Es ist nicht das erste Mal, dass die Hochschulen angekündigt haben, zur Präsenzlehre zurückzukehren. Mehrere Male unternahmen sie den Versuch bereits – leider aber ohne Erfolg. Anneken Fröhling und Georg Spree von der Bundesfachschaft Landschaft finden diese Ankündigung – ähnlich wie Studieren in Zeiten von Corona allgemein – deswegen vor allem eines: ermüdend. Sowohl Anneken Fröhling als auch Georg Spree wollen lieber heute als morgen zurück an die Hochschulen. Nachdem aber die Rückkehr immer wieder kurzfristig abgesagt wurde, hat sich bei den beiden ein gewisser Zweckpessimismus eingestellt. „Es ist echt einfach eine Scheißsituation“, fassen es die beiden im Video-Call mit Garten + Landschaft pragmatisch zusammen. Sie fühlen sich von Corona um Studienjahre beraubt.
Studierende gründen Initiative #onlineleere
Sonderlich viel Beachtung haben Studierende in der gesamtgesellschaftlichen Corona-Debatte in Deutschland bislang nicht erhalten – zumindest im Gegensatz zu Schüler*innen. Eine kurze Google-Suche bestätigt diesen Eindruck: Der Suchbegriff „Corona Schule“ kommt auf doppelt so viele Ergebnisse wie der Suchbegriff „Corona Studium“ – und das im dreistelligen Millionenbereich. Studierende der Universität Heidelberg haben in diesem Zuge die Initiative #onlineleere gegründet. Sie kritisieren damit öffentlich die fehlende Kommunikation der Hochschulverwaltungen und fordern die Rückkehr zur Präsenzlehre.
Verständnis aufzubringen, fällt schwerer
Zu Beginn habe sie den Fokus auf andere Bevölkerungsgruppen noch nachvollziehen können, sagt Anneken Fröhling. Studierende seien keine Kinder mehr, könnten auf sich selbst aufpassen, wären aufgrund ihres Alters tendenziell weniger gefährdet und auch wirtschaftlich – zumindest zunächst – im Vergleich nicht sonderlich relevant. Nach drei Semestern und kurz vor dem Studienabschluss falle es ihr aber schwerer, Verständnis aufzubringen. Ähnlich sieht es auch Georg Spree. „Wenn man merkt, dass es überall weitergeht, Arbeitnehmer*innen in Großraumbüros lediglich angehalten sind Maske zu tragen, das Studium aber weiterhin hauptsächlich digital stattfindet, da fragt man sich automatisch, warum dem so ist“, so der angehende Landschaftsarchitekt.
Studie bestätigt: Corona macht Studium zur Belastungsprobe
Dabei machten Untersuchungen gleich zu Beginn der Pandemie auf die langfristigen Folgen der fehlenden Präsenzlehre aufmerksam. So veröffentlichte das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung im September 2020 eine Studie, wie sich die Corona-Pandemie finanziell auf Studierende auswirkt. Die Datenerhebung ergab, dass 57 Prozent der befragten Studierenden unmittelbar vor der Corona-Pandemie erwerbstätig waren. Knapp 40 Prozent dieser Studierenden seien jedoch im Zuge der CoronaPandemie entweder entlassen, unbezahlt freigestellt worden oder von Arbeitszeitreduzierungen betroffen. Die meisten Studierenden sähen sich zwar in der Lage, das Studium ohne zusätzliche finanzielle Hilfen fortzuführen, das Studienabbruchsrisiko sei aber erheblich gestiegen – unter anderem weil sich auch die Erwerbssituation der Eltern verschlechtert habe. Im Juni 2021 bestätigte zudem eine Studie der Universität Trier und des Leibniz-Instituts für Psychologie, dass Studieren unter CoronaBedingungen zur Belastungsprobe würde. 60 Prozent der Befragten sorgen sich mehr um Studienerfolg und eigene Perspektiven.
Studium in Corona-Zeiten ist zum Job geworden
Anneken Fröhling schloss in der Corona-Pandemie ihr Bachelorstudium der Landschaftsarchitektur an der HS Beuth in Berlin ab und startete dann in den Master an der TU Berlin. Ihre Kommiliton*innen dort hat sie noch nie in persona getroffen. Georg Spree studiert Landschaftsarchitektur im Bachelor an der FH Erfurt und ist momentan im Praktikum in Weimar. Im Gespräch berichten beide, sie haben jedes Semester neu gehofft, dass es zurück in Richtung Normalität ginge. Der Studienalltag bestehe aus den eigenen vier Wänden und den Vorlesungen im Laptop. Studieren sei eher zum Job geworden: Man arbeite seine Tasks ab und mache dann Feierabend. Die große Herausforderung sei es, hierbei die Orientierung im Studienalltag zu behalten. Durch die Distanz zu weiteren Studierenden und Dozent*innen fehle der „Blick über die Schulter“. Wie viel man wofür tun müsse und was wie wichtig sei – das Gefühl dafür gehe verloren, ebenso wie die Relationen.
