Stadttunnel sind teuer, aufwändig, extrem politisch und dennoch so, so wichtig. In der Aprilausgabe der G+L – und damit in dem ersten Stadt-Spezial-Heft 2024 – stellen wir die derzeit national und international spannendsten urbanen Tunnelprojekte vor und diskutieren, warum insbesondere diese Großprojekte in der Gefahr stehen, durch Politik und Bürokratie kaputt geplant zu werden – wie jüngst in München passiert.
Wiedervereinigung des Englischen Gartens
2010 stellte das Büro Grub+Lejeune seine Idee zur Wiedervereinigung des Englischen Gartens erstmals vor. Die Vision des Münchner Architektenpaares: Durch einen 400 Meter langen Pkw-Tunnel sollte das seit den 1960er-Jahren durch die Bundesstraße 2 R – bekannt als Mittlerer Ring – zerschnittene Gartendenkmal oberirdisch wieder ein Park werden.
Das Projekt stieß auf großen Anklang. Der Münchner Stadtrat brachte es einstimmig am 28. Juni 2017 auf den Weg. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sprach sich für eine schnelle Umsetzung aus, der Freistaat Bayern sagte 35 Millionen Euro zu, der Bund stellte 2,67 Millionen zur Verfügung. Das geschätzte Projektvolumen lag bei 125 Millionen, später bei 200 Millionen. Grub+Lejeune übergaben das Projekt an das Münchner Baureferat. Und die rot- grüne Rathausmehrheit stampfte es im März 2021 ein.
368 Bäume müssen weichen
Der Grund: 890 Bäume. Das ist die Anzahl an Bäumen, die laut Baureferat für den Tunnelbau gefällt werden müssten. Der Preis für die Unterführung sei damit zu hoch, so die Münchner Stadtregierung. Der gesellschaftliche und mediale Aufschrei zu dieser Entscheidung blieb aus. Wenn es um Bäume geht, fällt der Widerstand schwer.
Das Brisante: Die 890 Bäume konnten Grub+Lejeune in ihrer Baumbilanz, die sie daraufhin mit Unterstützung der Bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung aufstellten, nicht finden. Laut ihrer Untersuchung seien es 368 Bäume, die weichen müssten. Weitere Rückfragen und Gespräche mit dem Architektenpaar lehnte das Baureferat ab. Die Gründe für das Aus konnten nie ganz abschließend geklärt werden. Das enttäuschte Grub+Lejeune zutiefst. Man habe den Tunnel zu Tode geplant, so Hermann Grub im Interview. Wenn man ein Projekt unbedingt kippen wollte, dann ginge das über die Bäume.
Ein heftiger Vorwurf. Und eine traurige Ironie. 890 bzw. 368 Bäume vs. 375 Hektar durchgehender Englischer Garten. Ein Preis der Demokratie? Sicherlich. Gleichzeitig steht der Projektfall in München exemplarisch für die komplexen Interessensabwägungen, bürokratischen Auflagen und technischen Anforderungen urbaner Tunnelprojekte. Und genau um diese soll es in der vorliegenden G+L gehen.
Stellen Sie sich also ein auf eine Ausgabe gegensätzlicher Positionen, vermeintlicher Widersprüche und komplexer Gemengelage. Ein Heft zwischen politischem Übermut, administrativer Hypervorsicht und finanzieller Vollbelastung. Aber auch auf eine G+L, die mal wieder zeigt: Fachexpertise ist das eine, politischer Wille ist das andere.
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