Paris bemüht sich derzeit um eine autofreie, umweltfreundliche Umgestaltung. Die Idee und Umsetzung einer „15-Minuten-Stadt“ soll unter anderem dabei helfen, den Autoverkehr in der französischen Metropole zu reduzieren. Warum das Konzept gutgemeint, jedoch nicht über alle Zweifel erhaben ist, erklärt Carolin Werthmann.
Mit der „15-Minuten-Stadt“ zu mehr Lebenszeit
Dass Corona Arbeit und Leben verändert, dürften die meisten Menschen ein Jahr nach dem ersten bundesweiten Lockdown im Frühjahr inzwischen realisiert haben. Homeoffice, Kontaktbeschränkungen, abgesagte Kulturveranstaltungen und geschlossene Restaurants werfen vor allem die Bewohner*innen einer Stadt auf einen überschaubaren Lebensraum zurück: die eigene Wohnung, das eigene Viertel.
Die sozialistische Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, hatte eine solche Situation bereits vor der Viruskrise im Visier und warb in ihrer Wahlkampagne Anfang 2020 mit der Idee der „15-Minuten-Stadt“.
Eine ville du quart d ’heure soll unter anderem dabei helfen, den Autoverkehr in der französischen Metropole zu reduzieren. Gastronomie, Freizeitangebote, Arbeitsplätze, Schulen, medizinische Versorgung, Lebensmittelläden sollen in den Vierteln geballt und innerhalb einer Viertelstunde von zu Hause aus mit dem Rad oder zu Fuß erreichbar sein.
Diese Überlegung stützt sich auf ein Konzept des Urbanistik-Professors Carlos Moreno von der Universität Sorbonne. Eine dezentralisierte Stadtorganisation, behauptet er, schenke den Bewohner*innen mehr Lebenszeit. Da mag er recht haben, fiele doch vermutlich das feierabendliche Stop-and-go durch den Auspuffdschungel nach einer solchen Umsetzung geringer aus. Nur lässt sich die Vielfalt einer ohnehin bereits extrem dicht bevölkerten Millionenstadt wie Paris nicht einfach in ihre Quartiere quetschen.
Stadt entzerren, Isolation vermeiden
Zweifelhaft ist, ob auf einem engen Raum, der den kulturellen, bildungspolitischen und sozialen Bedürfnissen der Bewohner*innen gerecht werden will und muss, genug Platz für Grünes bleibt, nach dem sich die Städter*innen in dieser Krise des Einsiedler*innentums zu sehnen gelernt haben. Anne Hildago hat gewiss den richtigen Weg eingeschlagen mit der Absicht, Paris grüner werden zu lassen, und gewiss sollten ihrem Beispiel weitere Stadt- und Staatsoberhäupter folgen.
Der konsequente Ausbau von Radwegen geschieht in der französischen Hauptstadt bereits, 60 000 innerstädtische Parkplätze will die Bürgermeisterin entfernen lassen und durch noch mehr Radwege sowie Spielplätze und Parks ersetzen. Plänen zufolge sollen die berühmten Champs-Élysées bald jeder Menge Bäume weichen. Doch gerade deshalb scheint es widersprüchlich, die Bewohner*innen in autark funktionierende Viertel zu locken. Die so begehrten, weitläufigen Grünflächen sind plötzlich kilometerweit weg. Und nicht nur die.
Man kann nicht davon ausgehen, dass Kinder auf die geografisch nächstgelegene Schule gehen wollen oder können. Oder dass der Arbeitsplatz für immer derselbe bleibt. Ziel sollte sein, die Stadt zu entzerren, anstatt die Menschen in eine Isolation zu drängen. Denn eigentlich wollen sie der gerade entkommen.