31.07.2021

Gesellschaft

Villa Poelzig: Initiative gegen Abriss

Foto der Villa Poelzig von der Gartenseite (Foto: Bauwelt von 1930

Foto der Villa Poelzig von der Gartenseite (Foto: Bauwelt von 1930


*UPDATE: Trotz aller Gegenbemühungen – die Villa Poelzig wurde Ende 2021 zum Abriss freigegeben. Lesen Sie weiter unten mehr dazu!*

Nach dem Privatbau von Hans Scharoun, dem Haus Baensch, ist das nächste Berliner Architekt*innen-Wohnhaus in Gefahr: Die Villa Poelzig, das markante Wohnhaus des Berliner Architekten Hans Poelzig in Berlin-Westend, entworfen von dessen Frau Marlene Moeschke-Poelzig, soll im Zuge zahlreicher An- und Umbauten abgerissen werden. Für die Gartengestaltung waren die Landschaftsarchitekt*innen Herta Hammerbacher, Karl Foerster und Hermann Mattern verantwortlich. Eine Initiative setzt sich gegen den Abriss ein – jedoch nicht aus Gründen des Denkmalschutzes. Sie will vielmehr ein emanzipatorisches Denkmal erhalten.

Heft 34)
Foto der Villa Poelzig von der Gartenseite (Foto: Bauwelt von 1930, Heft 34)
Foto der Villa Poelzig von der Gartenseite (Foto: Bauwelt von 1930
Grundriss und Garten – für die volle Ansicht bitte klicken (Foto: Bauwelt von 1930, Heft 34)

Petition gegen den Abriss der Villa Poelzig

„Prof. Hans Poelzig (1867 – 1936). Der große Architekt und Lehrer lebte in diesem Hause von 1930 – 1936“

Eine Gedenktafel, gesponsert von der Förderungsaktion der Spielbank Berlin, erinnert in der Tannenbergallee 28 in Berlin an den Architekten Hans Poelzig. Dessen Ehefrau, Marlene Moeschke-Poelzig, die selbst auch Architektin war und die Villa an der Tannenbergallee eigenverantwortlich entwarf, erwähnt die Tafel nicht. Hans Poelzig hatte lediglich die Bauherrschaft für die Villa Poelzig inne, die 1930 bezugsbereit war. Die entsprechend öffentliche Anerkennung für das Projekt galt jedoch in der Regel ihm, nicht seiner Frau. Ein Beispiel: Als die Bauwelt 1984 über das Projekt berichtete, veröffentlichte sie ein Foto des Richtfests – beziehungsweise einen Ausschnitt daraus. Denn: Obwohl Marlene Moeschke-Poelzig Teil des Bildes war, druckte die Bauwelt lediglich ihren linken Arm ab.

Die Villa Poelzig war das einzige Gebäude, das Marlene Moeschke-Poelzig allein entwarf und umsetzte. Aus diesem Grund ordnen die Architekturhistoriker Wolfgang Pehnt und Matthias Schirren das Bauwerk in die Emanzipationsgeschichte weiblicher Architektinnen ein. Dennoch steht es nicht unter Denkmalschutz. Dies unter anderem, weil bereits mehrere Umbauten daran vorgenommen worden sind. So wich etwa das ursprüngliche Flachdach 1954 einem Walmdach.

Gedenktafel an der Villa Poelzig (Foto: OTFW/Wikimedia Commons)

Gartengestaltung von Herta Hammerbacher, Hermann Mattern und Karl Foerster

Das stellt sich nun als Problem heraus: Die baufällige Villa soll abgerissen werden. Stattdessen ist ein Neubau mit mehreren Wohnungen geplant. Im Zuge der Nachverdichtung stimmen hier viele zu. Kriteriker*innen stellen nun aber infrage, ob es gerechtfertigt sei, dafür ein Denkmal der architektonischen Emanzipationsgeschichte dem Boden gleichzumachen.

Unter diesen Kritiker*innen befindet sich auch Kolja Missal. Der Kunsthistoriker startete letztes Jahr eine Petition, um den Abriss der Villa zu stoppen. Im Petitionstext hebt er den Grundriss des Erdgeschosses hervor: „Frau Moeschke-Poelzig plante hier, gleichberechtigt zum Arbeitsbereich, einen abgeschlossenen Bereich für die drei Kinder mit Spielzimmer und Plansche im davor gelagerten Außenbereich. Eine singuläre Lösung in Berlin.“

Moeschke-Poelzig plante das Haus für sich und ihre Familie sowohl als Wohn- als auch als Atelierhaus. So konnte sie ihre Tätigkeiten als Architektin und Bildhauerin mit der Mutterschaft vereinen. Das eigens zugeschnittene Raumkonzept erlaubte es ihr, die verschiedenen Bereiche ihres Lebens parallel zu managen.

Der Grundriss des Objekts ist auch heute noch größtenteils erhalten, ebenso wie die Ausstattung. So zum Beispiel einige Fenster, Travertin-Böden und ein paar Möbel. Die originale Bausubstanz befindet sich aktuell besonders in Gefahr, da das Dach derzeit ungedeckt ist.

Das Planschbecken im Garten (Foto: Bauwelt von 1930, Heft 34)

Herta Hammerbacher: erste Professorin an der Architekturfakultät der TU Berlin

Auch der Garten ist teilweise noch erhalten. Diesen gestaltete 1931 die Gartenarchitektin Herta Hammerbacher, gemeinsam mit Hermann Mattern und Karl Foerster. Er war besonders auf die Bedürfnisse der Poelzig-Kinder zugeschnitten. Neben dem Planschbecken bot er einen Sandspielplatz und eine große Gartenfläche. So hatten die Kinder genügend Freiraum und die Nähe zur Natur.