Wie die Lernplattform Moodle ihr Revival erlebt
Die Qualität der Online-Formate hänge beiden zufolge maßgeblich vom Engagement der Lehrenden ab. Manche haben sich gleich zu Beginn sehr viele Gedanken gemacht, neue digitale Formate entwickelt. Andere Dozent*innen halten ihre Vorlesungen eins zu eins wie gewohnt ab – eben nur vor dem eigenen Rechner. Diesen zu folgen sei tendenziell schwerer und erfordere mehr Aufmerksamkeit. Allgemein stellten sowohl Anneken Fröhling als auch Georg Spree eine große Online-Müdigkeit bei allen Beteiligten fest. Im Übrigen: Eine allgemeine Verpflichtung, die Kamera bei den Veranstaltungen anzuschalten, gibt es bei Anneken Fröhling und Georg Spree nicht. Und auch Klausuren werden hauptsächlich online – unter anderem mithilfe der kostenfreien Lernplattform „Moodle“ – abgehalten, Zweitversuche aber nicht gezählt.
Studium in Corona-Zeiten: Planungsstudiengänge besonders betroffen
Die Frage, ob Planungsstudiengänge wie Landschaftsarchitektur oder Stadtplanung, die sich unter anderem durch viel Gruppen- und Projektarbeit definieren, besonders stark unter der fehlenden Präsenzlehre leiden, bejahen beide. Anneken Fröhling hatte im vergangenen Semester lediglich eine Korrektur in Präsenz. Ihr fehle es, mit Skizzenpapier und Plänen zu arbeiten, so die Landschaftsarchitektin – auch die Plotterräume seien nicht zugänglich. Für Georg Spree ist die fehlende Gruppenarbeit nicht das schlimmste. Er vermisst den allgemeinen Austausch mit allen Beteiligten. Man habe das Gefühl, man würde eine Dokumentation darüber schauen, wie Studieren so ist, so der FH-Erfurt-Student.
Podcast statt Referat – Pandemie als Chance für neue Lernformate?
Vorteile, die die Corona-Pandemie fürs Studium gebracht hat, sehen die beiden wenige. Georg Spree hat den Eindruck, dass manche Veranstaltungen durch das digitale Angebot sogar mehr Aufmerksamkeit erhaltem – vor allem die um acht Uhr morgens. Außerdem falle für ihn nun das Pendeln weg. Anneken Fröhling hebt im Gespräch die unterschiedlichen digitalen Formate positiv hervor, die sich im Zuge des digitalen Studiums entwickelt haben. So habe sie beispielsweise den Auftrag erhalten, einen Podcast anstatt eines klassischen Referats vorzubereiten. Sollten die Studierenden im Herbst eben doch nicht wieder an die Hochschulen zurückkehren – dann finde sie es gut und wichtig, neue Lehrformate wie diese weiterzuentwickeln und zu fördern.
Essenziell: Engagement der Dozent*innen
Fest steht: Unsere Studierenden zieht es zurück an ihre Hochschulen. Sie wollen wieder studieren. Richtig studieren. Mehr und mehr studentische Gruppen schließen sich hierfür zusammen, sie schreiben offene Briefe und treten gemeinsam für ihre Belange ein. Ihre Realität definiert sich aber vor allem durch Ungewissheit und Abhängigkeiten. Wie viel Lernerfolg digitale Formate haben und damit auch, wie gut sich die künftigen Planer*innen auf den Arbeitsmarkt vorbereitet fühlen, ist maßgeblich von der technischen Raffinesse und Affinität ihrer Dozent*innen abhängig sowie deren Willen, Wissen über digitale Formate zu transportieren. Aber auch das Handwerk, das in Planungsstudiengängen gelehrt wird – wie die Arbeit mit Plänen, Skizzenpapier oder auch der Modellbau – leidet unter der fehlenden Präsenzlehre. Es bleibt nur zu hoffen, dass sich die langfristigen Folgen auf die kommenden Planer*innengenerationen in Grenzen halten werden.
Print + Online: G+L präsentiert herausragende Student*innenprojekte
In der Septemberausgabe 2021 der Garten + Landschaft präsentieren ausgewählte Studierende deutscher Hochschulen ihre Abschluss- und Projektarbeiten. Diese entstanden in den vergangenen Pandemiemonaten. Weitere Projekte haben wir zudem für Sie hier online bereitgestellt. Hier finden Sie eine Übersicht zu den studentischen Arbeiten.