07.08.2018

Projekt

Wurzeln schlagen

Wo früher eine verwahrloste Brachfläche war, befindet sich heute eine grüne Insel. Den Prinzessinnengarten in Berlin riefen vor nun fast zehn Jahren Anwohner ins Leben. Doch es geht um weit mehr als nur urbane Landwirtschaft, denn hier kämpfen Raumpioniere kreativ gegen Gentrifizierungsprozesse an. Der Prinzessinnengarten ist ein Symbol dafür, dass städtisches Gemeinschaftsgut neu verhandelt werden muss.

Ein weiterer heißer Sommertag erhitzt die betonierte Stadtlandschaft Berlins. Abgase trüben die Luft, die asphaltierten Straßen dampfen und die Städter schleppen sich durch die Hektik der Großstadt. Der Prinzessinnengarten am Moritzplatz hingegen präsentiert eine ganz andere Realität: Hobbygärtner kümmern sich um die Obst und Gemüsepflanzen, die den Prinzessinnengarten in eine bewachsene innerstädtische Insel verwandeln. Während eine Gruppe Jugendlicher durch ein Büchertauschregal stöbert, genießen Besucher das Angebot des Garten-Cafés. Eine Kräuterschule, eine offene Fahrradwerkstatt, regelmäßige Siebdrucktage und viele weitere Aktivitäten machen das Programm des urbanen Gartens aus. Hier sollen Fähigkeiten und Wissen geteilt und Nutzer neue Visionen des Zusammenlebens entwickeln.

Tafeln informieren über das diverse Programm für Jung und Alt. © Svenja Binz
Die Laube ist ein „Symbol des Bleibens“. © Julia Brennauer
Die Bepflanzung ist stets mobil und zum Aufbruch bereit. © Svenja Binz
Informelle Baustrukturen bieten Platz für Gemeinschaft. © Svenja Binz
Setzlinge warten an einem schattigen Plätzchen auf ihre neuen Besitzer. © Svenja Binz
Lokales Gemüse stellt die grauen Bauten der Stadt in den Schatten. © Svenja Binz
Im „Prinzessinnengarten“ kann man einen Moment lang dem Trubel der Stadt entkommen. © Svenja Binz

Es geht um mehr als urbane Landwirtschaft!

Hinter dem Projekt Prinzessinnengarten stecken die gemeinnützige Gesellschaft „Nomadisch Grün“ und der Verein „Common Grounds“. Das Konzept stammt von den Initiatoren Robert Shaw und Marco Clausen, die vor fast zehn Jahren die Idee eines Nutzgartens in Berlin entwickelten. Dabei folgen sie ihrer Vision einer nachhaltigen und gartengerechten Stadt, die in Zukunft aktiv zu einem besseren Klima beiträgt.

Im aktuellen Diskurs um den Prinzessinnengarten geht es jedoch um mehr als ökologische Nachhaltigkeit. Der akute Baudruck und die zunehmende Privatisierung der Stadt bedrohen lokale Initiativen und ihre Freiräume. Wie die meisten urbanen Gärten Berlins kämpft auch der Prinzessinnengarten um seine Existenz. 2012 erreichte der Konflikt zwischen der Suche nach Investoren und dem Erhalt einer selbstverwalteten Nachbarschaft seinen Höhepunkt: Mehr als 30 000 Unterstützer konnten die Privatisierung der Fläche des Prinzessinnengartens nur knapp verhindern.

Das 6 000 Quadratmeter große Areal bleibt weiterhin temporär: Die Gebäude bestehen aus Containern, die Pflanzen wachsen in recycelten Kisten oder Reissäcken. Der Prinzessinnengarten ist jederzeit zum Aufbruch bereit. Aber wohin soll die Reise gehen?

Ist das Ende nah?

Der aktuelle Nutzungsvertrag läuft Ende dieses Jahres aus. Die Betreiber des Gartens gehen von einer erneuten einjährigen Verlängerung durch den Bezirk aus. Allerdings lehnt ein Teil des Prinzessinnengartens die temporäre Zwischennutzung ab und schlägt stattdessen ein kreatives Gegenkonzept vor. Dieses nennt sich Wunschproduktion und beruht auf dem Erbpachtprinzip. Der Prinzessinnengarten soll in Zukunft als Gemeingut einen Ort schaffen, der Nutzern ermöglicht teil zu nehmen. Zukunftsorientiert experimentiert er mit neuen gemeinschaftsorientierten und nicht-kommerziellen Formen der Urbanität. Kulturelle, soziale und ökologische Vielfalt sind dabei ein Hauptziel, welches Berlins Stadtpolitik nur mühsam zu integrieren scheint.

Eine Laube als „Symbol des Bleibens“

Eine Antwort auf die Frage, wer die Räume der Stadt produziert und prägt, liefern die Architekten quest und FATkoehl, sowie einer der Initiatoren Marco Clausen. Als „Symbol des Bleibens“ ergänzen sie den Garten um einen dreigeschossigen Holzrahmenbau. Diesen errichteten in einem zweijährigen Selbstbauprozess Auszubildende der Knobelsdorff-Schule, Studierende der TU-Berlin und das Gartenteam und dient von nun an als experimenteller Ort des kollektiven Lernens und Austauschs. Die Laube als bauliche Intervention macht den aktuellen Konflikt zwischen temporärer Zwischennutzung und dem Wunsch endlich Wurzeln zu schlagen sichtbar.

Zweifellos braucht es neue Modelle, wie man Stadt und Gemeinschaft zukünftig denkt. Temporäre Nutzungen müssen die Möglichkeit bekommen, perspektivische Visionen zu entwickeln und fester Bestandteil einer gesamtstädtischen Planung zu werden. Nur so kann langfristig die Stadt als vielfältiger, nachhaltiger und lebenswerter Raum erhalten werden.

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