Die restliche Gartengestaltung von Herta Hammerbacher, Hermann Mattern und Karl Foerster charakterisiert sich durch eine geschickte Komposition aus Terrassen, Wegeführung und Natursteinmauern. Es gab zudem mehrere Bereiche, die die Planer*innen zwar aufeinander abstimmten, aber individuell gestalteten. Dazu nutzten sie Gräser, Sträucher, Koniferen, Birken und Buchen.

Herta Hammerbacher, Hermann Mattern und Karl Förster gehörten alle zum Bornimer Kreis um Karl Foerster. Dort trafen sich auch Architekten und Musiker, unter anderem Hans Scharoun und Hans Poelzig. Es war auch Hans Scharoun, der Herta Hammerbacher 1946 als Lehrbeauftragte für Landschafts- und Gartengestaltung an der Technischen Universität Berlin vorschlug. Vier Jahre später wurde Herta Hammerbacher zur erste Professorin an der Architekturfakultät der Technischen Universität Berlin ernannt. Sie gilt auch heute noch als Virtuosin der Neuen Landschaftlichkeit.

Stipendium für „Meisterinnen des Bauwesens“

Im Gegensatz dazu ist Marlene Moeschke-Poelzigs Werk heute vergleichsweise unbekannt. Dies möchte die Initiative „Haus Marlene Poelzig“, die aus der Petition gegen den Abriss der Villa Poelzig hervorging, ändern. Gegründet 2020, sucht die Initiative den Dialog mit dem Eigentümer. Davon erhofft sie sich ein Abrissmoratorium. Anschließend zielt sie auf ein Konzept und ein Finanzierungsmodell, um das Haus als Denkmal zu erhalten, ab. Außerdem intendiert die Initiative, den Geist von Marlene Moeschke-Poelzig langfristig weiterzuführen – mit einem Stipendium.

Inneneinrichtung der Villa Poelzig (Foto: Bauwelt von 1930, Heft 34)
Inneneinrichtung der Villa Poelzig (Foto: Bauwelt von 1930, Heft 34)

Villa Poelzig und Marlene Moeschke-Poelzig mit Kunstwerk geehrt

Das geplante Stipendiatinnen-Programm soll sich an „Meisterinnen des Bauwesens“ richten. Architektinnen und Bauschaffende, sollen in der Villa Poelzig residieren, also wohnen und arbeiten. Dadurch würde das Haus zu einem Ort der Diskussion und der Entwicklung neuer Ansätze. Als „Meisterinnen“ sollen sich Architektinnen, Gestalterinnen, Landschaftsplanerinnen, Architekturhistorikerinnen, Bauhistorikerinnen, Bauingenieurinnen, Kulturschaffende und Handwerkerinnen bewerben können.

Die Initiative konkretisiert ihre Pläne für das Stipendium wie folgt: „Die 3-4 langfristigen Residenzen sollen regelmäßig ausgeschrieben und gemeinsam kuratiert werden, um ein kreatives Miteinander zu ermöglichen. […] Als ein Ort kreativen Schaffens und intellektuellen Austauschs soll die Residenz ihren Stipendiatinnen ermöglichen, individuellen und interdisziplinären Projekten in Architektur und Kunst nachzugehen. Dabei soll die anregende Wirkung des alltäglichen Zusammenlebens der Stipendiatinnen unterschiedlicher Fachrichtungen und Kulturen im Zentrum stehen; regelmäßig soll der Ort für die interessierte Öffentlichkeit öffnen.“

Am 18. Juni rief die Initiative Haus Marlene Poelzig im Rahmen des Women in Architecture Festivals (WIA) 2021 zur Demonstration auf. Etwa 80 Teilnehmende versammelten sich an dem Tag vor der Villa Poelzig. Mit Plakaten, Vorträgen und weitern Beiträgen gedenkten sie Marlene Moeschke-Poelzig. Der Höhepunkt der Veranstaltung war die Enthüllung eines eigens kreierten Werks der Künstlerin Hannah Cooke. Es ist eine Plakette. Darauf steht geschrieben:

„Marlene Moeschke-Poelzig (1894–1985). Die große Künstlerin und Architektin erbaute dieses Haus und lebte darin zusammen mit Hans Poelzig und ihren gemeinsamen Kindern von 1930–1937.

UPDATE: Abriss der Villa Poelzig erfolgt

Die Villa Poelzig gibt es seit Ende 2021 endgültig nicht mehr. Allen Protesten, Petitionen, Laternenumzügen und Bürger*inneninitiativen zum Trotz wurde das Gebäude abgerissen, um Platz für eine Luxusimmobilie zu schaffen. Damit verschwand eines der ohnehin raren Beispiele für von Frauenhand geschriebener Architekturgeschichte in der Bundesrepublik.

Mehr aus Berlin: Nach heftiger Kritik an ihrer Person hat Berlins neue Senatsbaudirektorin und Architektin Petra Kahlfeldt G+L Chefredakteurin Theresa Ramisch ein Interview gegeben. Sie sagt darin: „Meinungsäußerungen und Diskussionen gehören zu einer Demokratie, aber sie dürfen nicht zu persönlichen Angriffen und Diffamierungen führen.“ Mehr dazu hier im Petra Kahlfeldt Interview von G+L.

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