Foto: Vabali Spa in Berlin
Privater Dachgarten in München
North88 in München
Der BioCube in Leipzig
Urban Gardening in Mannheim. Alle Fotos: Zinco

Garten+Landschaft: Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt informiert ausführlich auf einer Website über Ökologisches Bauen, das ist vielversprechend, bezieht sich auch auf viele Projekte aus der Vergangenheit. Wie ist heute die Entwicklung?

Brigitte Reichmann: Gerade das machte Berlin ja spannend: Ganz unterschiedliche Leute – bei den ersten ökologischen Projekten zum Beispiel auch Hausbesetzer – wollten einfach mal etwas anders machen, auch ohne fachlichen Hintergrund. Dadurch wurden damals die Fachleute ein bisschen „getrieben“, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Solche erweiterten Rahmenbedingungen sind aber notwendig, um etwas zu bewegen. Heute ist vielen Menschen, die sich für mehr Dachbegrünung einsetzen, nicht bewusst, wie kompliziert die Prozesse sind, wie schwierig es ist, etwas über vorhandene Gesetze und Verordnungen hinaus durchzusetzen.

Was macht denn die Ausgangssituation heute so viel schwieriger als noch vor 20 oder 30 Jahren?

BR: Das Angebot auf dem Markt ist heute viel größer und viele Nutzer verlassen sich darauf, dass alle angebotenen Systeme auch gut sind. Aber viele Dinge rund um die Gründächer sind noch gar nicht untersucht, etwa die Auswirkungen der Qualität des Wassers, das vom Dach abläuft. Wir haben in Zusammenarbeit mit Fachkollegen aus der Schweiz Handlungsempfehlungen zur Vermeidung von Umweltbelastung durch die Freisetzung des Herbizids Mecoprop herausgegeben, abrufbar im Internet. Da war Berlin federführend im Bundesgebiet.

Worin genau liegt das Problem?

BR: Bei Dächern und Gründächern werden Stoffe aus Dachbahnen oder auch aus Farben ausgewaschen, die die Wasserqualität beeinträchtigen. Demzufolge empfehlen wir, dieses Wasser nicht als Betriebswasser zu nutzen oder versickern zu lassen, weil die Gewässer damit belastet werden. Das sind Themen, die auch in der Forschung jetzt relativ neu in Diskussion sind. Das ist komplex. Da sind viele Partner gefragt, die zusammenarbeiten müssen. In Berlin arbeiten wir bei diesen Fragen u.a. mit dem Landesamt für Gesundheit, dem Umweltbundesamt, den Berliner Wasserbetrieben, mit Experten des Deutschen Instituts für Bautechnik und der TU Berlin zusammen. Jeder trägt ein bisschen aus seinem Zuständigkeitsbereich dazu bei, dass wir aktuelle Erkenntnisse möglichst schnell in die Praxis bringen.

Was machen Sie anders in den zwei Modellquartieren, die in Schöneberg und Pankow bestehen?

BR: Im Verbundforschungsvorhaben KURAS wurde gezeigt, welche Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung die Freiraumqualität, das Stadtklima, Grund- und Oberflächenwasser, auch die biologische Vielfalt positiv beeinflussen. Die Erkenntnisse sprechen wir intensiv mit allen Akteuren vor Ort durch, entwickeln diese gemeinsam weiter. Eine Maßnahmen-Effekt-Matrix kann für bestimmte Probleme in einzelnen Stadtquartieren genutzt werden. In einem Planspiel wurde die „KURAS-Methode“ für zwei Berliner Stadtquartiere angewendet.

Anders als in Hamburg scheinen diese neuen Möglichkeiten im Umgang mit Dachbegrünung im Bewusstsein der Stadt noch wenig präsent…

BR: Was wir im Rahmen der Forschung am „lebenden Objekt“ in der Vernetzung vieler Partner durchführen, ist schon etwas Besonderes. Früher war es vorrangig die Erprobung neuer Technologien, heute geht es vorrangig um neue Verfahren und die Zusammenarbeit verschiedener Akteure, wo teils konkurrierende Ziele bestehen. Es reicht ja nicht, einen ganzen Katalog von Wünschen für eine Stadt aufzustellen. Diese Teamarbeit zwischen den verschiedenen Einrichtungen hat mit üblichen Verwaltungsstrukturen oft nicht mehr viel zu tun. Dafür muss man auch das Bewusstsein auf allen Ebenen schaffen.

Und Ihr Fazit? Worin liegt der Vorteil eines vernetzteren Vorgehens? Was wünschen Sie sich, um in Berlin mehr Dachbegrünung zu erreichen?

BR: Wir müssen versuchen, alle Aspekte, auch die nicht-monetären, als Grundlagen einer Maßnahmen-Auswertung zu beachten. Dazu zählen auch Auswirkungen auf Umweltbildung und Gewässerschutz, wenn wir etwas bewirken wollen. Es ist wichtig, an einem viel früheren Punkt miteinander zu reden, bereits im Planungsprozess und dann im Rahmen des Bauvorhabens stadtverträgliche Lösungen zu finden.

Mehr zum Thema Dachgrün in deutschen Städten lesen Sie in Garten+Landschaft 8/16 – Oben grün.

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